Der Klimawandel ist ein todbringender Prozess

Der Klimawandel wirkt gewissermaßen von außen auf die natürliche Welt ein und ist ein schleichender Prozess, der nur durch die immer stärkere Häufung spektakulärer Katastrophen wie Sturmfluten, Orkane, Dürren oder sintflutartige Regenfälle mediale Aufmerksamkeit erregt. Philipp Blom ergänzt: „Das langsame Verschwinden einer bestimmten Froschart, das langsame Vordringen der Wüsten oder der millimeterweise Anstieg des Meeresspiegels liefert einfach weniger gute Bilder als zerstörte Häuser, verzweifelte Menschen, gigantische Schlammlawinen oder Waldbrände.“ Gerade diese wenig spektakulären und langsamen Entwicklungen aber können auf lange Sicht wesentlich entscheidender sein als lokale Verwüstungen. Das Absterben von Plankton durch wechselnde Meerestemperaturen und übersäuerte Ozeane zum Beispiel hat Einfluss auf die gesamte Nahrungskette und damit auf das Überleben von zahlreichen maritimen Arten und Millionen von Menschen. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

Weiterlesen

Unverbindlicher Sex scheint kein Vorrecht der Männer zu sein

Die evolutionspsychologische These, dass Männer beim Flirten und beim Sex forscher agieren als Frauen, wurde von den Massenmedien dankbar aufgegriffen. Als dann noch eine beeindruckende Zahl von Studien erschien, die in dieselbe Richtung wiesen, verwandelte sich die Vermutung in Gewissheit. Thomas Junker ergänzt: „Dass das traditionelle Klischee vom sexsüchtigen Mann und der keuschen Frau nun auch wissenschaftlich belegt schien, wurde teils wohlwollend, teils kritisch kommentiert.“ Die Popularität dieser Idee ist natürlich kein Beweis dafür, dass sie richtig ist. Sie muss deshalb aber auch nicht falsch sein. Vielleicht trägt der Hinweis, dass es in der Evolutionspsychologie in den letzten Jahren zu einem Umdenken gekommen ist, zur Beruhigung der Gemüter bei. Thomas Junker ist Professor für Biologiegeschichte an der Universität Tübingen.

Weiterlesen

Das Gedächtnis ist ein Wunder der Evolution

Das menschliche Gedächtnis ist hoffnungslos störanfällig und unfassbar ungenau. Alle Menschen haben ein bedenklich fehlerhaftes Erinnerungsvermögen. Das Gedächtnis leidet unter biologischen Schwächen, Wahrnehmungsfehlern, Kontaminierung, Aufmerksamkeitsverzerrungen, Selbstüberschätzung und Konfabulation. Beim Metagedächtnis dagegen handelt es sich um das Wissen über das Gedächtnis und seine Funktionsweise. Julia Shaw fügt hinzu: „Es ist eine Art Metakognition, ein Nachdenken über das Denken. Dass wir diese Fähigkeit besitzen, bedeutet, dass wir uns Gedanken darüber machen können, warum wir uns erinnern, wie wir uns erinnern und wie gut wir darin sind, uns an einzelne Informationen zu erinnern.“ Eine der ersten Studien über das Metagedächtnis wurde 1965 von Joseph Hart entwickelt. Er wollte ein ganz bestimmtes Merkmal des Metagedächtnisses verstehen, ein Konstrukt, das er das „Gefühl des Wissens“ nannte. Die Rechtspsychologin Julia Shaw lehrt und forscht an der London South Bank University.

Weiterlesen

Gemeinschaften brauchen selbstbestimmte Menschen

Die Tendenz zum Jasagen zur Mehrheitsmeinung einer Gruppe oder zu Autoritäten hat den schlimmen Effekt, dass nicht nur der dümmsten Lösung zum Durchbruch verholfen wird, sondern sogar abscheuliche Verbrechen im Namen des „Das wurde mir so aufgetragen“ geschehen. Es gehört zum menschlichen Gruppenverhalten, das zu tun, was von einem erwartet wird. Und das wird nur in den seltensten Fällen hinterfragt. Anja Förster und Peter Kreuz kennen den Grund: „Wer mitspielt, wird belohnt mit sozialer Anerkennung und Aufstieg.“ Die sozialen Fähigkeiten des Menschen sind in Phasen der Evolution entstanden, in denen es darauf ankam, Feinden zu entkommen, Nahrung zu finden und Gruppen zusammenzuhalten. Und in all diesen Fällen war Mitmachen eine sinnvolle Strategie. Anja Förster und Peter Kreuz nehmen als Managementvordenker in Deutschland eine Schlüsselrolle ein.

Weiterlesen

Die Identität eines Menschen besteht in seiner Erzählung

So gut wie alle Wissenschaften vom Menschen – vornehmlich die Cultural Studies, Anthropologie und Geschichtswissenschaft – sind sich darin einig, dass die Identität eines Menschen in der Erzählung besteht, die ihm aus sich zu manchen gelingt. Christian Schüle ergänzt: „Eine Person ist ihre Geschichte, und Heimat ist das Narrativ dieser Geschichte. Nur in der Schilderung meiner Realität erlangt die Geschichte meiner Person Glaubwürdigkeit.“ Nur über das Narrativ wird Herkunft zur Identität. Christian Schüle formuliert es noch genauer: „Die Identität ist selbst das Narrativ: Ich bin, was ich von mir erzähle.“ Dabei ist zu beachten, dass die Erinnerung nicht mit dem Gedächtnis gleichzusetzen ist, obwohl sie sich natürlich nicht vom Gedächtnis trennen lässt. Christian Schüle ist freier Autor und Publizist. Seit dem Sommersemester 2015 lehrt er Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.

Weiterlesen

Eyal Winter nennt drei Gründe für selbstloses Verhalten

Die erbbiologische Erklärung für die Ausbreitung selbstlosen Verhaltens stützt sich auf drei Elemente. Das erste ist Abschreckung. Wer keine Solidarität übt, wird aus dem Gesellschaftsleben ausgeschlossen und zahlt somit einen sehr hohen persönlichen Preis für sein Verhalten. In frühgeschichtlichen Gesellschaften der Sammler und Jäger kam dies einem Todesurteil gleich. Eyal Winter ergänzt: „Eine erfolgreiche Jagd erforderte die enge Zusammenarbeit. Wer nicht an einem Strang zog oder nicht zu teilen bereit war, lief sehr schnell Gefahr zu verhungern und hatte wenig Aussicht sich fortzupflanzen. Egoistische Verhaltensweisen starben somit aus.“ Als zweites Element wäre das Prinzip des Handicaps zu nennen. Allein schon der Akt sichtbaren Gebens erhöht die Chancen der Fortpflanzung des Einzelnen. Eyal Winter ist Professor für Ökonomie und Leiter des Zentrums für Rationalität an der Hebräischen Universität von Jerusalem.

Weiterlesen

Die Kultur hat ihren Ausgangspunkt in den Gefühlen

Antonio Damasio möchte in seinem neuen Buch „Im Anfang war das Gefühl“ folgende Frage klären: „Wie ist all das entstanden, was wir Kultur nennen?“ Seine scheinbar verblüffende Antwort lautet, dass dabei nicht Verstand und Intellekt, sondern die Gefühle dabei die entscheidende Rolle gespielt haben. Zudem war es seiner Meinung nach das ständige Wechselspiel zwischen Körper und Geist, das die Evolution des Menschen geprägt hat. Dabei spannt der Autor einen großen Bogen von den evolutionären Anfängen des Lebens bis hin zur Hirnforschung der Gegenwart und eröffnet seinen Lesern dabei einen neuen, aufregenden Blick auf den biologischen Ursprung der menschlichen Zivilisation. Antonio Damasio ist Professor für Neurowissenschaften, Neurologie und Psychologie an der University of Southern California und Direktor des dortigen Brain and Creative Institute.

Weiterlesen

Babys programmieren den Geruchssinn ihrer Bezugspersonen um

Babys haben einen ganz besonderen, hypnotisierenden Geruch, sie verbreiten eine Pheromon-Wolke, die direkt in die tiefen Hirnareale dringt. Matthias Horx weiß: „Das Riechen am Nacken eines Kleinkindes setzt sofort Oxytocin frei. Neurowissenschaftler haben herausgefunden, dass dabei eine Art neuronaler „Reset“ stattfindet: Babys programmieren den Geruchssinn ihrer Bezugspersonen regelrecht um.“ Was vor der Ankunft des Nachwuchses noch faszinierend nach Abenteuer und Abwechslung roch – Alkohol etwa, Schweiß oder Tabak, scharfe Speisen –, „stinkt“ plötzlich. Der Geruch anderer Menschen wird nun unangenehm, uninteressant. Umgekehrt verwandelt sich der Geruch der Babyscheiße in – nun ja – zumindest einen erträglichen Duft. Die biochemische Software, die die Evolution den Menschen mitgegeben hat, erweitert um die Geburt herum die Hirnareale für Planung, für Kooperation und Antizipation. Matthias Horx ist der profilierteste Zukunftsdenker im deutschsprachigen Raum.

Weiterlesen

Der Cyborg ist die Brücke zwischen Gegenwart und Zukunft

Die westlichen Gesellschaften der Moderne sind von Technik durchdrungen. Das prominenteste Beispiel dafür ist das Internet. Sascha Dickel stellt fest: „ES hat den Cyberspace verlassen und wuchert immer stärker in die materielle Welt hinein.“ Keiner weiß, wohin dieser Prozess der Technisierung führen wird. Jede Aussage über die Zukunft ist grundsätzlich mit dem Makel der Gegenwart behaftet, aus dem sich der Mensch nicht befreien kann. Daher braucht man Metaphern und Bilder, die als Wegweiser in das unbekannte Land des Übermorgen dienen. Ein solcher Wegweiser ist der Cyborg. Er ist der technisierte „Neue Mensch“ par excellence. Er ist eine Brücke zwischen Gegenwart und Zukunft. Er verbindet visionäre Spekulation und erfahrbare Wirklichkeit. Er verwischt die Grenzen zwischen Mensch und Technik. Dr. Sascha Dickel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Friedrich Schiedel-Stiftungslehrstuhl für Wissenschaftssoziologie an der Technischen Universität München.

Weiterlesen

Der Mensch beherrscht die Erde wie keine ander Spezies

Alles was die Menschen tun und sind, ist in der einen oder anderen Weise das Resultat der evolutionären Prägungen, die sie zu der Spezies gemacht hat, die den Planeten Erde beherrscht wie keine andere. Matthias Horx ergänzt: „Was uns von allen anderen Tierarten unterscheidet, ist die extreme Empfindlichkeit und Hilfsbedürftigkeit unserer Brut. Keine andere Spezies muss einen derart komplexen Aufwand treiben, damit ihre Babys überleben.“ Dazu zählen unter anderem Zuneigung, Ernährung, Schutz, Wärme, Erkennen, Berühren, Wickeln, Spielen, Erziehen, Ermahnen. Zwar gibt es auch im Tierreich Fürsorge – Ratten, Katzen, Hunde lecken und „groomen“ ihre Brut, Vögel bauen Nester, die sie auskleiden und warten geduldig, bis ihre Kinder flügge sind. Aber der Aufwand für den menschlichen Nachwuchs ist so gigantisch, dass er das ganze Leben fordert. Matthias Horx ist der profilierteste Zukunftsdenker im deutschsprachigen Raum.

Weiterlesen

Emotionen sind von der jeweiligen Kultur abhängig

Bereits auf der Ebene der Sprache wird deutlich, wie abhängig die Gefühlswelt von der entsprechenden Kultur ist. Denn das Verständnis eines Menschen von Emotionen und Gefühlen hängt immer auch davon ab, wie er darüber redet. Auch im modernen Geschäftsleben zeigt sich die Kulturabhängigkeit von Emotionen. Ulrich Schnabel nennt ein Beispiel: „So kommt es in global operierenden Firmen immer wieder zu Problemen, weil Emotionen in verschiedenen Kulturkreisen so unterschiedlich interpretiert werden.“ In der Wissenschaft hat es sich eingebürgert, strikt zwischen biologisch geprägten Effekten und kulturell beeinflussten Emotionen oder Gefühlen zu unterscheiden. Ulrich Schnabel kennt die gängigsten Definitionen: „Ein Affekt ist eine (unbewusste) Reaktion des Körpers auf ein äußeres Ereignis, die weitgehend automatisiert und unreflektiert abläuft und nur kurze Zeit dauert; der Affekt wird nicht versprachlicht und unterliegt keiner Bewertung.“ Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.

Weiterlesen

Eyal Winter unterscheidet zwischen autonomen und sozialen Emotionen

Emotionen bilden einen Mechanismus, der Menschen dazu befähigt, Entscheidungen zu treffen. Sie wurden im Lauf der Evolution geformt und entwickelt, um die Überlebenschancen des Menschen zu verbessern. Eyal Winter fügt hinzu: „Die Menschheit verfügt neben den Emotionen über einen weiteren wichtigen Mechanismus, der uns bei der Entscheidungsfindung hilft, nämlich die Fähigkeit zur rationalen Analyse.“ Im Gegensatz zu Gefühlen wie Angst, Betrübtheit und Bedauern, die als autonome Emotionen bezeichnet werden können, sind Gefühle wie Wut, Neid, Hass und Mitgefühl soziale Emotionen. Sie sind per Definition interaktiv. Wut oder Mitleid empfindet ein Mensch gegenüber anderen; Bedauern dagegen empfindet er über eigene Handlungen. Die Unterscheidung zwischen autonomen und sozialen Emotionen ist besonders wichtig, um den Begriff der „klugen Gefühle“ zu verstehen. Eyal Winter ist Professor für Ökonomie und Leiter des Zentrums für Rationalität an der Hebräischen Universität von Jerusalem.

Weiterlesen

Der Traum ist der „Königsweg“ zum Unbewussten

Träume spielen sich nach Sigmund Freuds Auffassung nicht im Unbewussten ab, sondern im Gegenteil im Bewusstsein. Ihre Verbindung zum Unbewussten ist seiner Meinung nach anderer Natur. Philipp Hübl erklärt: „Die Trauminhalte, die bizarren Bilder und Eindrücke in Träumen, haben Sigmund Freud zufolge ihren Ursprung im Unbewussten. Um dem näher zu kommen, muss man die Inhalte der Träume sorgfältig analysieren, denn darin zeigen sich die unbewussten Wünsche.“ Weil Wünsche sich im Schlaf besonders auffällig umformen, hielt Sigmund Freud den Traum für den „Königsweg“ zum Unbewussten. Im Traum brodeln die Energien des Es so stark, dass der Zensor überlastet ist. Am Tag kann er zwar fast alle geheimen Wünsche zurückhalten, doch jetzt drängen sie mit Macht ins Bewusstsein. Philipp Hübl ist Juniorprofessor für Theoretische Philosophie an der Universität Stuttgart.

Weiterlesen

Beim Sex ist die Lust besonders groß

Die Tatsache, dass Sex sehr lustvoll sein kann, ist ein überzeugender Hinweis darauf, dass er biologisch nützlich ist. Thomas Junker erklärt: „Denn wenn wir etwas als angenehm empfinden oder wenn das Gegenteil der Fall ist, dann ist dies ein sehr präzises Abbild dessen, was sich in vielen Millionen Jahren der Evolution als vorteilhaft bzw. als schädlich erwiesen hat.“ Da die Fortpflanzung zu den biologisch wichtigsten Verhaltensweisen gehört, ist schon von daher zu erwarten, dass Sex mit positiven Gefühlen belohnt wird – ähnlich wie man es genießt zu essen oder zu schlafen, weil man nur so überleben kann. Das erklärt aber noch nicht, warum die Lust beim Sex so besonders groß ist und warum ein Mensch bei Liebeskummer so verzweifelt sein kann. Thomas Junker ist Professor für Biologiegeschichte an der Universität Tübingen.

Weiterlesen

Die Menschen sind lediglich Teil der Natur

Als das Werk „Über die Entstehung der Arten“ von Charles Darwin (1809 – 1882) im Jahr 1859 veröffentlicht wurde, sorgte es nicht nur in England für großen Wirbel. Fortan war es nicht mehr möglich, die Menschen völlig losgelöst vom übrigen Tierreich zu betrachten. Nigel Warburton erklärt: „Die Menschen waren nicht mehr etwas Besonderes, sondern lediglich Teil der Natur, wie jedes Tier. Vielleicht erscheint uns das heute nicht mehr überraschend, aber für die meisten Zeitgenossen des Viktorianischen Zeitalters war diese Theorie ein Skandal.“ Heute fällt es einem Menschen leicht, seine Ähnlichkeit mit den Affen zu erkennen. Dazu braucht er lediglich ein paar Minuten in der Gesellschaft eines Schimpansen oder Gorillas verbringen. Der Philosoph Nigel Warburton ist Dozent an der Open University. Er gibt außerdem Kurse über Kunst und Philosophie am Tate Modern Museum.

Weiterlesen

Beim Orgasmus entlädt sich große sexuelle Erregung

Das Gefühl des Orgasmus und seine körperlichen Begleiterscheinungen lassen sich auch in der Sprache der Wissenschaft beschreiben. Weitgehende Einigkeit besteht, dass es sich um die plötzliche Entladung großer sexueller Erregung handelt, die als extrem lustvoll und entspannend empfunden wird. Thomas Junker erklärt: „Beim Mann ist damit meist eine Ejakulation verbunden, bei der Frau kommt es zu Kontraktionen von Vagina und Uterus.“ Begleitet wird der Orgasmus bei beiden Geschlechtern von rhythmischen Muskelkontraktionen im ganzen Körper, unwillentlichen Lautäußerungen wie Stöhnen oder Schreien, Bewusstseinseintrübung und einem Gefühl der Euphorie. Hauptsächlicher Auslöser ist die Stimulation des Penis beziehungsweise der Klitoris bei der Masturbation, beim Geschlechtsverkehr oder bei anderen erregenden Aktivitäten. Worin besteht der Zweck eines so komplexen Vorgangs? Thomas Junker ist Professor für Biologiegeschichte an der Universität Tübingen.

Weiterlesen

Scott Atran betreibt Forschung unter radikalen Islamisten

Den amerikanischen Anthropologen Scott Atran treibt schon seit Jahren die Frage um, warum Menschen ihr Leben für eine Sache opfern. Er hat durch seine Feldstudien herausgefunden, dass da weder Irre noch lebensmüde Nihilisten am Werk sind. Scott Atran erklärt: „In der Regel sind das ganz normale Leute. Etliche Studien haben schon nach auffälligen Merkmalen gesucht und nichts gefunden.“ Der erste Schlüssel zum Verständnis des Selbstopfers ist für Sott Atran, dass der Kampftrupp von den Kämpfern als eine fiktive Familie betrachtet wird. Menschen wie du und ich verwandeln sich in Fremdenlegionäre des Dschihad, in furiose Kämpfer, die den Tod nicht mehr scheuen. So verrückt dieser Opfermut sein mag – der Erfolg im Gefecht, so scheint es, gibt ihm recht. Scott Atran reist seit Jahren um die Welt und betreibt Forschung unter radikalen Islamisten und ihren Gegenspielern.

Weiterlesen

Hinter Gefühlen verbergen sich oft vernünftige Überlebensstrategien

Eyal Winter zeigt in seinem Buch „Kluge Gefühle“, dass sich selbst hinter vermeintlich irrationalen Gefühlen wie Liebe und Hass vernünftige Überlebensstrategien verbergen. Dabei rehabilitiert der Autor auch negative Gefühle wie Neid und Angst, die produktiv sind, wenn man sie nicht leugnet. Eyal Winter erklärt mit Erkenntnissen aus den aus den Forschungsgebieten der Evolution, Neurologie und Spieltheorie sowie anhand von zahlreichen Fallgeschichten, warum Gefühle die meisten Menschen schnell und zuverlässig das Richtige tun lassen. Die emotionalen und rationalen Mechanismen eines Menschen arbeiten Hand in Hand und unterstützen sich gegenseitig. Bisweilen lassen sie sich überhaupt nicht voneinander trennen. Sehr häufig ist eine auf Emotion oder Intuition beruhende Entscheidung viel effizienter – und im Grunde viel besser – als eine Entscheidung, die nach einer gründlichen und genauen Beurteilung aller denkbaren Ergebnisse und Folgerungen getroffen wurde. Eyal Winter ist Professor für Ökonomie und Leiter des Zentrums für Rationalität an der Hebräischen Universität von Jerusalem.

Weiterlesen

Markus Gabriel stellt sich dem Problem mit dem Ich

Was ist das Problem mit dem Ich? Markus Gabriel weiß, worum es sich dabei handelt: um das Subjekt des Wissens. Ein Ich zu sein heißt, etwas zu wissen und es mitteilen zu können. Es bedeutet aber keineswegs, mit sich selbst allein zu sein und wiederum wie ein Homunculus im Gehirn zu hausen. Damit ist für Markus Gabriel schon einmal klar: „Ich ist nicht Gehirn.“ Johann Gottlieb Fichtes Ich-Philosophie bricht dadurch in sich zusammen, dass man die Frage stellen kann, wie eigentlich das Ich mit der Natur zusammenhängt. Zu Johann Gottlieb Fichtes Lebzeiten hat als Erster der Meisterdenker der Romantik, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, den alles entscheidenden Einwand formuliert. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

Weiterlesen

Die Epoche der Gegenwart heißt Anthropozän

Die Geschichte der Entwürfe eines Neuen Menschen ist eine Geschichte der Selbstermächtigungen. In ihrem Kern geht es um das Projekt einer Überschreitung von menschlichen Grenzen: seien es die seiner Bewegung im Raum, die Limitiertheit seiner Lebenszeit oder die Einschränkungen seiner Wahrnehmungs- und Denkfähigkeiten. Eva Horn erklärt: „Die Imperative dieses Steigerungsprogramms reichen vom Gebot eines „Ausgangs des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“ über die Anthropotechniken der Fremd- und Selbstdisziplinierung und die biopolitischen Träume einer forcierten Evolution bis zu den Versprechen einer technischen Auf- und Umrüstung des menschlichen Körpers und Geistes.“ Was sie hinter sich lassen, ist eine doppelte Natur: einerseits eine Natur des Menschen, die zur anthropologischen Grundausstattung erklärt wird, welche es zu überwinden oder zu erweitern gilt. Eva Horn ist Professorin für Neuere Deutsche Literatur und Kulturtheorie an der Universität Wien.

Weiterlesen

Technik und Genetik sollen den Menschen verbessern

Aktuell arbeitet die Menschheit an einem Entwurf des perfekten Menschen. Es geht um die Verbesserung und Veränderbarkeit des Menschen in einem neuen Sinn. Konrad Paul Liessmann erklärt: „Nicht durch Erziehung und Bildung, nicht durch Moral, Aufklärung und eine humanistische Kultur soll die Verbesserung des Menschengeschlechts erreicht werden, wohl aber durch Technik und Genetik.“ Für den Soziologen Dierk Spreen befindet sich die moderne Gesellschaft schon jetzt in einer „Enhancement-Gesellschaft“, in der vor allem die Optimierung des Körpers durch Manipulationen, Zusammenschlüsse mit Mikromaschinen und Prothesen zu einem alltäglichen Phänomen geworden ist. Unübersehbar ist auch ein sich allmählich wandelndes Selbstverständnis des Menschen, ein Wandel des Menschenbildes. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.

Weiterlesen

Nur Selbsterkenntnis kann zur Weisheit führen

„Mensch“ beziehungsweise in diesem Zusammenhang besser „homo sapiens“ ist unter anderem ein Name für eine bestimmte Tierart. Carl von Linné (1707 – 1778), der den bis heue verbreiteten Artnamen „homo sapiens“ in seinem System der Natur eingeführt hat, führt als Merkmal des Menschen das antike Gebot an: „Erkenne Dich selbst.“ Markus Gabriel erklärt: „Die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis, die durch dieses Gebot angesprochen wird, ist Carl von Linné zufolge genau dasjenige, was uns zu einem „sapiens“, einem Lebewesen macht, das der Weisheit fähig ist.“ Dafür gibt es eine wichtige Vorgeschichte. In der berühmten, von Platon verfassten Verteidigungsrede des Sokrates vor dem athenischen Volksgericht, berichtet der Angeklagte, das delphische Orakel habe ihn als den weisesten aller Menschen bezeichnet. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

Weiterlesen

Der Genuss hat mit vielen Gegenspielern zu kämpfen

Tatsächlich ist es so, dass wohl die meisten Menschen, wenn sie das Wort „Genuss“ hören, ans Essen denken – und nicht immer nur Positives damit verbinden. Schließlich gibt es gesundes und schädliches Essen. Doch nicht nur mit dem Essen verhält es sich so. Viele Menschen sind dem Genießen gegenüber im Allgemeinen skeptisch geworden. Denn in ihrer Wahrnehmung steht Genuss viel zu oft im Gegensatz zu Gesundheit – man denke an Genussmittel wie Alkohol, Tabak oder Zucker – oder er gilt als Gegenspieler zu Produktivität, sprich er wird gleichgesetzt mit Hedonismus, Faulheit und Zeitverlust. Gleichzeitig, und das ist wohl das Interessanteste am Ganzen, sehen sich die meisten Menschen gerne als Genießer, buchen Wellnessferien, essen bewusst genussvoll, lassen sich von Gesichtsmassagen und Peelings verwöhnen, genießen ihren Ruhestand und manchmal sogar ihre Arbeit.

Weiterlesen

Noch ist die Verbesserung des Menschengeschlechts Utopie

Das Bild, das der Mensch von sich entwirft, entspricht in der Regel dem, was der Mensch entwerfen kann. Modelle für die Selbstansichten des Menschen sind seit Anbeginn der Artefakte und Maschinen, die der Mensch selbst imstande war zu konstruieren und zu bauen. Konrad Paul Liessmann stellt fest: „In der Genetik schließlich skizzieren evolutionstheoretische und technizistische Pinselstriche ein Bild des Menschen, das diesen nun als Maschine zur Produktion und Streuung von Genen zeigt.“ Die Entzifferung des genetischen Codes des Menschen erschien vielen deshalb nicht nur als ein entscheidender Schritt zur Selbsterkenntnis, sondern auch als erster Schritt, um nun wirklich an der Verbesserung des Menschen arbeiten zu können. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.

Weiterlesen

Ulrich Schnabel beschreibt den Zirkel der Freude

Das anfängliche emotionale Leben eines Kindes ist einem ständigen Wechselspiel zwischen Erfahrung und Entwicklung unterworfen. Ulrich Schnabel erläutert: „Zwar ist die nötige genetische Grundausstattung in uns allen angelegt, doch die einzelnen Funktionen müssen erst durch die konkrete Erfahrung aktiviert werden.“ Fehlt eine Rückmeldung von außen, verschalten sich zum Beispiel im Gehirn die einschlägigen Neuronen und Areale nicht richtig, sodass sich die entsprechenden Fähigkeiten sich nicht entwickeln können. Zugleich wird in den ersten Tagen und Wochen der emotionale „Grundton“ gesetzt, der für das Gefühlsleben eines Kindes entscheidend wird. Denn das innere Erleben eines Kleinkindes wird vor allem über die emotionalen Reaktionen seiner Bezugspersonen definiert. Wird es babygerecht angesprochen und angelächelt, erlebt sich das Kind selbst als freudeerzeugendes Wesen, das Liebe hervorruft. Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.

Weiterlesen