Die Liebe ist für Max Scheler ein Urakt

Max Scheler vertritt eine Aktphänomenologie, für die das Fühlen als intentionaler Akt eine zentrale Rolle einnimmt. So etwa beim Erfühlen von Werten in seiner bekannten Schrift „Der Formalismus in der Ethik und die materielle Wertethik“. Mit welcher er sich nicht nur gegen die kantische Pflichtethik wendete. Sondern mit der er auch die Grundlegung einer bis heute einflussreichen Position der Wertethik vorlegte. Es verwundert daher nicht, dass in einer Theorie, die das Fühlen derart aufwertet, auch der Liebe eine wichtige Rolle zugeschrieben wird. Max Scheler postuliert einen Primat des Emotionalen im geistigen Geschehen. Dabei versteht er die Liebe als den „Urakt“ menschlicher Geistestätigkeit. Er geht hier von einem christlichen Liebesgedanken aus, wobei er stark an augustinische Gedanken anknüpft. Max Scheler (1874–1928) war ein deutscher Philosoph, Psychologe, Soziologe und Anthropologe.

Weiterlesen

Für Giacomo Leopardi war das Leben ein pausenloser Horrortrip

Obgleich der italienische Dichter und Philosoph Giacomo Leopardi (1798 – 1837) adliger Herkunft war und Privatunterricht durch konservative katholische Priester genoss, entwickelte er sich zum Hohepriester des Nihilismus und Pessimismus. Daniel Klein schreibt: „Für ihn war das Leben ein pausenloser Horrortrip. Er betrachtete das ganze Leben, als wäre es die Erfüllung eines alten russischen Fluches.“ Etwas in der Art von: „Du sollst auf dem Gehweg einen Rubel finden, aber ihn vor lauter Arthrose nicht aufheben können.“ Dieser Italiener sah die Existenz als einen großen Witz an. Die Menschen bekommen ein Leben voller Versprechungen ausgehändigt, aber am Ende werden sie eine Enttäuschung nach der anderen erlebt haben. Haha. Daniel Klein, Jahrgang 1939, studierte Philosophie in Harvard. Zusammen mit Thomas Cathcart schrieb er „Platon und Schnabeltier gehen in eine Bar“, das in 26 Sprachen übersetzt wurde.

Weiterlesen

Die Leistungsgesellschaft ist extrem konkurrenzorientiert

Der Siegeszug des Leistungsprinzips hat unter anderem dazu beigetragen, dass fast jeder Mensch davon überzeugt ist, im Grunde eine großartige Persönlichkeit zu sein. David Brooks fügt hinzu: „Er hat außerdem Tendenzen zu Selbstverherrlichung verstärkt. Jeder, der die letzten sechzig bis siebzig Jahre durchlebt hat, ist das Produkt einer Leistungsgesellschaft, die extrem konkurrenzorientiert geworden ist.“ Die meisten dieser Menschen haben ihr Leben mit dem Versuch verbracht, etwas aus sich zu machen, etwas zu bewirken, einigermaßen erfolgreich zu sein. Das bedeutete, sich im Wettstreit mit anderen durchzusetzen und möglichst gute Leistungen zu erzielen – in der Schule gute Noten zu bekommen, an einer renommierten Hochschule zu studieren, den richtigen Job zu ergattern, beruflich erfolgreich zu sein und sozial aufzusteigen. David Brooks arbeitet als Kommentator und Kolumnist bei der New York Times. Sein Buch „Das soziale Tier“ (2012) wurde ein internationaler Bestseller.

Weiterlesen

Viele Menschen fürchten sich vor der Freiheit

Anstatt den Einzelnen zu ermutigen, seine Interessen klar zu artikulieren und seine Entscheidungen über die für ihn richtige Lebensführung selbst zu verantworten, verspricht die Ideologie der Gemeinschaft die trügerische Sicherheit ewig fest gefügter Werte, denen man sich unterzuordnen habe. Reinhard K. Sprenger weist darauf hin, dass schon vor gut 150 Jahren liberale Denker wie Alexis de Tocqueville und John Stuart Mill vor der „Tyrannei der vielen“ in der Demokratie warnten, der sich der Einzelne kaum noch entziehen könne. Die Selbstregierung des Volkes schriebt John Stuart Mill, bedeute ja keineswegs „die Regierung jedes Einzelnen über sich selbst, sondern jedes Einzelnen durch alle Übrigen“. Sozialer Druck hat nicht nur eine gleichschaltende Kraft, er entwöhnt die Menschen auch des Gebrauchs der Selbstbestimmung. Reinhard K. Sprenger ist promovierter Philosoph und gilt als einer der profiliertesten Managementberater und Führungsexperte Deutschlands.

Weiterlesen

Matthew B. Crawford widmet sich der Wiedergewinnung des Wirklichen

Die sie umgebende Welt flutet die Menschen mit immer mehr und stärkeren Reizen. Es gibt sie, eine Krise der Aufmerksamkeit. Das geistige Leben wird zunehmend durch äußere Einflüsse manipuliert und fragmentiert. Zugleich wird die eigene Selbstverortung beeinträchtigt, denn viele Menschen eigenen sich die Wirklichkeit oft nur mittelbar an – aus zweiter Hand, über die Medien, nach Vorgaben der Wirtschaft oder des Mainstream. Der Philosoph Matthew B. Crawford fordert, dass sich die Menschen wieder einen direkten Zugang zu ihrer Umgebung erschließen müssen. Denn nur im konzentrierten Gesprächen und Auseinandersetzung mit echten Menschen und konkreten Tätigkeiten wird es den Individuen gelingen, eine wahre Individualität zu entwickeln. Dazu ist es erforderlich im Einklang mit der Welt zu handeln und sie nicht nur zu beobachten. Am Beispiel des Handwerks zeigt Matthew B. Crawford, wie wichtig dabei die konkrete Praxis ist. Denn diese hilft den Menschen dabei, sich in der Welt außerhalb ihres Kopfes zu verankern. Matthew B. Crawford ist promovierter Philosoph und gelernter Motorradmechaniker.

Weiterlesen

Das pure Vergnügen ist der einzige Lebenszweck

Der griechisch-lybische Philosoph Aristippos, der von 435 bis 356 vor Christus lebte, schrieb einst: „Die Kunst zu leben liegt darin, die an uns vorüberziehenden Freuden zu ergreifen. Die größten Freuden sind nicht die geistigen, und moralisch sind sie auch nicht immer.“ Daniel Klein erinnert sich noch gut daran, was er fühlte, als er sich diesen Sinnspruch notierte: „Herausfordernd! Gewagt!“ Die sechziger Jahre mit ihrem Ethos totaler Freiheit begannen aufzudämmern, und er fühlte sich auf die Probe gestellt. Plötzlich kam ihm Epikurs vorsichtiger Hedonismus wie der Bluff eines schüchternen Mannes vor. Aristippos war der echte Stoff – ein war ein ungezügelter Hedonist. Daniel Klein, Jahrgang 1939, studierte Philosophie in Harvard. Zusammen mit Thomas Cathcart schrieb er „Platon und Schnabeltier gehen in eine Bar“, das in 26 Sprachen übersetzt wurde.

Weiterlesen

Tony Judt beschreibt das Berufsethos des Historikers

Der Historiker Tony Judt hegt keinen Zweifel daran, dass man die Vergangenheit nicht für gegenwärtige Zwecke erfinden noch in den Dienst nehmen kann. Das ist seiner Meinung nach allerdings nicht so offensichtlich, wie es vielleicht scheint. Denn für viele Historiker ist die Geschichtsschreibung heutzutage tatsächlich eine Übung in angewandter Polemik. Tony Judt erklärt: „Man will etwas aufdecken, was in herkömmlichen Narrativen ignoriert wird – eine bestimmte Interpretation der Vergangenheit zurechtrücken, weil man in der Gegenwart Partei ergreifen will.“ Wenn dies ganz unverhohlen praktiziert wird, findet das Tony Judt deprimierend. Denn das ist seiner Ansicht nach Verrat an der Geschichtsschreibung, deren Aufgabe darin besteht, die Vergangenheit zu verstehen! Der britische Historiker Tony Judt lehrte in Cambridge, Oxford und Berkeley. Er starb 2010 in New York.

Weiterlesen

Die Abkehr vom Wachstum ist ein politisches Projekt

Mehr als je zuvor werden im Namen der Wirtschaftsentwicklung die Bevölkerungen ganzer Länder und ihr konkretes, lokales Wohlergehen auf dem Altar eines abstrakten, an keinen Ort mehr gebundenen Wohlstands geopfert. Serge Latouche stellt fest: „Wachstum ist heute nur rentabel, wenn seine Kosten auf die Natur, zukünftige Generationen, die Konsumenten, die Beschäftigten und vor allem die Länder des Südens abgewälzt werden.“ Deshalb ist seiner Meinung nach der Bruch mit der Wirtschaftsideologie notwendig. Aber genau das Gegenteil ist heute der Fall: Alle modernen Regime stützen sich auf die Steigerung der Produktivität. Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich dabei um Republiken, Diktaturen oder totalitäre Systeme handelt. Serge Latouche ist emeritierter Professor für Wirtschaftswissenschaften der Universität Paris-Sud. Der Ökonom und Philosoph gilt als einer der wichtigsten Vordenker des französischen Konzepts der Rücknahme des Wachstums.

Weiterlesen

Die Stoiker bestimmen den Affekt als falsches Urteil

Theorie und Analyse in der Philosophie und Rhetorik des 17. und 18. Jahrhunderts wären ohne die Vorarbeit des Aristoteles nicht möglich gewesen. Er hat zwar seinen Gedanken keine systematische Form gegeben, aber über die Affekte quasi nebenbei in seinen Schriften wie der „Nikomachischen Ethik“, „Rhetorik“ und „De anima“ reflektiert. In ihnen ist die Formulierung vom Erleidnis der Seele zentral. Aristoteles entwirft eine Bewegungstheorie mit den Kategorien Aktivität und Passivität, die besonders in seiner Schrift „De anima“ entfaltet wird. Danach besitzt die Seele des Menschen ein wahrnehmendes, denkendes und bewegendes Vermögen, Streben und Vorstellungskraft. In der Ethik geht es Aristoteles um Mäßigung, den Ausgleich zwischen extremen Handlungen oder Affekten. Das „Erleidnis der Seele“ ist ein Bewegtwerden der Seele mit eigener Aktivität und mit dem Körper geteilter Passivität.

Weiterlesen

Emotionen haben große Macht über das Handeln der Menschen

Schon seit der Antike wurde in der Philosophie und Rhetorik über die Emotionen nachgedacht. Ihnen wurde große Macht über das Handeln der Menschen zugeschrieben. Die Affekte wurden vor allem als „passio animae“ und als „appetitus sensitivus“, als Leidenschaft und als sinnliches Strebevermögen der Seele aufgefasst. Seit der Antike bemüht man sich auch um eine Art ausdifferenzierter Nomenklatur. Von Aristoteles über Cicero, Thomas von Aquin bis hin zu Immanuel Kant finden sich Versuche der Bestimmung, der Hierarchisierung und der Ausdifferenzierung der Affekte. Das Wissen über die Emotionen dient der Selbstführung und der Herrschaft. Vor dem Jahr 1800 wurde eine kontinuierliche Diskussion über die Affekte geführt. Danach bricht zumindest das philosophische Interesse an Lehren über Affekte ab. Die Emotionen werden nun zu einem wichtigen Arbeitsgebiet der entstehenden Psychologie.

Weiterlesen

Kurt Tucholsky wird als Autor für das Kabarett berühmt (5. Teil)

Kurt Tucholsky beschreibt sich selbst als immer Suchender ohne festgeprägtes Weltbild, als nie zufriedener Aufklärer, angetrieben vom ewigen Imperativ Gerechtigkeit und Freiheit. Weder das marxistische System noch die pragmatische Variante der „Formaldemokratie“ was sein Ziel, sondern ein Kulturstaat im Sinne von Johann Gottlieb Fichte und Ferdinand Lassalle. Freiheitliches Ethos, Sozialreform, das Gefühl der Gemeinschaft, internationale Friedenspolitik und kulturelle Entwicklung waren die Grundpfeiler dieser Demokratievorstellung mit einer liberal-aristokratischen Tendenz. Linksintellektuelle wie Kurt Tucholsky waren keine Politiker, sondern sozial abwägende Ethiker. Das Primat der Ethik steht dabei über allen gesellschaftlichen Realitäten. Kurt Tucholsky fragt beispielsweise: „Habt ihr nicht mehr den Mut, das Ideal zu fordern, als sei es erreichbar?“ Theodor Herzl stellt schon 1895 fest: „Die Macht einer Idee besteht darin, dass es vor ihr kein Entkommen gibt.“

Weiterlesen

Wolfgang Kersting kritisiert den kalten Wirtschaftsliberalismus

Die ökonomischen Ordnungsdenker vertreten die grundlegende Ansicht, dass die Wirtschaft einer Ordnung bedarf. Die Überzeugung der Selbstregulation des Wirtschaftsliberalismus war für sie eine Illusion. Wolfgang Kersting erklärt: „Überlässt man den Markt sich selbst, stiftet er nur Unheil. Nicht nur wird die Marktfreiheit durch entstehende ökonomische Machtkonstellationen zerstört; auch wird die gesellschaftliche Umwelt des Markes vergiftet.“ Ein sich selbst überlassener Markt ist seiner Meinung nach wie ein Virus, der die gesamte Gesellschaft ansteckt, das Denken und Handeln der Politik verändert und das Muster der Selbstverständigung der Kultur unterhöhlt. Wolfgang Kersting, emeritierter Professor für Philosophie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat sich vor allem mit den Themen Sozialstaat, Gerechtigkeit und Gesellschaftsordnung beschäftigt. Er veröffentlichte Bücher über Platon, Machiavelli, Thomas Hobbes, John Rawls sowie über Immanuel Kants Rechts- und Staatsphilosophie.

Weiterlesen

Das Zentrum der Meinungsbildung war in Athen die Agorá

Der große griechische Denker der Antike, Aristoteles, hat den Menschen als „zoon politikón“, also als politisches Wesen, bezeichnet. Denn er unterscheidet sich vom Tier und von den Göttern dadurch, dass er in der Polis lebt, dem Gemeindestaat mit seinen überschaubaren Grenzen. Tatsächlich gab es im antiken Griechenland nie einen griechischen Gesamtstaat und auch die einzelnen Polis waren mit ihrem bescheidenen Territorium zufrieden, selbst wenn sie die Möglichkeit hatten, in ihrem Hinterland zu expandieren. Aus den Zeiten der Wanderung war sowohl der Gleichheitsbegriff des Wehrgedankens als auch ein ritterliches Ethos einer Adelsgesittung erhalten geblieben. Diese wurde im homerischen Epos gefeiert und bei den panhellenischen Spielen praktiziert. Beide Komponenten wurden allerdings in den verschiedenen griechischen Stadtstaaten auf höchst unterschiedliche Weise umgesetzt. Die möglichen Gegensätze repräsentierten Athen und Sparta.

Weiterlesen

Hellmut Flashar gibt eine Einführung in die Ethik des Aristoteles

Die Grundkonzeption der Ethik des Aristoteles ist einfach und natürlich. Es ist laut Hellmut Flashar keine Pflichtethik, keine Ethik, die eine Umkehr von allen gewohnten Anschauungen fordert, sondern eine Ethik ohne Metaphysik für den normalen Bürger, der ohne allzu große materielle Sorgen einfach zu verwirklichende Tugenden praktizieren kann. Hellmut Flashar erklärt: „Aristoteles formulier eine aus der Erfahrung und der communis opinio gewonnene Voraussetzung: Der Mensch ist ein strebendes Wesen. Jedes Können, jede Handlung und Entscheidung ist zielgerichtet, und zwar auf ein Gutes.“ Dabei muss das Gute nicht ein wirkliches, sondern kann auch ein scheinbar Gutes sein. Hellmut Flashar lehrte bis zu seiner Emeritierung als Klassischer Philologe an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zu seinen bekanntesten Werken zählen „Inszenierung der Antike. Das griechische Drama auf der Bühne. Von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart“ und „Sophokles. Dichter im demokratischen Athen“.

Weiterlesen

Tomáš Sedláček erzählt die Geschichte der Ökonomie

In seinem Buch „Die Ökonomie von Gut und Böse“ begibt sich der Wirtschaftswissenschaftler Tomáš Sedláček auf eine Expedition über die Grenzen der Ökonomie hinaus und erforscht die Verbindung der Wirtschaft zur Geschichte, zur Psychologie und zu den alten Mythen. Er unterstreicht damit, wie tief die Ökonomie in der Kultur der Menschheit verwurzelt ist. Sie reicht weit in die Geschichte zurück. Schon etwa 400 vor Christus sagte Xenophon, dass es etwas wie eine Wissenschaft der Ökonomie gibt, selbst wenn jemand über keinen Reichtum verfügt. Tomáš Sedláček lehrt an der Prager Karls-Universität, ist Chefökonom der größten tschechischen Bank und Mitglied des Nationalen Wirtschaftsrats in Prag.

Weiterlesen

Maurice Merleau-Ponty kritisiert die Technikgläubigkeit

Obwohl Naturwissenschaft und Technik unwiderstehlich voranschreiten, bewirken sie für Maurice Merleau-Ponty keine fundamentale Förderung der Humanität. Denn das menschliche Ethos hat offenbar nur wenige Berührungspunkte mit dem Begreifen der Natur und der technischen Allmacht über dieselbe. Jedenfalls hat es die Menschheit erlebt, dass Wissenschaft und Technik ohne Moral sich durchaus in den Dienst tyrannischer Herrschaftssysteme stellen lassen. In den Kriegen gehört es zu den Selbstverständlichkeiten, dass die großartigen technischen Erkenntnisse und Maschinen zur Vernichtung von Menschen eingesetzt werden. Die Naturwissenschaften sind laut Max Scheler eine Art von Herrschaftswissen, in denen keinerlei Heilswissen enthalten ist.

Weiterlesen