Der Lebensschwung beansprucht Dynamik

Das Titelthema des neuen Philosophie Magazin 05/2023 beschäftigt sich diesmal mit der Frage: „Woher kommt der Lebensschwung?“ Wodurch die Existenz ins Schwingen gebracht wird, ist ganz unterschiedlich. Das kann eine Berührung sein oder eine Begegnung mit einem Menschen. Für Chefredakteurin Svenja Flaßpöhler ist jedoch eines ganz grundsätzlich klar: „Das Ja zum Leben – die Lebendigkeit – muss mit einem Mehr, mit einem Überschuss zu tun haben. Mit Momenten, die nicht einfach dem biologischen Lebenserhalt dienen, sondern den Sinn der Existenz unmittelbar fühlbar machen.“ Während der Lebensschwung Dynamik beansprucht, ist ein Dasein, das sich in Arbeit und Pflichterfüllung erschöpft, starr. Heutzutage stehen sich zwei Existenzformen diametral gegenüber: Auf der einen Seite die Pflicht, auf der anderen Seite die Lust. Der Lebensschwung weist auf einen dritten gangbaren Weg hin. Regel und Freiheit, Pflicht und Lust sind in ihm dialektisch verschränkt zu einer ganz anderen Existenzweise.

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Martha Nussbaum beschreibt einige menschliche Schwächen

Die Verachtung gleicht dem Zorn darin, dass sie ein Zielobjekt und einen Fokus hat: Ihren Fokus bilden eine oder mehrere Eigenschaften einer Person und ihr Zielobjekt ist die aufgrund dieser Eigenschaften als niedrig oder gering geltendes Individuum. In beiden Fällen handelt es sich bei dem Zielobjekt um eine Person. Martha Nussbaum ergänzt: „Der Fokus des Zorns aber liegt auf einer Handlung, jener der Verachtung auf einer oder mehreren relativ beständigen Persönlichkeitseigenschaften.“ Die Verachtung nimmt ihren Anfang in der angeblichen Niedrigkeit einer Person, der gewisse gute Charaktereigenschaften abgesprochen werden, seien es moralische oder soziale.“ Die ablehnende Haltung resultiert also aus der wahrgenommenen Niedrigkeit. Martha Nussbaum ist Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart.

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Die Moderne erinnert an einen Marsch in die Knechtschaft

In seinem neuen Buch „Traurige Moderne“ erkennt Emmanuel Todd in den Familienstrukturen den unbewussten Motor der Geschichte. Von dieser Beurteilung aus erzählt er die Geschichte der Menschheit neu: Vom frühen Homo sapiens, der in Kleinfamilien lebte, über die großen Kulturen des Altertums mit ihren immer komplexeren Großfamilien bis zur Rückkehr des Homo americanus zur Kernfamilie der Steinzeit. Emmanuel Todd zeigt, wie sich seit der Steinzeit unterschiedliche Familiensysteme verbreitet haben, die bis heute die Mentalitäten der Menschen zutiefst prägen. Er beschreibt die Dynamik der amerikanischen Gesellschaft mit ihren primitiven Kleinfamilien und die Unbeweglichkeit von Kulturen mit hochkomplexen patriarchalischen Großfamilien, und er erklärt den europäischen Konflikt zwischen einer deutschen Stammfamiliengesellschaft und Gebieten mit egalitären Familienstrukturen. Emmanuel Todd ist einer der prominentesten Soziologen Frankreichs.

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Die Digitalisierung entwickelt eine gewaltige Macht

In den globalisierten Gesellschaften der Moderne setzt sich die Digitalisierung in allen Bereichen und Branchen immer mehr durch. Viele Menschen schauen mit frohen Hoffnungen auf diese Entwicklung, aber es gibt auch nicht wenige, die davor Angst haben und sich fürchten. Inzwischen erkennen alle Volkswirtschaften die Digitalisierung als gewaltige Macht an. Für den Philosophen Richard David Precht lautet eine der aktuellen Fragen nicht: „Wie werden wir leben? Sondern: Wie wollen wir leben?“ Heute gleiten viele Menschen durch Zeit und Raum, befreien sich von harter und langweiliger Arbeit, basteln sich virtuelle Welten, überwinden Krankheiten und werden irgendwann uralt, vielleicht sogar fast unsterblich. Heute am Anfang der vierten industriellen Revolution werden nahezu alle Lebensbereiche des Menschen umgewälzt. Der Philosoph, Publizist und Bestsellerautor Richard David Precht zählt zu den profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.

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Stephan Lessenich begibt sich auf die Spur des pätmodernen Kapitalismus

Mitte der 1970er Jahre veröffentlichte der amerikanische Soziologe Daniel Bell unter dem Titel „The Cultural Contradictions of Capitalism“ eine zeitdiagnostische Streitschrift zum Zustand der US-Gesellschaft. Stephan Lessenich erläutert: „Wenn man so will, dann sah Daniel Bell die USA seiner Zeit von einer Art nicht spätrömischer, sondern spätmoderner Dekadenz ergriffen, deren Wurzeln er in der systematischen – oder genauer: normativen – Entkopplung von Kultur und Ökonomie verortete.“ Durch die Entstehung und gesellschaftliche Verbreitung einer „postmaterialistischen“ Kultur, so Daniel Bells Kernaussage, werde die Funktionsfähigkeit der kapitalistischen Ökonomie systematisch unterminiert. Dabei sei es der der durch die lange Phase wirtschaftlicher Prosperität der Nachkriegszeit gewissermaßen selbst induzierte Verlust des die kapitalistische Wirtschaft seit ihren Anfängen durchdringenden und tragenden „Geistes“, der die stabile Reproduktion der industriekapitalistischen Gesellschaftsformation und ihrer Sozial- beziehungsweise Klassenstruktur grundlegend in Frage stellte. Dr. Stephan Lessenich ist Professor am Institut für Soziologie der Ludwig-Maximilians-Universität München.

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Das Unbehagen am Kapitalismus ist weit verbreitet

Das unbestreitbar Neue am modernen Kapitalismus, wie er seit knapp zwei Jahrhunderten die westliche Wirtschaft formt, ist seine Dynamik. Sie entsteht, weil Unternehmen ihre Gewinne nicht anhäufen, sondern gleich wieder investieren, vorzugsweise in neue Technik, die dazu führt, dass noch mehr und noch billiger produziert und noch mehr Geld verdient wird. Und so weiter. Auf diese Weise wuchs das Vermögen, vermehrte sich die Masse der Konsumgüter, wuchs die Wirtschaft in einem bisher nie gekannten Maße. Allerdings kam es dadurch auch zu einer völlig neuen Ballung ökonomischer Macht. Heute benutzen den Begriff „Kapitalismus“ fast nur noch seine Kritiker. Vor allem bündelt der Begriff das Unbehagen am aktuellen Wirtschaftssystem. An der Tendenz, allem einen Preis zu geben. An dem Trend, für den wirtschaftlichen Vorteil jede Moral beiseite zu stellen.

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Das Begehren gilt als die eigentliche Dynamik der Zivilisation

Der Begriff „Zivilisation“ bezeichnet eine Welt, die der Mensch mit seinen Händen geschaffen hat. Sie drängt die Natur so weit zurück, dass der Mensch in seiner Umgebung auf fast nichts mehr trifft, was nicht ihn selbst widerspiegelt. Terry Eagleton ergänzt: „Uns fällt es schwer, uns zu vergegenwärtigen, wie neu diese Art von Umwelt ist im Vergleich zu den weitgehend naturbestimmten Lebensweisen, die ihr vorausgingen.“ Terry Eagleton zweifelt nicht daran, dass das Bedürfnis nach einer Befreiung vom kollektiven Narzissmus einer der Gründe ist, warum der Natur in jüngerer Zeit ein so spektakuläres Comeback gelungen ist. Eine Welt, in der fast alles, mit dem man es zu tun hat, aus den Händen des Menschen stammt, scheint jeder Transzendenz entkleidet zu sein. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

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Die Nationalsozialisten ergriffen am 30. Januar 1933 die Macht

Ausschlaggebend für die Machteroberung der Nationalsozialisten 1933 in Deutschland waren vor allem zwei Faktoren: zum einen das stete Hinarbeiten der nationalkonservativen Führungsgruppen auf eine autoritäre, nicht parlamentarisch gebundene Elitendiktatur; zum anderen die Tatsache, dass nach dem abermaligen Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft ein wachsender Teil der Gesellschaft das Vertrauen in das politische System von Weimar verloren hatte und entschlossen war, radikalere und zukunftsträchtigere Alternativen auszuprobieren. So wurde am 30. Januar 1933 die neue Regierung vereidigt, der allerdings nur drei Nationalsozialisten angehörten. Adolf Hitlers Regierungserklärung unterschied sich in der Sache nicht wesentlich von denen seiner Vorgänger. Ulrich Herbert erklärt: „Überwindung von Massenarbeitslosigkeit und Agrarkrise; Reform des Verhältnisses von Reich, Ländern und Kommunen; Fortsetzung der Sozialpolitik und Wiederherstellung der außenpolitischen Gleichberechtigung Deutschlands – das waren die wesentlichen Programmpunkte.“ Ulrich Herbert zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern der Gegenwart. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

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Ab 1860 prägten die Liberalen die Entwicklung Wiens

Die österreichische Hauptstadt Wien war im Jahr 1860 eine aufblühende Stadt, das schnell gewachsene Zentrum einer Vielvölkermonarchie mit moderner Architektur und vielfältigem Kulturleben. Peter-André Alt erläutert: „Wirtschaftliche Macht, technischer Fortschritt und eine euphorische Gründerstimmung zogen Menschen aus allen Teilen des großen Kaiserreichs an.“ Die äußerliche Situation, die von Dynamik und Aufbruchswillen zeugte, verbarg jedoch, dass das Kaiserreich eine krisenhafte Phase durchlief. Seit Dezember 1848 regierte Franz Joseph I. im Zeichen eines Neoabsolutismus, der jegliche parlamentarische Kontrolle ausschloss und die Errungenschaften der Märzrevolution kassierte. Der Deutsche Bund gegen Preußen verkörperte eine immer instabilere Allianz, die 1866 aufgelöst wurde. Außenpolitisch war Österreich in den 1860er Jahren an die Grenzen seiner Expansionsfähigkeit gelangt. Peter-André Alt ist Professor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte an der Freien Universität Berlin.

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Der Markt zählt zu den ältesten gesellschaftlichen Erfindungen

Die Menschheit kennt mehr als nur eine Ordnungsform visionärer Kraft, die sich dem Prinzip Freiheit verpflichtet. Zusätzlich zur dreidimensionalen Kultivierung, also den visionären Kräften von Technik, Medizin und Erziehung, gibt es die konstitutionelle Demokratie. In ihr wird die politisch notwendige Herrschaft von den Betroffenen selbst ausgeübt und dabei an Freiheitsrechte, an negative und positive Freiheiten, gebunden. Otfried Höffe fügt hinzu: „Eine dritte Vision, eine der ältesten gesellschaftlichen Erfindungen, der Markt, erlaubt den Menschen, das für sie notwendige Arbeiten und Wirtschaften sowie jede Form von Wettstreit und Konkurrenz frei und selbstbestimmt, ohne Einschränkung seitens Dritter, vorzunehmen.“ In Bezug auf die Arbeit ergänzt der Markt das Freiheitspotential der Technik. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Niccolò Machiavelli war ein Lehrer des Bösen

Als Dacher Keltner vor 20 Jahren mit seiner Untersuchungen von Macht begann, wurden diese oft mit Zwang, Gewaltausübung und Herrschaft gleichgesetzt. Diese Gleichsetzung der Macht mit Gewaltausübung fand ihren klarsten Ausdruck in Niccolò Machiavellis Buch „Der Fürst“. Dacher Keltner stellt fest: „Es gehört zu den hundert einflussreichsten Büchern, die je geschrieben wurden und hat die Handlungsweisen von einigen der mächtigsten Herrscher der Geschichte bestimmt.“ „Der Fürst“ ist auch heute noch ein wichtiger Text bei der Ausbildung von Führungskräften. Der Politologe Leo Strauss von der University of Chicago stellte allerdings fest, dass Niccolò Machiavelli ein Lehrer des Bösen war und dass der Gewinn und Erhalt von Macht nichts mit Ethik zu tun hat, wie so viele irrtümlich meinen. Dacher Keltner ist Professor für Psychologie an der University of California in Berkeley und Fakultätsdirektor des UC Berkeley Greater Good Science Center.

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Von der unvernünftigen Masse gehen ernste Gefahren aus

In der Geschichte der Politik kann man durchgehend eine Angst vor der Masse erkennen, dem „Plebs“, wie die römischen Senatoren sie nannten. Bilder von Aufruhr, Brandstiftung und Plünderung kommen einem in den Sinn. Kontrolle von oben ist unverzichtbar. Dass eine führerlose Masse eine eigene Dynamik entwickelt, wusste bereits Gustave Le Bon. In „La psychologie des foules“ (1895), deutsch „Psychologie der Massen“, studiert er die revolutionären Massen während der Französischen Revolution. Paul Verhaeghe kennt seine Studienergebnisse: „Er kommt zu dem Schluss, dass Menschen in einer Gruppe auf das Niveau des dümmsten Gruppenmitglieds zurückfallen und ihren niedersten Trieben nachgeben.“ Fünfundzwanzig Jahre später untersucht Sigmund Freud organisierte Gruppen mit einem „Führer“ an der Spitze. Auch er weist auf die Gefahren hin. Paul Verhaeghe lehrt als klinischer Psychologe und Psychoanalytiker an der Universität Gent.

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Traumatisierungen entstehen durch emotional nicht anwesende Eltern

Eine Gruppentherapie hilft vor allem bei Angsterkrankungen, sozialer Phobie, Schizophrenie und Persönlichkeitsstörungen, so eine Analyse der Universität Jena. Sie ist nicht nur wirksam in mancherlei Fällen, sondern auch kostengünstiger im Vergleich zu Einzeltherapien. Und sie hilft mehreren Menschen gleichzeitig – in Zeiten von knappen Therapieplätzen ist die Gruppentherapie unter Umständen eine sinnvolle Alternative. Bei zugelassenen Therapeuten übernehmen die Kassen die Kosten grundsätzlich genauso wie für die Einzeltherapie. Alle Menschen brauchen eine Verbindung zu anderen Menschen. Ohne sie kann man nicht leben. Aber viele haben damit Probleme wie beispielsweise Beziehungen zu führen, in Kontakt mit anderen zu treten – das fällt ihnen schwer. Oder sie haben nie gelernt, sich selbst wahrzunehmen. Etwa zu fühlen, wie sich Wut von Trauer unterscheidet. Sie haben vielleicht nie gelernt, Gefühle und Bedürfnisse auszudrücken. Sie haben nie erfahren, wie wichtig diese sind.

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Populisten sind auf der ganzen Welt auf dem Vormarsch

In der Türkei ist mit Recep Tayyip Erdoğan ein Staatspräsident an die Macht gelangt, der zwar demokratisch gewählt wurde, aber die Demokratie mit Füßen tritt, um seinen Anspruch auf Alleinherrschaft zu zementieren. Auch in Deutschland sammelt die AfD alle jene ein, die sich maßlos ärgern, dass es zur „Alternativlosigkeit“ Angela Merkels keine Alternative geben soll. Dass diese Bewegung so eine Dynamik erlangt hat, ist nach Erkenntnissen von Experten auch auf den Einfluss der Massenmedien zurückzuführen, in deren Berichterstattung fast nur noch das Negative dominiert. Die Wirklichkeit werde als gigantisches Versagen dargestellt und die Strukturen dieser nach oben offenen Pleitenskala prägten schon seit langem den öffentlichen Diskurs. Wie die Populisten verfolgten auch die Massenmedien im Grunde nur ein Ziel: Aufmerksam um jeden Preis.

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Massenmörder ist heutzutage eine Karriere geworden

„Sinnlose“ Massenmorde gehören zu den großen Gesten in den Konsumgesellschaften des 21. Jahrhunderts. Wolfgang Schmidbauer stellt fest: „Sie werden zunehmen und uns bedrohen, bis wir ein wirksames Gegenmittel finden.“ Die meisten gewissenhaften Selbstbeobachter werden zugeben, dass ihnen Mordimpulse nicht gänzlich fremd sind. Massenmörder ist heutzutage eine Karriere geworden. Die meisten Täter schaffen sich durch die Tat aus der physischen Welt, hoffen aber auf unsterblichen Ruhm. Diese Formen des Massenmords sind wie eine Seuche. Sie breitet sich aus. Wenn wir eine Kurve der Zahlen von Tätern und Opfern zeichnen könnten, sie würde steil ansteigen. Wo die Suche nach den Wurzeln der Tat etwas tiefer graben kann, entdeckt sie den Zusammenprall von Krisen des Selbstwertgefühls mit dem als erlösend und ruhmreich imaginierten Endpunkt des Massenmordes.

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Erfindungen fördern die Bewegung der Aufklärung

Die Bewegung der Aufklärung wurde beflügelt durch die großen Erfindungen der Neuzeit wie Buchdruck, Seekompass, Schiffsuhr, Fernglas, Mikroskop und so weiter. Diese Innovationen trugen direkt oder indirekt zur Verbesserung der Erfahrungserkenntnis bei. Entdeckungsreisen erweiterten die Kenntnis der Erde und der auf ihr lebenden Menschen, Tiere und Pflanzen in ungeheurem Ausmaß. Die Weltumsegelungen von James Cook, der von 1728 bis 1779 lebte, bildeten das eindrucksvollste Beispiel. Sein wissenschaftlicher Begleiter Georg Forster schrieb: „In einem gleichen Zeitraum hat niemand je die Grenzen unseres Wissens in gleichem Maße erweitert.“ Mithilfe von Fernrohr und Mikroskop eröffneten sich neue Makro- und Mikrowelten. Die Grenzen dieser Instrumente ließen aber auch ahnen, wie viele Dinge im Universum weiter verborgen bleiben müssen. Eine besondere Leitbildfunktion hatte die wissenschaftliche Revolution des 17. Jahrhunderts.

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Die soziale Ungleichheit nimmt weiter zu

Lohndumping ist einer der Faktoren für die steigende Ungleichheit in Deutschland und bedeutet im Grunde nichts anderes, als dass die Früchte der Produktion immer mehr jenen zugutekommen, die Karl Marx Kapitalisten nannte, und immer weniger jenen, die er als Proletariat bezeichnete und die man heute Prekariat nennt. Thomas Seifert erklärt: „Diese Entwicklung beschleunigt die Dynamik der privaten Kapitalakkumulation, die zwangsläufig zu einer immer stärkeren Konzentration von Reichtum und Macht in den Händen weniger führt, wie Marx im 19. Jahrhundert annahm.“ Thomas Piketty schreibt in seinem Bestseller „Das Kapital im 21. Jahrhundert“: „Durch die Fortschritte und die Ausbreitung des Wissens konnte die marxistische apokalyptische Vision zwar vermieden werden, aber dadurch hat sich an den Tiefenstrukturen des Kapitals und den Ungleichheiten nichts geändert.“ Thomas Seifert ist stellvertretender Chefredakteur und Leiter der Außenpolitik bei der Wiener Zeitung.

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Der Staat handelt nicht immer im Interesse des Gemeinwohls

Ebenso wie die Märkte unterliegen auch staatliche Strukturen einer Dynamik, die nicht automatisch dazu führt, dass der Staat im Interesse des Gemeinwohls agiert. Gerhard Schick erklärt: „Auch staatliche Macht kann problematisch sein. Und gerade zurzeit wird der Staat von vielen Menschen als der „Staat der anderen“ wahrgenommen.“ Machtwirtschaft ist auch dem staatlichen Bereich nicht fremd. Denn die Strategie, mittels staatlicher Institutionen individuelle Interessen zu verfolgen, ist häufig lukrativ. Einer der für Gerhard Schick wichtigsten Ökonomen bei der Analyse machtwirtschaftlicher Strukturen ist Mancur Olson. Der Kern seiner Arbeit betraf Machtstrukturen in Markt und Staat und wie diese jegliche positive Entwicklung hemmen können. In seinem Werk „Die Logik des kollektiven Handelns“ beschreibt er, wie kleine Interessengruppen den Staat überaus effizient für ihre Belange einspannen. Der grüne Politiker Gerhard Schick zählt zu den versiertesten Ökonomen im Deutschen Bundestag.

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Das Leben ist widersprüchlich und immer in Bewegung

Aristoteles sagt: „Die Aufgabe des Weisen ist das Ordnen.“ Seit der Entstehung der Welt gilt Ordnung als das Schöne. Ihr Gegenspieler ist das Chaos. Und Unordnung bestätigt zugleich die Notwendigkeit der Ordnung. Sie gilt im kosmischen Bereich als absolut, in dem die Sterne unabänderlich ihre Bahnen ziehen. Es ist die Dynamik von Unordnung und Ordnung, die es Platon erlaubt, Ordnung als universellen Begriff außer Zweifel zu stellen. Wilhelm Berger erklärt: „Seine universelle Ordnung setzt er daher in eine gleichzeitige Distanz und Nähe zur Wirklichkeit. Sie ist die Sphäre des Wesentlichen, welchem wir das eigentliche Sein zuschreiben in unsern Fragen und Antworten.“ Das Allgemeine gilt bei Platon immer mehr als das Besondere. Professor Wilhelm Berger lehrt am Institut für Technik- und Wissenschaftsforschung an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

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Um 1900 begeisterte der Fortschritt die Deutschen

Das Symbol einer forcierten Veränderungsdynamik in Deutschland um 1900 war die moderne Großstadt, was am deutlichsten in Berlin zu beobachten war. Der amerikanische Schriftsteller Mark Twain, der Berlin im Jahr 1892 besuchte, schrieb folgendes über die wachsende Metropole: „Es ist eine neue Stadt, die neueste, die ich je gesehen habe. Chicago nähme sich dagegen ehrwürdig aus, denn es gibt viele altaussehende Bezirke in Chicago, in Berlin jedoch nicht viele. Die Hauptmasse der Stadt macht den Eindruck, als sei sie vorige Woche erbaut worden.“ Ganze Stadtteile entstanden in Berlin um die Jahrhundertwende innerhalb weniger Jahre. Das Verkehrsaufkommen vervielfachte sich. Ein atemloses Tempo bestimmte das Leben. Ulrich Herbert zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern der Gegenwart. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

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Flüchtlinge sind der Preis des globalen Kapitalismus

Der Philosoph Slavoj Žižek behauptet: „Europa wird nicht von islamischen Horden bedroht, sondern steckt in der Zwickmühle zwischen zwei Kapitalismusmodellen.“ Wenn die Menschheit die aktuellen Probleme in den Griff bekommen will, braucht es seiner Meinung nach eine Solidarität mit den Entrechteten und Ausgebeuteten der Welt. Vor allem muss die Politik die Spielregeln in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen ändern, um die Gründe für Terror und Flucht zu beseitigen. Slavoj Žižek erklärt: „In den modernen Gesellschaften leben wir unter einer Art Kuppel, die die große Mehrheit der Menschen von Wohlstand und sozialer Teilhabe ausschließt. Was wir in Europa erleben, ist ein Ansturm von Kriegsflüchtlingen und Migranten aus armen und ruinierten Ländern. Diese Menschen versuchen, in unsere Kuppel des Wohlstands einzudringen.“ Flüchtlinge sind der Preis des globalen Kapitalismus.

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Friedrich Ebert wird von Max von Baden zum Reichskanzler ernannt

Friedrich Ebert, der vom Prinzen Max von Baden zum Reichskanzler ernannt wurde, stand seit dem 9. November 1918 einer Übergangsregierung, dem „Rat der Volksbeauftragten“ vor, der einen Tag später von der Vollversammlung der Berliner Arbeiter- und Soldatenräte bestätigt wurde. Ulrich Herbert erklärt: „Sein Hauptziel war zunächst die Eindämmung jener revolutionären Dynamik, der er seine eigene Machtübernahme verdankte. Um Ordnung, Sicherheit und Wohlfahrt herzustellen, wurden daher bereits in den ersten Tagen der Revolution vier Grundsatzentscheidungen getroffen, welche die weitere Entwicklung der deutschen Revolution nachhaltig prägten.“ Entscheidend war hier zunächst die Kontinuität der Behördentätigkeit: Polizei und Krankenhäuser, Finanzämter und Ministerialbürokratie sollten weiterarbeiten. Ulrich Herbert zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern der Gegenwart. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

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Das Verhalten wird vom emotionalen Umfeld bestimmt

Fast jeder Mensch lächelt unwillkürlich, wenn er von jemanden angelächelt wird. Schlechte Laune dagegen erfasst eine Person, wenn ihr ein mürrischer Blick begegnet. Diese sogenannte „emotionale Ansteckung“ haben Wissenschaftler in vielen Situationen nachgewiesen. In seinem neuen Buch „Was kostet ein Lächeln?“ beschreibt Ulrich Schnabel wie das menschliche Verhalten hauptsächlich vom emotionalen Umfeld bestimmt wird. Umso wichtiger ist der intelligente Umgang mit den Kräften der Emotionen, die jeden Tag an einem Menschen zerren und ziehen. Ulrich Schnabel erklärt: „Denn zum einen sind unsere Gefühle wichtige Navigationsinstrumente, mit deren Hilfe wir durchs Leben steuern. Zum anderen sind sie in der modernen Mediengesellschaft auch das Ziel massiver Interessen.“ Wer immer einem anderen etwas verkaufen möchte, spricht primär die Gefühle an, appelliert an den Wunsch nach Liebe und Zugehörigkeit oder an die Wut beziehungsweise Ängste. Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „ZEIT“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.

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Die Europäische Union muss den Finanzkapitalismus zähmen

Die Konturen der pazifischen Epoche lassen sich bereits erahnen, denn das Schwergewicht der Weltwirtschaft wandert Richtung Osten. Das hat auch für Europa und die USA Auswirkungen. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind nicht nur eine atlantische, sondern auch eine pazifische Macht. Thomas Seifert erläutert: „Die Westküste – bereits heute der Motor wirtschaftlicher Dynamik und Innovation in den USA – wird noch weiter an Bedeutung gewinnen.“ Ebenso könnten der Südosten und Osten Europas eines Tages von einer Landverbindung nach China profitieren, auch logistische Knotenpunkte könnten dort entstehen. Thomas Seifert fordert, das die Europäische Union (EU) eine eigenständigere Außenpolitik verfolgen muss, denn die USA und Europa haben in verschiedenen Regionen jeweils ihre eigenen Interessen. Thomas Seifert ist stellvertretender Chefredakteur und Leiter der Außenpolitik bei der Wiener Zeitung.

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Hoffnung ist für das menschliche Leben konstitutiv

C. G. Jung definiert den Begriff Hoffnung wie folgt: „Das Gefühl, dass das Leben nicht festgeschrieben ist, dass die Zukunft offen ist, dass immer etwas Neues vor uns liegt.“ Hoffnung ist die Grundbedingung für die Suche nach Sinn. Uwe Böschemeyer bestätigt diese Ansicht: „Sie ist der stärkste Anstoß zur Sinnsuche und damit der stärkste Beweg-Grund zum Leben. Denn nur wer darauf hofft, Sinnvolles finden zu können, sucht danach. Wer hofft, hat ein Gefühl für Sinn. Wer ein Gefühl für Sinn hat, will Sinn leben. Hoffnung ist für menschliches Leben konstitutiv.“ Im Jahr 1975 erwarb Uwe Böschemeyer bei Prof. Viktor Frankl sein Zertifikat in Logotherapie und Existenzanalyse. 1982 gründete er das Institut für Logotherapie in Hamburg. Die Schwerpunkte seiner Arbeit sind die Wertimagination und die Wertorientierte Persönlichkeitsbildung.

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