Die Deutschen sind „Sparweltmeister“

Viele Menschen in Deutschland haben nicht nur sehr viel Vermögen angehäuft. Sie gehören auch zu denen, die Woche für Woche, Monat für Monat weltweit mit am meisten ihres Einkommens sparen. Somit bauen sie weiter zusätzliches Vermögen auf. Marcel Fratzscher weiß: „In normalen Jahren sparen alle Privatpersonen zusammen knapp zwölf Prozent ihres Einkommens. Wenn man für Abgaben und Renten korrigiert, sind dies sogar 18 Prozent.“ Damit bezeichnet man die Deutschen nicht selten als „Sparweltmeister“. Auch wenn es unter den reichen Ländern der Welt noch die Schweiz und ein paar kleine Länder gibt, die noch höhere private Sparquoten haben. Erstaunlich ist auch die Reaktion der Menschen auf die Pandemie in den ersten beiden Jahren 2020 und 2021. Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin.

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Regionale Lebensmittel verbrauchen weniger Wasser

Europa wendet 20 Prozent des Frischwassers für die Landwirtschaft auf. Nordamerika ist mit knapp über 40 Prozent immer noch unter dem weltweiten Durchschnitt, während Südamerika rund 70 Prozent der Frischwasserentnahmen für die Landwirtschaft verbraucht. Asien und Afrika mit 80 Prozent und Südasien mit sogar 90 Prozent liegen weit über dem weltweiten Durchschnitt. Malte Rubach stellt fest: „Auch hier erkennt man schnell. Die geografischen und klimatischen Bedingungen sind ausschlaggebend, wie viel grünes und blaues Wasser aus dem Wasserkreislauf entnommen werden muss, um ein Kilogramm Rindfleisch oder Getreide zu erzeugen.“ Wer in Deutschland regionale Lebensmittel kauft, hat damit mit Sicherheit einen geringeren Wasserfußabdruck als 15.000 Liter für ein Kilogramm Rindfleisch. Nämlich nur gut die Hälfte. Der Referent und Buchautor Dr. Malte Rubach hat Ernährungswissenschaften in Deutschland, der Türkei und den USA studiert.

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In einem Staat entscheidet die Kommunikation

Das deutsche Volk ist, wie jedes andere Volk, vor allem eine Lebensgemeinschaft, eine Kommunikationsgemeinschaft und eine Haftungsgemeinschaft. Die Kinder von Türken und anderen Ausländer sind im Allgmeinen keine deutschen Staatsbürger. Selbst dann, wenn sie seit Jahrzehnten in Deutschland leben. Aber sie gehören zweifellos zur Kommunikationsgemeinschaft der Deutschen, weil sie mit ihnen und in Deutschland leben. Herkunft, Sprache oder auch die gemeinsame Geschichte gehören nicht mehr unbedingt zu den Kennzeichen der jeweiligen Gemeinschaft im Staat. Michael Wolffsohn ergänzt: „Doch dieser Staat bleibt trotz aller internationalen Verflechtungen der entscheidende Bezugspunkt der Kommunikation.“ Wenn etwas Erfreuliches passiert, stößt sich niemand an der gemeinsamen Haftungsgemeinschaft. Prof. Dr. Michael Wolffsohn war von 1981 bis 2012 Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München.

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Die Alten sind inzwischen ein Machtfaktor

„Jugend“ war in der Zeit nach 1968 geradezu zum Maß und Ziel aller Dinge geworden. Sie wurde verehrt, vergöttert und glorifiziert. Dies geschah zu Lasten einer Erwachsenengeneration, die ihre Jugend zwischen Stalingrad und Nachkriegszeit verloren hatte. Ihre Kinder wurden hingegen der Werbung liebste Kinder. Während die Älteren Gefahr liefen, zu Nachtwächtern der Leistungsgesellschaft und zum Leitartikelthema der Adventszeit zu werden. Horst Opaschowski weiß: „Inzwischen kehrt sich das Verhältnis um. Ein halbes Jahrhundert später wird die Jungend zur Minderheit, die Alten zum Machtfaktor. Die Deutschen leben länger und altern gesünder. Jeder zweite Bundesbürger braucht im Alter keine Pflege.“ Horst Opaschowski gründete 2014 mit der Bildungsforscherin Irina Pilawa das Opaschowski Institut für Zukunftsforschung. Bis 2006 lehrte er als Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Hamburg. Ab 2007 leitete er die Stiftung für Zukunftsfragen.

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Das Vermögen ist sehr ungleich verteilt

Nettovermögen bedeutet, dass von den Vermögen die Verbindlichkeiten abgezogen werden. Marcel Fratzscher nennt Beispiele: „Das können Konsumentenkredite für das Auto sein oder eine Hypothek für die Wohnung oder das Haus.“ Dieses Nettovermögen ist für viele Menschen wichtig, nicht nur, um einen Kredit von der Bank für dringend benötigte Ausgaben erhalten zu können. Sondern es dient auch für die Vorsorge im Alter. Umfragen zufolge schätzen die Deutschen im Durchschnitt, dass die 40 Prozent mit dem geringsten Vermögen knapp zehn Prozent des gesamten privaten Nettovermögens besitzen. Die Wahrheit ist jedoch ganz anders. Die unteren 40 Prozent haben lediglich ein Prozent des gesamten privaten Nettovermögens. Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin.

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Im 15. Jahrhundert war Deutschland unbekannt

Als sich das 15. Jahrhundert seinem Ende zuneigte, war Deutschland nach wie vor nur unvollständig bekannt. Sogar Beschreibungen des Charakters seines Volkes waren selten, sparsam im Detail und von mangelhafter Genauigkeit. Helmut Walser Smith fügt hinzu: „Keine Karte zeichnete die deutschen Lande maßstabsgetreu, keine Zeichnung zeigte seine Grenzen. Und noch niemand hatte Deutschland als Raum mit einer deutlich erkennbaren Form beschrieben.“ Vielleicht war die zweidimensionale, maßstabsgetreue Wahrnehmung für die Menschen ebenso unwichtig wie das eigene Geburtsjahr. Doch die Erfindung des Buchdrucks hatte die Möglichkeiten von Wort und Bild schon zu verändern begonnen. Sie hatte beiden Flügel verliehen, während die Entdeckungen jenseits des Atlantiks und entlang der zerklüfteten Küsten Afrikas eine neue Neugier auf die Welt weckten. Helmut Walser Smith lehrt Geschichte an der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee.

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Die Deutschen wollten keine Revolution

Eine lange beliebte These ist für Michael Wolffsohn ebenso unsinnig wie letztlich unmenschlich. Nämlich dass die Weimarer Republik nicht zuletzt daran gescheitert ist, dass Verwaltungs- und Lehrpersonal nicht ausgetauscht zu haben. Die Revolution ist nicht zu Ende geführt worden, lautet ein weiterer Vorwurf. Schöne Grüße von der bolschewistischen Revolution. Genau die wollten die meisten Deutschen eben nich. Auch die Nationalsozialisten haben ab 1933 gezeigt, wie man Personal auswechselt. Legal durch Unrechtsgesetze, aber eben legal ebenso wie liquidatorisch. Wer kann das ernsthaft wollen? Aus eben diesem Grund sind Millionen von Mitmacher und Mitläufer weder nach 1945 noch nach 1989/90 „ausgetauscht“ worden. Prof. Dr. Michael Wolffsohn war von 1981 bis 2012 Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München.

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Es gibt nicht die eine deutsche Geschichte

Helmut Walser Smith beschreibt in seinem neuen Buch „Deutschland“ die Geschichte der deutschen Nation von 1500 bis in die Gegenwart. Dabei hält er die Idee des Nationalstaats und die Ideologie des Nationalismus hellsichtig auseinander. Imaginationen von Deutschland und deutsche Wirklichkeit stoßen in seinem Werk hart aufeinander. Die nationalistischen Exzesse des Dritten Reichs im 20. Jahrhundert schildert Helmut Walser Smith ebenso eindringlich wie schonungslos. Seine klugen Gedanken über Deutschland und das Erbe seiner Vergangenheit reichen bis hin zur Bundestagsrede von Navid Kermani und den aktuellen Versuchen der Alternative für Deutschland (AfD), sich der deutschen Geschichte zu bemächtigen. Für den australischen Historiker Christopher Clark ist das Buch eine Pflichtlektüre für jeden, der sich für Deutschlands Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft interessiert. Helmut Walser Smith lehrt Geschichte an der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee.

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Der Fortschritt wird immer unberechenbarer

Eine Ära der Unsicherheit hat weltweit begonnen. Die Menschen müssen umdenken und lernen, in und mit dauerhaft unsicheren Zeiten zu leben. Horst Opaschowski nennt ein Beispiel: „Die Finanzmärkte kennen diese Volatilität schon lange: Kein Vermögenswert ist mehr wirklich sicher.“ Nach dem amerikanischen Risikoforscher Nicholas Taleb brauchen die Menschen ein neues Denken für eine Welt, die bei allem Fortschritt immer unberechenbarer wird. Seine Antwort und Empfehlung für die Herausforderungen in unsicheren Zeiten lautet: „Antifragilität“. Damit ist eine Lebenshaltung gemeint, die mehr als stark, solide, robust und unzerbrechlich ist. Horst Opaschowski gründete 2014 mit der Bildungsforscherin Irina Pilawa das Opaschowski Institut für Zukunftsforschung. Bis 2006 lehrte er als Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Hamburg. Ab 2007 leitete er die Stiftung für Zukunftsfragen.

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Ängste sind in Deutschland weit verbreitet

Der bayerische Kulturpolitiker Dieter Sattler beschriebt im Jahr 1947 in den „Frankfurter Heften“ die Angst als eine „deutsche Krankheit“, als nationale Pathologie: „Unser Volk hat beinahe vor allem Angst. Es ist seelisch schwer erkrankt.“ Dieter Sattler war überzeugt, dass „jeder, der uns von der Angst heilt, Deutschland ernstlich heilt. Demokratie war für ihn gleichbedeutend mit der „Freiheit vor der Angst“. Frank Biess ergänzt: „Der Erfolg der Demokratie im Nachkriegsdeutschland hing demnach von der Überwindung der Angst ab.“ Die Geschichte der Bundesrepublik ist also auch eine Geschichte ihrer Ängste. Dieter Sattlers Beobachtungen waren nur eine von vielen ähnlichen Diagnosen einer tiefen Unsicherheit und Angst in der Nachkriegsgesellschaft. Frank Biess ist Professor für Europäische Geschichte an der University of California, San Diego.

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Die homogene Gesellschaft ist eine Illusion

Die Deutschen leben in einer pluralisierten Gesellschaft. Das ist nicht nur ein relativ neues Faktum. Das ist auch ein unhintergehbares Faktum: Es gibt keinen Weg zurück in eine nicht-pluralisiert, in eine homogene Gesellschaft. Isolde Charim erklärt: „Um die Reichweite und das ganze Ausmaß der Neuheit zu ermessen, muss man sich den „prä-pluralen“ Gesellschaften, also den Gesellschaften Westeuropas vor ihrer Pluralisierung zuwenden.“ Denn diese geben das Vergleichsmodell ab. Diese homogenen Gesellschaften, also diese Gesellschaften einer relativen ethischen, religiösen und kulturellen Einheitlichkeit sind gewissermaßen die Negativfolie. Der Hintergrund, von dem sich die heutige, pluralisierte Gesellschaft abhebt. Diese homogenen Gesellschaften waren nicht einfach da. Sie sind nicht einfach gewachsen, sozusagen natürlich. Die Philosophin Isolde Charim arbeitet als freie Publizistin und ständige Kolumnistin der „taz“ und der „Wiener Zeitung“.

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Josef Joffe bewundert Konrad Adenauer

Als Erstes sagte der beinharte Realist Konrad Adenauer dem Traum von der Wiedervereinigung Deutschlands schon im Herbst 1945 (!) Ade: „Der russisch besetzte Teil ist erst einmal für Deutschland verloren“. Kurz darauf formulierte der Kanzler der Verlierer, was zur Politik des Westens werden sollte, bevor dieser es selber wusste: „Deutschland diesseits der Elbe ist ein integrierender Teil Westeuropas“. Frankreich bat er, nicht das Ruhrgebiet zu internationalisieren, denn das würde unheilvolle Erinnerungen an die Ruhrbesetzung von 1923 wecken und Revanchegelüste befeuern. Es gebe einen besseren Weg, die Sicherheitsängste der Nachbarn zu dämpfen: die „wirtschaftliche Verflechtung“ auf dem Weg zur „Union der westeuropäischen Staaten“. Josef Joffe ergänzt: „Wie es denn auch 1952 mit der Kohle- und Stahlgemeinschaft (EGKS) geschah, welche die klassischen Ressourcen der Kriegsführung europäisierte. Josef Joffe ist seit dem Jahr 2000 Herausgeber der ZEIT.

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Deutschland braucht eine neue kollektive Identität

Eher links orientierte Intellektuelle und Politiker haben in den vergangenen Jahren einige Vorschläge gemacht, den Verfassungspatriotismus mit klassischen linken Anliegen wie Solidarität und Ökologie anzureichern. Im Jahr 2016 erschien das Buch „Die neuen Deutschen. Ein Land vor seiner Zukunft“ des Professorenehepaars Marina und Herfried Münkler. Sie ist Literaturwissenschaftlerin und hat als solche ausgiebig zum Begriff des „Fremden“ und zur Interkulturalität geforscht. Er ist der wohl bekannteste deutsche Politologe. Seine Bücher über „Die Deutschen und ihre Mythen“, den Ersten Weltkrieg oder zuletzt über den Dreißigjährigen Krieg sind regelmäßig weit oben auf den Bestsellerlisten zu finden. Thea Dorn weiß: „Gleich zu Beginn von „Die neuen Deutschen“ stellt das Autorenpaar fest, es sei in Deutschland höchste Zeit über die eigene Kollektividentität neu nachzudenken.“ Thea Dorn studierte Philosophie und Theaterwissenschaften. Sie schrieb eine Reihe preisgekrönter Romane, Theaterstücke und Essays.

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Die Pflicht des Vergebens gilt nicht für das Böse

Die Philosophin Hannah Arendt vertritt die Meinung, verstimmte Verbrechen von der Möglichkeit des Verzeihens auszuschließen: „Zweifellos bildet die Einsicht >Denn sie wissen nicht, was sie tun< den eigentlichen Grund dafür, dass Menschen einander vergeben sollen; aber gerade darum gilt auch diese Pflicht des Vergebens nicht für das Böse, von dem der Mensch im Vorhinein weiß, und sie bezieht sich keineswegs auf den Verbrecher.“ Während für den französischen Philosophen Jacques Derrida nur das Unverzeihbare Gegenstand des Verzeihens ist, zieht Hannah Arendt genau den entgegengesetzten Schluss: Das Unverzeihliche mag rufen, so viel es will – verziehen wird es nicht. Svenja Flaßpöhler ergänzt: „Damit bleibt Arendts Begriff des Verzeihens innerhalb der Grenzen der Rationalität: Was jenseits der Grenzen liegt, ist nicht mehr verzeihbar.“ Svenja Flaßpöhler ist promovierte Philosophin und stellvertretende Chefredakteurin des „Philosophie Magazin“.

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Vielschichtige Trauer verbindet und trennt

Die „Unfähigkeit zu trauern“ ist „den Deutschen“ nach 1945 immer wieder vorgeworfen worden. Für Michael Wolffsohn sind das kollektive und deshalb wertlose Schablonen. Auf der politisch-geschichtlichen Ebene gilt seine Sympathie jenen, die gegen Adolf Hitler Krieg geführt haben und dabei Deutsche, viele, sehr viele unschuldige Deutsche töten mussten. Subjektiv haben auch die unschuldigen Deutschen gelitten, sie wurden geschunden, missbraucht und getötet. Objektiv haben diese Unschuldigen ein verbrecherisches Regime gestützt, das nicht zuletzt die Familie von Michael Wolffsohn und seine jüdischen Glaubensgenossen verfolgte, vernichtete und vergaste. Diese vielschichtige Trauer über die Vergangenheit verbindet Michael Wolffsohn mit den Deutschen, und sie trennt sie zugleich. Prof. Dr. Michael Wolffsohn war von 1981 bis 2012 Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München.

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Die Deutschen mangelte es am Geist des Verhaltens

Nicht jeder Mensch, der sich liebt, wird zum Narzissten. Nicht jede Nation, die sich liebt, wird zum narzisstischen Monster. Thea Dorn erläutert: „Im Gegenteil: Für dergleichen Störungen und Exzesse sind gerade diejenigen Menschen und Nationen anfällig, die sich in Wahrheit selbst verachten.“ Denn sie verfügen eben über kein souveränes, gelassenes Selbstbewusstsein, sondern leiden vielmehr unter einem Minderwertigkeitskomplex. Unter einem groben Minderwertigkeitskomplex haben die Deutschen von Anfang an gelitten. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts veröffentlichte Adolph Freiherr von Knigge seine berühmte Benimmfibel „Über den Umgang mit Menschen“. Die Notwenigkeit seiner Schrift begründete der Freiherr damit, dass es den Deutschen bei aller Gemütstiefe leider eklatant am „esprit de conduite“ mangele. Thea Dorn studierte Philosophie und Theaterwissenschaften. Sie schrieb eine Reihe preisgekrönter Romane, Theaterstücke und Essays.

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Das Vertrauen befindet sich weltweit in einer Krise

Jede Studie über Vertrauen fängt mit der großen Krise an. Das einflussreiche „Edelman Trust Barometer“ formuliert 2017 unumwunden: Überall auf der Welt befindet sich das Vertrauen in einer Krise. Martin Hartmann erläutert: „Ob Unternehmen, Regierungen, Nichtregierungsorganisationen oder die Medien – fast überall leiden diese Institutionen unter einem Vertrauensschwund.“ Entsprechend dramatisch und alarmistisch sind die Formulierungen: Das „System“ sei zerbrochen. Die Führungsebenen in Wirtschaft und Politik hätten an Glaubwürdigkeit verloren. Eine Welt des Misstrauens breite sich aus. Für die Daten von 2017 gilt dabei folgende Auffälligkeit: Vor allem die allgemeine Bevölkerung verliert ihr Vertrauen, während die Daten der Meinungsführer stabil bleiben oder sogar steigen. Die Diskrepanz zwischen den Eliten und der Bevölkerungsmehrheit bleibt hoch und scheint sich sogar zu vergrößern. Martin Hartmann ist Professor für Praktische Philosophie an der Universität Luzern.

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Der Krieg legitimierte alles

Der Krieg war das ureigenste Moment des Nationalsozialismus. Die Abwägung von Interessen, die schwierige Organisation einer vielgestaltigen modernen Industriegesellschaft, die Verwaltung des Mangels, der Ausgleich von Widersprüchen – das alles schien nun obsolet. Ulrich Herbert erklärt: „Fortan ging es nur noch um Sieg oder Niederlage, Triumph oder Untergang. Das vereinfachte alles und legitimierte alles. Ethische Normen, geschriebene Gesetze, internationale Verpflichtungen konnte man fortan ignorieren, wenn es nur dem Sieg diente.“ Auch jenseits des Militärischen unterschied sich dieser Krieg von allen bisherigen. Schon vor dem Einmarsch in Polen hatte Adolf Hitler betont, es gehe gar nicht um Danzig: „Es handelt sich für uns um die Arrondierung des Lebensraums im Osten.“ Ulrich Herbert zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern der Gegenwart. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

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Der erste deutsche Patriotismus war nicht politisch

Das Unheil, in welches sich die deutsche Nation in den Jahren zwischen 1933 und 1945 verrennen sollte, ist laut Thea Dorn nur zu begreifen, wenn man sich klarmacht, was in den Jahren um 1800 in Deutschland passiert ist. Die Patrioten der deutschen Aufklärung hielten ein politisch vereintes Deutschland für keine realistische Option. Ihr Idealismus hatte deshalb so milde, menschenfreundliche Züge, weil er im Kern unpolitisch war. Beim ersten deutschen Patriotismus hat es sich um keine genuin politische Bewegung gehandelt, die für ein konkretes nationalstaatliches Ziel gekämpft hätte. Sondern es ging ihr vor allem um die „Tugendhaftigkeit“ und um die „moralische Emphase“. Thea Dorn studierte Philosophie und Theaterwissenschaften. Sie schrieb eine Reihe preisgekrönter Romane, Theaterstücke und Essays.

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Ungewissheit zählt zur Grunderfahrung des Menschen

Sehr viele Menschen leben heute in Gesellschaften, in denen sich Veränderung mit einer so hohen Geschwindigkeit vollziehen, dass sie den Überblick zu verlieren drohen. Frühere Gesellschaften boten ihren Mitgliedern bei allen stürmischen Entwicklungen und Zumutungen immer noch einen relativ stabilen Orientierungs- und Entfaltungsrahmen, der für Überblick, Strukturierung, Klarheit, Abschätzbar- und Überschaubarkeit der individuellen Lebensführung einigermaßen Sorge trug. Ernst-Dieter Lantermann erklärt: „Diese Lebensgewissheiten kann eine moderne Gesellschaft nicht mehr leisten. Ungewissheit und Unsicherheit sind zu Grunderfahrungen von uns allen geworden, ob wir dies nun gutheißen oder nicht.“ Der Historiker Heinrich August Winkler spricht von einem „Zeitalter der allgemeinen Verunsicherung“, der Philosoph Zygmunt Baumann von einer „fluiden“ Gesellschaft, in der alles im Fluss sei und keine Stabilitäten mehr Geltung hätten. Ernst-Dieter Lantermann war von 1979 bis 2013 Professor für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie an der Universität Kassel.

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Das Grundgesetz hält Deutschland zusammen

Das Grundgesetz Deutschlands ist eine großartige Errungenschaft, auf welche die Deutschen stolz sein können. Hier sind die Werte festgeschrieben, auf das Land zusammenhalten. Georg Pieper erläutert: „Sie garantieren, dass jeder sagen kann, was er denkt; lieben kann, wen er will; glauben kann, an wen oder was er mag; sein Leben gestalten kann, wie es seinen Vorstellungen entspricht.“ Sich dazu zu bekennen ist nicht nur eine Voraussetzung für den gesellschaftlichen Frieden, sondern kann noch dazu dem Einzelnen sehr viel Stärke geben. Das ist für Georg Pieper einer der wichtigsten Wege, Ängste in etwas Positives umzuwandeln. Auch die Mehrzahl der Mitbürger islamischen Glaubens empfindet eine klare Loyalität zum Grundgesetz. Gerade wenn sie Erfahrungen mit restriktiven politischen Systemen gemacht haben. Dr. Georg Pieper arbeitet als Traumapsychologe und ist Experte für Krisenintervention.

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Horst Opaschowski kennt Deutschlands Zukunft

In seinem neuen Buch „Wissen, was wird“ blickt Horst Opaschowski, einer der profiliertesten Zukunftsforscher Deutschlands, sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft. Kaum jemand kennt Deutschland und die Deutschen so gut wie er. Horst Opaschowski vergleicht frühere Voraussagen – beispielsweise zur Bevölkerungsentwicklung, zu West- und Ostdeutschland, zum technischen Fortschritt, zum Familienleben und Sozialverhalten, zum Arbeitsleben, zum Wertewandel – mit den tatsächlichen Entwicklungen. So entwickelt er präzise Prognosen für die maßgebenden gesellschaftlichen Trends in Deutschland. Horst Opaschowski gründete 2014 mit der Bildungsforscherin Irina Pilawa das Opaschowski Institut für Zukunftsforschung. Bis 2006 lehrte er als Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Hamburg. Ab 2007 leitete er die Stiftung für Zukunftsfragen.

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Regionale Einheiten haben das Bild der deutschen Kultur geprägt

Es gibt Menschen, die ihre spezifische Skepsis gegenüber einer „deutschen Kultur“ nicht einfach nur behaupten, sondern bereit sind, diese zu begründen. Das erste Argument, das in diesem Zusammenhang regelmäßig angeführt wird, lautet: Deutschland ist so hochgradig regional geprägt, dass sich nicht sinnvoll von einer gemeinsamen „deutschen Kultur“ reden lässt, sondern allenfalls von einer „bayerischen“ einer „rheinischen“, einer „westfälischen“, einer „sächsischen“ usw. Thea Dorn schreibt: „Auf den ersten Blick hat das Argument, die deutsche Kultur erschöpfe sich in Regionalkulturen, einiges für sich. Wie der Philosoph und Soziologe Helmuth Plessner es so schön auf den Begriff brachte, handelt es sich bei Deutschland um eine „verspätete Nation“, sprich: Bis 1871 war Deutschland ein bunter – manche sagen: grotesker – Flickenteppich aus Königreichen, Großherzog-, Herzog-, und Fürstentümern; ein Kurfürstentum, eine Landgrafschaft und ein paar freie Städte kamen noch hinzu.“ Thea Dorn studierte Philosophie und Theaterwissenschaften. Sie schrieb eine Reihe preisgekrönter Romane, Theaterstücke und Essays.

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Die deutsche Politik war immer von Angst geprägt

Frank Biess erzählt in seinem Buch „Republik der Angst“ die Geschichte der Bundesrepublik als eine Epoche kollektiver Ängste. Dazu zählt er die Furcht vor der Vergeltung in der unmittelbaren Nachkriegszeit, die Angst vor einem Atomkrieg und kommunistischer Infiltration in den fünfziger Jahren, vor Arbeitslosigkeit durch Automatisierung und autoritären politischen Tendenzen. Schließlich die apokalyptischen Befürchtungen der achtziger Jahre: Immer waren die politischen Debatten und die deutsche Politik von Angst geprägt, nicht zuletzt von der vermeintlichen Allgegenwart der nationalsozialistischen Vergangenheit. Die gewaltsamen Verwerfungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts prägten also die Vorstellungen der Deutschen von der Zukunft. Die darin enthaltenen Ängste waren Ausdruck eines geschärften Bewusstseins für die Zerbrechlichkeit moderner Gesellschaften. Frank Biess ist Professor für Europäische Geschichte an der University of California, San Diego.

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Die deutsche Frage wandelte sich im Verlauf der Geschichte mehrfach

Was die Deutschen die „deutsche Frage“ nennen, heißt in anderen Ländern das „deutsche Problem“. Andreas Rödder erläutert: „Und was dies bedeutete, wandelte sich im Laufe der Zeit mehrfach.“ Im 19. Jahrhundert ging es zunächst darum, welches Territorium ein zu schaffender deutscher Nationalstaat umfassen und welche Staatsform und Verfassung er haben würde. Nach der Gründung des deutschen Kaiserreichs 1871 stellte sich die Frage, ob der neue, starke Staat in der Mitte des Kontinents mit der europäischen Staatenordnung vereinbar sei. Nach dem Ersten Weltkrieg richtete sich die deutsche Frage dann auf die Möglichkeit eines deutschen Wiederaufstiegs innerhalb der Pariser Friedensordnung, bevor das nationalsozialistische Deutschland diese zertrümmerte. Andreas Rödder zählt zu den profiliertesten deutschen Historikern und Intellektuellen. Seit 2005 ist er Professor für Neueste Geschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

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