Salman Rushdie legt mit „Golden House“ einen Gesellschaftsroman vor

Der Schriftsteller Salman Rushdie, der sich mit seinem Buch „Die Satanischen Verse“ im Alleingang mit islamistischen Fundamentalisten anlegte, hat jetzt einen Roman über das Amerika des vergangenen Jahrzehnts geschrieben. Er trägt den Titel „Golden House“ und ist ein Gesellschaftsroman: Ein indischer Milliardär, der sich Nero Golden nennt, kommt Anfang 2009 mit seinen Söhnen nach New York. Zur gleichen Zeit lebt dort ein anderer Milliardär, denn alle Joker nennen, in Anspielung auf den Bösewicht der Batman-Comics. Dieser Joker fasst irgendwann einmal den Plan, Präsident der USA zu werden. Niemand nimmt seine politischen Ambitionen ernst. Doch es kommt anders. Der Joker wird Präsident und stellt anschließend die Grundlage des freien Amerika infrage. Hauptthema des Buchs sind die schwankenden, ungewissen Identitäten aller Figuren.

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Rund eine Million Menschen in Deutschland sind Veganer

Dass inzwischen selbst Essensregeln eine politische Sprengkraft entwickeln können, zeigt sich nirgends so deutlich wie beim Megatrend Veganismus. Anders als Vegetarier lehnen Veganer nicht nur Fleisch, sondern auch Milchprodukte, Eier und Honig ab – also alles, was tierisches Eiweiß enthält oder vom Tier stammt. Wie viele Menschen sich in Deutschland vegan ernähren, ist nicht bekannt. Glaubt man dem Vegetarierbund, sind es bereits bis zu eine Million Menschen – Tendenz steigend. Relativ genau erforschst ist dagegen, welcher Typ von Verbraucher sich vegan ernährt: Wer auf tierische Produkte verzichtet, ist mehrheitlich zwischen 30 und 50 Jahre alt, überwiegend weiblich, steht politisch eher links, ist überdurchschnittlich gebildet, einkommensstark und lebt in einem urbanen Umfeld. Der Theologe Kai Funkschmidt stellt fest: „Veganer sind damit dem Milieu der grünen Bourgeoisie zuzurechnen.“

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Selbstentblößung ist das Geschäftsmodell sozialer Netzwerke

Viele Menschen denken, wenn sie das Wort Scham hören, zunächst an nackte Körper, denn der Begriff ist sexuell konnotiert. Und doch scheint einiges dafür zu sprechen, dass Scham ein schwindendes Gefühl sein könnte, das vom Aussterben bedroht ist. So haben beispielsweise soziale Netzwerke aus der Selbstentblößung geradezu ein Geschäftsmodell gemacht. Im Internet ist der Mensch oft nicht nur nackt, sondern total gläsern, und es scheint sich niemand mehr daran zu stören. Es gilt das Motto: besser negative Aufmerksamkeit als gar keine, das Zeitalter des Narzissmus ähnelt auch darin der Kindheit. Ja, manches spricht sogar dafür, dass Scham nicht mehr als Tugend gilt, sondern als Makel, dass man sich heute auch und vor allem seiner Scham schämt. Denn wenn sich ein Mensch schämt, geht er auf Distanz zu sich selbst.

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Frank Trentmann erforscht den Kult ums Neue

Auf die Frage, warum die meisten Menschen so viel mehr konsumieren, als sie benötigen, antwortet Frank Trentmann: „Konsum ist heute ein wesentliches Merkmal unseres Lebens. Unsere Identität wird zum großen Teil davon bestimmt, was und wie wir konsumieren. Wir drücken uns über Dinge aus, die wir kaufen.“ Dass es solche Massen von Dingen sein müssen, … Weiterlesen

Richter Jens Gnisa verzweifelt am deutschen Rechtssystem

In der Politik ist das Rufen nach neuen Gesetzen eine weitverbreitete, aber fragwürdige Gewohnheit, nur um zu zeigen, dass man handlungsfähig ist. Mehr Strafgesetze bedeuten allerdings auch mehr Arbeit für die Strafverfolger. Jens Gnisa klagt: „Doch mehr Ressourcen gibt es nicht: Der Bund macht die Strafgesetze, die Länder statten die Gerichte aus, sie wollen die Zechen nicht bezahlen, un die Justiz steht wieder mal allein da.“ In seinem neuen Buch proklamiert er schon im Titel das „Ende der Gerechtigkeit“. Seiner Meinung nach wäre die Gerechtigkeit wirklich am Ende, wenn so weitergewurstelt wird wie bisher, weil dann die Justiz und das Recht immer weniger überzeugen können. Es gibt bereits jetzt eine Vertrauenskrise. Jens Gnisa ist Direktor des Amtsgerichts Bielefeld und seit 2016 Vorsitzender des Deutschen Richterbundes.

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Essen hat sich zu einer Ersatzreligion entwickelt

Kaum etwas ist den Deutschen so heilig wie ihr Essen, oder besser gesagt wie das, was sie nicht essen. Die Zahl der Menschen, die sich verweigern, wächst ständig: dem Fleisch, dem Fisch, den tierischen Eiweißen, dem Gluten, der Laktose, den Kohlenhydraten. Kaum einer Handlung des Alltags wird inzwischen größere Bedeutung zugemessen als der täglichen Aufnahme der Nahrung. Der Vegetarierbund Deutschland (Vebu) vermeldet stolz die Zahl von 7,8 Millionen Vegetariern und fordert die Nutzer seiner Website zur Unterstützung auf: „Verändern Sie mit uns die Welt! Schaffen Sie einen wertvollen Wandel in der Gesellschaft.“ Starkoch Vincent Klink dagegen meint: „Es müsste ein Missionierungsverbot geben für Religion und Essen.“ Tatsächlich hat sich beim Essen etwas ganz grundsätzlich verschoben. Auf der einen Seite sind so viele, so sichere und so billige Lebensmittel vorhanden wie noch nie.

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Heute ist Heimat ein Prozess der Selbstfindung

In früheren Zeiten war er Schicksal, der Ort der eigenen Herkunft, der einen prägte, ob man wollte oder nicht – früher ist Heimat einem Menschen zugestoßen. Heute ist sie ein Prozess der Selbstfindung. Weil die Menschen oft den Wohnort oder den Arbeitsplatz wechseln, weil sich viele in radiale Individualisten verwandelt haben. Und natürlich auch, weil die Welt enger zusammengerückt ist, durch die neuen Völkerwanderungen, den Tourismus, das World Wide Web, weil auch das kleinste Dorf heute globalisiert ist. Lokalzeitungen brachten den Menschen einst ihre Heimat nahe, weshalb sich manche gleich Heimatzeitungen nannten. Der Essayist Christian Schüle schreibt in seinem neuen Buch „Heimat – Ein Phantomschmerz“: „Heute über Heimat zu sprechen heißt vor allem, über ihren Verlust zu reden.“ Das Verschwinden der Heimat ist für ihn ein Problem mit zwei Seiten.

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Der Homo Deus könnte das Ende des Homo sapiens bedeuten

In seinem neuen Buch „Homo Deus – Eine Geschichte von Morgen“ entwirft Yuval Noah Harari ein düsteres Bild des 21. Jahrhunderts, in dem gerade die idealisierten Träume zur technologischen Optimierung der Gesellschaft, an denen in Silicon Valley gearbeitet wird, schließlich zur Erschaffung eines neuen „Übermenschen“ und zum möglichen Ende des Homo sapiens führen. Außerdem behauptet der Autor, dass der Mensch sich im 21. Jahrhundert neuen Zielen zuwenden kann, weil er seine drei größten Feinde in den Griff bekommen hat, nämlich Krieg, Krankheiten und Hunger. Er nennt ein Beispiel: „Zum ersten Mal in der Geschichte sterben mehr Menschen, weil sie zu viel essen, nicht, weil sie zu wenig essen.“ Yuval Noah Harari ist Professor für Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem.

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Eine Trennung ist keine Schande

Keine Ansprüche von außen, keine Normen, keine Moral sollen sich in die gegenwärtigen Konstrukte der Liebe einmischen. Die israelische Soziologin Eva Illouz, die gerade an einem Buch mit dem Titel „Unloving“ arbeitet, erklärt: „Das ist die Kehrseite der sexuellen Freiheit, für die wir gekämpft haben. Es ist allein unser Verlangen und unser Gefühl, das legitimiert, was wir tun. Sobald das schwindet, schwindet auch unser Engagement für die Beziehung.“ Unter diesen Vorzeichen kann man ihrer Meinung nach beispielsweise auch das Fremdgehen nicht mehr in moralischen Kategorien begreifen. Derjenige, der es tut, drückt damit lediglich das eigene sexuelle Verlangen aus. Und das ist heute um seiner selbst willen zulässig. Eva Illouz stellt fest: „Weder das Scheidungsrecht noch die Psychologie suchen noch nach Schuldigen.“

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Viele Menschen geben heute eine Beziehung viel zu schnell auf

Die Liebe kann einen Menschen verrückt machen. Peter Walschburger ist Professor für Biopsychologie an der FU Berlin. Er kann beschreiben, was dabei mit dem Körper geschieht: „Sich leidenschaftlich zu verlieben, das ist mehr als ein bloße Erfahrung. Das prägt uns auf den Partner, fast so, wie das Kind auf die Mutter geprägt wird.“ Die Hormone spielen verrückt. Das Geheimnisvollen und Fremde am anderen zieht die Verliebten magisch an. Nach der Phase des ersten Kennenlernens verwandelt sich der Reiz des Neuen aber allmählich in Verbundenheit und Nähe. Es kommt zur Ausschüttung von Bindungshormonen. Das Gefühl, im anderen eine Art zweite Heimat gefunden zu haben, stellt sich ein. Die Biologie der Liebe verläuft also in zwei Funktionskreisen: Erst erobert sie sich das Fremde. Und verwandelt es dann in Vertrautheit.

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Das Ende einer Liebe hat viel mit Hoffnungslosigkeit zu tun

Psychologen ergründen, ob es möglich ist, eine Liebe im Guten zu beenden oder ob ein Rosenkrieg unumgänglich ist. Das Ende einer Liebe hat einen geradezu brutalen Charakter. Mindestens einer sagt: Ich kann nicht mehr mit dir leben, du genügst nicht mehr meinen Ansprüchen. Das Ende einer Liebe hat auch viel mit Hoffnungslosigkeit zu tun denn es bedeutet das Aus von allem, das einmal das Wertvollste im Leben war. Selbst die Stärksten fühlen sich wie ein Häufchen Elend. Sie weinen, rasen und fluchen. Fast nichts kann einen Menschen so zertrümmern wie das Ende einer Liebe. Psychologen wissen, dass eine Trennung einen Menschen so erschüttern kann wie der Tod eines Angehörigen. Alles fällt auseinander. Sie stellt alles in Frage, das eigene Ich und die persönliche Zukunft.

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Verschwörungstheorien bieten simple Erklärungen

Populisten bedienen sich auch in Deutschland gezielt Verschwörungstheorien. Auf die Frage, warum plötzlich so viele Leute dazu bereit sind, den größten Irrsinn zu glauben, antwortet Michael Butter: „Weil Verschwörungstheorien den Zufall beseitigen und dem Einzelnen die Chance geben, eine simple Erklärung für etwas zu finden, was ihn nervt, verängstigt oder belastet.“ Außerdem erlauben es Verschwörungstheorien, mit dem Finger auf Schuldige zu zeigen. Das können dann wahlweise die Politik, die Medien oder auch die Flüchtlinge sein. Zudem kann sich der Einzelne mit Verschwörungstheorien aus der Masse herausheben, weil er derjenige ist, der weiß, wie der Hase läuft. Der Kulturhistoriker Michael Butter ist Professor für Amerikanistik an der Universität Tübingen und Initiator eines EU-Forschungsprojekt zur vergleichenden Analyse von Hintergründen, Nutzen und Gefahren von Verschwörungstheorien.

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Mr. Trump und Mr. Putin sind für T. C. Boyle Verbrecher und Schurken

Das neue Buch von T. C. Boyle „Die Terranauten“ handelt, wie andere seiner Romane zuvor, von der Gefahr, dass die Menschen die Welt so gründlich zerstören, bis ein Überleben auf der Erde nicht mehr möglich ist. T. C. Boyle erklärt: „Unser Planet wird vermutlich noch 3,5 Milliarden Jahre existieren. Aber alle Voraussetzungen für den Erhalt des menschlichen Lebens werden konsequent und mit rasender Geschwindigkeit ausradiert. Ich bin mir ziemlich sicher, dass unsere Spezies nicht mehr lange fortbestehen wird.“ Zudem glaubt T. C. Boyle dass die Menschheit an einem Punkt angelangt ist, an dem sie sich fragen muss, ob die Errungenschaft der Demokratie mehr als eine kleine Episode in der Geschichte der Menschheitsgeschichte ist. T. C. Boyle gilt als politischer Kämpfer unter den amerikanischen Schriftstellern.

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Bei der Achtsamkeit spielt Transzendenz keine Rolle

Achtsamkeit heißt die aktuelle Antwort auf Burn-out und Stress. Die neu entdeckte Innerlichkeit soll Menschen dazu bringen, sich dem Wesentlichen im Leben zuzuwenden – ist aber oft nur der Esoterik-Chic einer erschöpften Leistungselite. Achtsamkeit ist das Wort der Zeit. So wie in Burn-out alles Bedrohliche einer anstrengend gewordenen Welt mitschwingt, so atmet Achtsamkeit bereits alles, was fehlt und doch ersehnt wird. Es geht um Dinge, die lange an allen möglichen Orten eine Rolle spielten, nur nicht im Job. Um Sinnsuche und Sinnfragen, um Meditation, Spiritualität und inneres Leid. Dinge, für die traditionell die Kirchen zuständig waren, Psychotherapeuten, Freunde und vielleicht der Barmann im Hotel. Aber bestimmt nicht der Chef. Das Wort Achtsamkeit ist eine Übersetzung aus der buddhistischen Literatur: Satipatthana oder Smrti-Upasthana.

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Das Zeitalter der politischen Unsicherheit hat begonnen

Für den Ökonomen Nicholas Bloom werden Politik und Wirtschaft mit der Amtseinführung von Donald Trump als amerikanischen Präsidenten unberechenbar: „Die Werte, mit denen wir politische Unsicherheit messen, waren noch nie so hoch wie heute.“ Das liegt seiner Meinung allerdings nicht allein an der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten. Auch die Entscheidung der Briten, die Europäische Union (EU) zu verlassen, spielt dabei eine Rolle. Diese beiden Phänomene sind Ausdruck eines grundlegenden Problems: Der Aufstieg populistischer Parteien wie der Fünf-Sterne-Bewegung in Italien und des Front National in Frankreich erschüttert die politischen Gewissheiten der vergangenen Jahrzehnte. Das bleibt laut Nicholas Bloom nicht ohne Folgen für die Wirtschaft. Auf die Frage, wann die Unsicherheit steigt, antwortet Nicholas Bloom: „Vereinfacht gesagt gilt folgende Gleichung: Sinkendes Wirtschaftswachstum und steigende Ungleichheit führen zu mehr Unsicherheit.“ Nicholas Bloom lehrt Ökonomie an der Stanford University.

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Das Verhältnis zwischen den USA und anderen Ländern wird sich rasant verändern

Auf die Frage, ob die Welt mit dem neuen US-Präsidenten Donald Trump gefährlicher wird, antwortet Anne Applebaum: „Die Welt war immer gefährlich. Aber jetzt wird sie auf andere Art unsicher. Die existierende Ordnung, wie wir sie seit dem Ende des Kalten Krieges gewohnt waren, wird sich radikal transformieren. Die Institutionen, die Frieden brachten und Freihandel ermöglichten, werden schwächer – die Nato, die EU, die Handelszone zwischen den USA, Mexiko und Kanada.“ Das Verhältnis zwischen den USA und anderen Staaten wird sich rasant verändern.“ Zwar möchte Anne Applebaum das Elend nicht vorhersagen, macht sich aber Sorgen um eine neuerliche Besetzung von Teilen Osteuropas. Auch um eine neue russische Kampagne, Einfluss auf Deutschland und andere Teile des Kontinents zu nehmen, um die Demokratien zu schwächen. Die Historikerin Anne Applebaum ist Russland-Expertin und hat für ihr Buch „Gulag“ den Pulitzerpreis bekommen.

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Peter R. Neumann erklärt die Rekrutierungsstrategie des „Islamischen Staates“

Peter R. Neumann ist davon überzeugt, dass der Terror des Islamischen Staates (IS) Europa noch sehr lange beschäftigen wird. Denn man muss seiner Meinung nach den Terrorismus immer historisch sehen, als ein Phänomen, das eine ganze Generation andauern kann: „Wir haben es mit Wellen zu tun, die sich über 20 bis 30 Jahre strecken. Das war bei der RAF so und auch bei den Anarchisten Ende des 19. Jahrhunderts.“ Die Hauptgefahr in den aufgeklärten Staaten des Westens besteht nicht darin, dass der Terrorismus viele Menschenleben fordert, sondern dass sich durch ihn die Gesellschaften radikalisieren. Die Dschihadisten befördern eine gesellschaftliche Polarisierung und den Rechtspopulismus. Peter R. Neumann ist seit 2008 Direktor des „International Centre of Radicalisation“ am Londoner King`s College.

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Die Meinungs- und Redefreiheit sind der „Lebenssaft“ der Demokratie

Auf der einen Seite gibt es für Timothy Garton Ash tatsächliche eine Explosion der Hassrede im weitesten Sinn; das meiste davon kann seiner Meinung nach getrost ignorieren. Auf der anderen Seite besteht die pathologische Bereitschaft, sich sofort verletzt zu fühlen, schon bei der allerkleinsten Kränkung. Timothy Garton Ash stellt fest: „Das ist eine Infantilisierung des öffentlichen Diskurses, die ich leider bei meinen Studenten in Oxford und Stanford beobachten kann. Die Universitäten sollten Tempel der Redefreiheit sein, in denen alles, auch die anstößigste Meinung, auf zivilisierte Weise diskutiert werden kann.“ Selbst anstößige Geschichten sind kein Grund, jemanden von der öffentlichen Debatte auszuschließen. Es gibt verschiedene Hypothesen, die sich allerdings teilweise widersprechen, woher die Überempfindlichkeit vieler Menschen in liberalen Gesellschaften kommt. Der britische Zeitgeschichtler Timothy Garton Ash lehrt in Oxford und an der kalifornischen Stanford University.

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Das Internet ist die größte Kloake der Weltgeschichte

Die Möglichkeiten, die eigene Meinung frei zu äußern, waren wohl noch nie so groß wie heute. Und nie gab es eine Zeit, in der sich die Übel der schranken- und hemmungslosen Rede so leicht über die Welt verbreiten konnten. Die Hälfte der Menschheit kann über Internet oder mit dem Smartphone miteinander kommunizieren. Fast jeder kann heute Verleger, Journalist oder Autor sein. Die Diskussion in Deutschland konzentriert sich für den Geschmack von Timothy Garton Ash zu sehr auf die Gefahren. Dennoch lässt sich die Zunahme der Verrohung der öffentlichen Rede nicht abstreiten. Auch Timothy Garton Ash übt harsche Kritik am Internet: „Das Internet ist die größte Kloake der Weltgeschichte. Ungeheuer viel Scheiße fließt um die Welt.“ Der britische Zeitgeschichtler Timothy Garton Ash lehrt in Oxford und an der kalifornischen Stanford University.

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Scott Atran betreibt Forschung unter radikalen Islamisten

Den amerikanischen Anthropologen Scott Atran treibt schon seit Jahren die Frage um, warum Menschen ihr Leben für eine Sache opfern. Er hat durch seine Feldstudien herausgefunden, dass da weder Irre noch lebensmüde Nihilisten am Werk sind. Scott Atran erklärt: „In der Regel sind das ganz normale Leute. Etliche Studien haben schon nach auffälligen Merkmalen gesucht und nichts gefunden.“ Der erste Schlüssel zum Verständnis des Selbstopfers ist für Sott Atran, dass der Kampftrupp von den Kämpfern als eine fiktive Familie betrachtet wird. Menschen wie du und ich verwandeln sich in Fremdenlegionäre des Dschihad, in furiose Kämpfer, die den Tod nicht mehr scheuen. So verrückt dieser Opfermut sein mag – der Erfolg im Gefecht, so scheint es, gibt ihm recht. Scott Atran reist seit Jahren um die Welt und betreibt Forschung unter radikalen Islamisten und ihren Gegenspielern.

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Viele Menschen sind inzwischen süchtig nach ihrem Smartphone

Erdacht war das Smartphone vor allem einmal als Werkzeug, um den Alltag zu vereinfachen, heute ist es vor allem eine ständige Versuchung, eine effektive Maschine zur Vernichtung von Zeit, willkommener Füller von Pausen, manchmal auch ein Suchtmittel, das den Benutzer degradiert, vom Herrn zum Knecht. Das Smartphone besetzt den menschlichen Alltag und nagt an der Aufmerksamkeit der Menschen. Sein ständiges Klingeln, Piepsen und Vibrieren zertrümmert den Tag in immer neue Fragmente. Das Epizentrum der Erschütterung ist die Familie, das eigene Heim, hier wird am ausdauerndsten und verbissensten gekämpft um den Umgang mit diesem kleinen Wunderwerk der Kommunikationsindustrie. Smartphones wirken teilweise wie Heroin, denn sie machen sofort abhängig. Ein Leben ohne Smartphone ist für viele Menschen nicht mehr vorstellbar, ein Leben mit den Geräten aber in vielen Fällen eine Zumutung.

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Der Narzissmus ist die Leitneurose der Gegenwart

Narzisst ist das Schimpfwort der Stunde. Narzissmus gilt als Leitneurose der emanzipierten Gesellschaft. Doch nicht jeder, der stört, ist auch gestört. Der Schweizer Moderator, Medienunternehmer und ehemalige Sat.1-Geschäftsführer Roger Schawinski schreibt in seinem neuen Buch „Ich bin der Allergrößte“, dass sich überall in den modernen Gesellschaften der Narzissmus ausbreitet. Vor allem geht es dabei um Männer, denen ihr Hochmut zum Verhängnis wurde. Wo man hinschaut, selbstverliebte Alphatiere, männliche und weibliche Egozentriker, Junge und Alte, die sich vor allem mit sich selbst beschäftigen. Im Fernsehen, im Internet, im Alltag. In den Reality- und Castingshows, in denen sich Möchtegernmodels und Traumtänzer in Szene setzen. In den sozialen Netzwerken, wo auf Instagram täglich 80 Millionen Bilder geteilt werden, unzählige davon mit dem wichtigsten Motiv eines digitalen Lebens: dem Selfie.

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Wissenschaftler rufen das geologische Zeitalter des Anthropozäns aus

Der Berliner Geologe Reinhold Leinfelder ist davon überzeugt, dass die Menschheit die Erde in ein neues geologisches Zeitalter katapultiert hat. Es hängt allein von den Menschen selbst ab, ob sie das Anthropozän überleben werden. Reinhold Leinfelder hat einen Lehrstuhl an der Freien Universität Berlin und gehört einem internationalen Expertengremium an, das nach mehrjähriger Beratung empfohlen hat, das Erdzeitalter des Holozäns für beendet zu erklären. Nach dem Urteil der Wissenschaftler ist diese Epoche, die vor circa 11.700 Jahren begann und von stabilen Umweltbedingungen geprägt war, bereits um das Jahr 1950 einer neuen geologischen Ära gewichen – dem vom Menschen geprägten Anthropozän. Reinhold Leinfelder hat die Hoffnung auf eine Rettung der Erde noch nicht aufgegeben: „Wir Menschen mögen als Parasiten unseres Planeten erschienen, aber das muss ja nicht so bleiben. Gerade weil wir wissen, was die Stunde geschlagen hat, können wir gegensteuern.“

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Eine Gesellschaft in Angst nützt vor allem den Populisten

Auf die Frage, was kollektive Angst ist, antwortet der Risikoforscher Ortwin Renn wie folgt: „Kollektive Ängste sind Ängste vor Dingen, die nicht mich direkt als Person betreffen und die ich auch nicht allein überwinden kann. Bei der Höhenangst ist die Höhe direkt vor mir, und ich kann sie vermeiden. Bei kollektiven Ängsten ist das nicht möglich.“ Aktuelle kollektive Ängste in Deutschland sind die vor Flüchtlingen und Terror. Für Ortwin Renn ist das Unkonkrete das Wesen der Angst. Und Angst ist ein Zustand, den ein Körper auf Dauer nicht ertragen kann. Deshalb sucht er nach Entspannung. Ängste speisen sich aus dem Unbekannten, daher suchen sie einen Gegner. Der Soziologe und Risikoforscher Ortwin Renn ist seit dem 1. Februar 2016 wissenschaftlicher Direktor des Potsdamer Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS).

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Gewalt gegen Frauen und Fremde ist durch nichts zu rechtfertigen

In Deutschland wurden im Jahr 2015 rund 117.000 Frauen vergewaltigt oder sexuell belästigt; jede Fünfte vom Ehemann, Freund oder von der Ex-Beziehung. Etwa 643.000 Frauen wurden Opfer von Gewalt in Beziehungen, verschleiernd „häusliche Gewalt“ genannt. Und 327 wurden getötet; eine von dreien vom eigenen Ehemann oder Freund. Woher die Zahlen kommen? Alice Schwarzer kennt die Antwort: „Es handelt sich um reale Fälle, bei den Toten, oder um erstattete Anzeigen mal zwölf.“ Denn, so erforschte das Bundesfrauenministerium in einer breit angelegten Studie: Nur jedes zwölfte Opfer von Gewalt erstattet Anzeigen. Und da redet Alice Schwarzer weder von Flüchtlingen noch von Migranten, noch vom Islamismus: „Diese epidemische, strukturelle Männergewalt in unserer christlich geprägten Demokratie ist hausgemacht. Sie ist das dunkle Geheimnis im Herzen des Machtverhältnisses der Geschlechter.“ Alice Schwarzer (73) ist Feministin sowie Gründerin und Herausgeberin der Zeitschrift „Emma“.

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