Solidarität beruhigt und rüttelt zugleich auf

Für die amerikanische Biologin Donna J. Haraway hat Solidarität zwei Seiten. Erstens eine aufrüttelnde, die sich gegen sinnloses Abtöten und bewusstloses Gleichmachen richtet. Zweitens eine beruhigende, die es erlaubt, Orte des einfachen Lebens wieder aufzubauen. Ohne es vielleicht zu wissen, ist sie laut Heinz Bude eine Schülerin des französischen Soziologen Émile Durkheim. Sie entwickelt ihre Idee von Solidarität, indem sie Fäden in die Dunkelheit verfolgt. Diese bilden nach und nach Muster von Zugehörigkeit, die bestimmte Fäden aufnehmen und andere fallen lassen. Heinz Bude stellt fest: „Sie ist gegen den geradezu lächerlichen Glauben an technische Lösungen für unser Zusammenleben gefeit.“ Aber sie will auch einem Zynismus entgehen, der zu dem Schluss kommt, dass das Spiel längst vorbei sei. Seit dem Jahr 2000 ist Heinz Bude Inhaber des Lehrstuhls für Makrosoziologie an der Universität Kassel.

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Die Menschen waren das „Andere der Natur“

Es ist für Richard David Precht faszinierend zu sehen, wie das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz (KI) die Philosophie zwingt, den Menschen ganz neu zu sehen. Oder wie es der amerikanische Nobelpreisträger Herbert A. Simon bereits 1977 formulierte: „Die wahrscheinlich wichtigste Frage über den Computer ist, was er mit dem menschliche Selbstverständnis und seinem Platz im Universum getan hat und weiterhin tun wird.“ Zweieinhalbtausend Jahre lang waren die Menschen der westlichen Kultur ihrem Selbstverständnis nach das „Andere der Natur“. Beseelt vom göttlichen Logos, der ihnen Vernunft, Urteilsfähigkeit und Sprache schenkte, setzten sie sich die Pflanzen und Tiere als das Triviale entgegen. Der Logos schenkte ihnen die Teilhabe an einer höheren Sphäre des Seins. Diese ist größer als der Mensch selbst. Der Philosoph, Publizist und Autor Richard David Precht zählt zu den profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.

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Der Homo sapiens steht vor dramatischen Umbrüchen

Während die Industriegesellschaft materiell auf dem fossilen Brennstoff beruhte, wurde sie moralisch von den christlich-antiken Tugenden befeuert, die eine disziplinierte Arbeitsgesellschaft hervorbrachte. Zwei Ressourcen – das Öl und die Tugenden –, die sich nun scheinbar erschöpfen. Reimer Gronemeyer ergänzt: „Vor uns die vielen Krisen, vom globalen Klimawandel bis zur weltweit anschwellenden Migration. Vor uns dramatische Umbrüche: Künstliche Intelligenz und Automatisierung, Algorithmierung des Alltags und Menschenverbesserung.“ Auf dem Programm steht die Optimierung des Homo sapiens zum Einzelkämpfer mit perfektionierter DNA. Eingehüllt in eine digitale Schutzweste, wird wohl nur noch seine Seele durch Softwareprogramme abgelöst werden müssen. Was da jetzt designt wird, ist eine neue Kreatur, welche die Koalition zwischen Industriegesellschaft und alten Tugenden überwunden haben wird. Reimer Gronemeyer ist seit 1975 Professor für Soziologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen, wo er 2018 zum Ehrensenator ernannt wurde.

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Der Cyborg ist die Brücke zwischen Gegenwart und Zukunft

Die westlichen Gesellschaften der Moderne sind von Technik durchdrungen. Das prominenteste Beispiel dafür ist das Internet. Sascha Dickel stellt fest: „ES hat den Cyberspace verlassen und wuchert immer stärker in die materielle Welt hinein.“ Keiner weiß, wohin dieser Prozess der Technisierung führen wird. Jede Aussage über die Zukunft ist grundsätzlich mit dem Makel der Gegenwart behaftet, aus dem sich der Mensch nicht befreien kann. Daher braucht man Metaphern und Bilder, die als Wegweiser in das unbekannte Land des Übermorgen dienen. Ein solcher Wegweiser ist der Cyborg. Er ist der technisierte „Neue Mensch“ par excellence. Er ist eine Brücke zwischen Gegenwart und Zukunft. Er verbindet visionäre Spekulation und erfahrbare Wirklichkeit. Er verwischt die Grenzen zwischen Mensch und Technik. Dr. Sascha Dickel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Friedrich Schiedel-Stiftungslehrstuhl für Wissenschaftssoziologie an der Technischen Universität München.

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Der Homo Deus könnte das Ende des Homo sapiens bedeuten

In seinem neuen Buch „Homo Deus – Eine Geschichte von Morgen“ entwirft Yuval Noah Harari ein düsteres Bild des 21. Jahrhunderts, in dem gerade die idealisierten Träume zur technologischen Optimierung der Gesellschaft, an denen in Silicon Valley gearbeitet wird, schließlich zur Erschaffung eines neuen „Übermenschen“ und zum möglichen Ende des Homo sapiens führen. Außerdem behauptet der Autor, dass der Mensch sich im 21. Jahrhundert neuen Zielen zuwenden kann, weil er seine drei größten Feinde in den Griff bekommen hat, nämlich Krieg, Krankheiten und Hunger. Er nennt ein Beispiel: „Zum ersten Mal in der Geschichte sterben mehr Menschen, weil sie zu viel essen, nicht, weil sie zu wenig essen.“ Yuval Noah Harari ist Professor für Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem.

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