Die Folgen der Schuldenkrise sind nicht überwunden

Die Coronakrise trifft die Europäische Union (EU) und die Europäische Währungsgemeinschaft in einem verletzlichen Zustand. Clemens Fuest weiß: „Die Folgen der Schuldenkrise im Euroraum sind nicht überwunden. Der Brexit hat die EU verunsichert und geschwächt. Zwischen Brüssel und einigen der mittel- und osteuropäischen Mitgliedsstaaten, vor allem Polen und Ungarn, wachsen die Differenzen.“ Italien leidet unter einer chronischen Wachstumssschwäche. Zudem geriet das Land kürzlich mit den europäischen Institutionen in einen harten Konflikt über die Einhaltung fiskalpolitischer Regeln. Der Konflikt hat einem mehr eines gezeigt. Es ist nicht möglich, Mitgliedsstaaten zur Einhaltung finanzpolitischer Regeln zu zwingen, selbst wenn sie diesen Regeln vorher selbst zugestimmt haben. Ob eine wirtschaftlich geschwächte und uneinige Gemeinschaft eine Bewährungsprobe wie die Coronakrise bestehen kann, ist fraglich. Clemens Fuest ist seit April 2017 Präsident des ifo Instituts.

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Die Demokratie ist in Gefahr

Die Demokratie durchlebt gefährliche Zeiten. Die Gefahr erkennt man in zunehmender Fremdenfeindlichkeit und wachsender öffentlicher Unterstützung für autokratische Gestalten. Diese testen die Grenzen demokratischer Normen aus. Das ist an sich schon beunruhigend. Michael J. Sandel warnt: „Ebenso alarmierend ist jedoch die Tatsache, dass Parteien und Politiker der Mitte kaum verstehen, welche Unzufriedenheit die Politik in aller Welt in Aufruhr versetzt.“ Manche prangern das Anschwellen des Populismus als wenig mehr denn eine rassistische, fremdenfeindliche Reaktion auf Immigranten und Multikulturalismus an. Ander betrachten ihn vorwiegend in ökonomischen Begriffen. Nämlich als Protest gegen den Verlust von Arbeitsplätzen, den der globale Handel und neue Technologien mit sich bringen. Michael J. Sandel ist ein politischer Philosoph, der seit 1980 in Harvard lehrt. Er zählt zu den weltweit populärsten Moralphilosophen.

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Ein Staat muss seine Grenzen schützen

In verstärktem Maße geht es im Reich des Homo faber um die Behauptung des Echten. Christian Schüle nennt Beispiele: „Um die echten Deutschen. Die echten Franzosen. Die echten Dänen. Die echten Polen. Die echten, ethnisch klar und vor allem berechtigterweise auf den Heimatboden Verorteten.“ Um die im Revier Geborenen, die auf der Scholle Lebenden. Der Nationalismus, der an das Gewissen der Echtheit appelliert, hat das Problem, nachvollziehbare Kriterien für seine Voraussetzungen zu liefern. Das Echte kann nur echt durch seine Negation sein: das Unechte, vulgo Fremde. Wenn das Eigene das Echte ist, muss das Fremde das Falsche sein. Solcherart Dialektik rechtfertigt sogar Gewalt, weil das staatliche Monopol aufgegeben ist, wenn der Staat seiner genuinen Aufgabe nicht nachkommt: dem Schutz der Grenzen seines Raumes. Seit dem Sommersemester 2015 lehrt Christian Schüle Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.

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Die Deutschen sind von einer kollektiven Verunsicherung ergriffen

Menschen mit einer anhaltenden Angst, die nicht auf bestimmte Auslöser in der unmittelbaren Umgebung beschränkt und durch deine große Anzahl von Sorgen und Vorahnungen bestimmt ist, leiden an einer generalisierten Angststörung. Georg Pieper vertritt die Ansicht, dass die Deutschen von einer kollektiven Verunsicherung ergriffen sind, die sich über die vergangenen Jahre aufgebaut und im Jahr 2016 ein alarmierend hohes Niveau erreicht hat. Die Ursachen für dieses Unsicherheitsgefühl sind vielfältig. Georg Pieper erklärt: „Ein wichtiger Aspekt aus psychologischer Sicht ist das Gefühl, nicht mehr Herr über das eigene Schicksal zu sein und sich immer weniger als selbstwirksam zu erleben.“ Außerdem leben die Menschen heutzutage in einer globalisierten Welt, in der die wirtschaftlichen Zusammenhänge für viele undurchschaubar geworden sind. Dr. Georg Pieper arbeitet als Traumapsychologe und ist Experte für Krisenintervention.

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Die AfD baut ihren Erfolg auf einem schlichten Nein auf

In den Landesparlamenten Deutschlands macht sich eine Partei breit, die ihren Erfolg auf einem schlichten Nein aufbaut. Als den Deutschen die Rettung des Euro zu teuer vorkam, rief sie: „Nein zum Euro!“ Seit die Eurokrise abebbte und eine Million Migranten ins Land kamen, schreit sie: „Nein zu Flüchtlingen!“ Seit der Flüchtlingsstrom kleiner wird und Islamisten Anschläge verüben, brüllt sie: „Nein zum Islam!“ Alexander Hagelüken ergänzt: „Und bei alldem tönt ein Nein zum System mit, zu den etablierten Parteien, zur vermeintlichen Lügenpresse.“ Die vermeintliche Alternative für Deutschland (AfD) zog seit 2014 bei allen zehn Landtagswahlen ins Parlament ein. Bei den fünf Landtagswahlen 2016 erzielte sie zwischen zwölfeinhalb Prozent und einem gewaltigen Viertel der Stimmen. Alexander Hagelüken ist als Leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung für Wirtschaftspolitik zuständig.

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Der Nationalismus ist das schlimmste Gesicht des Populismus

In seinem neuen Roman „Die Enthüllung“, der im Suhrkamp Verlag erschienen ist, geht es um den Missbrauch der Macht und um Korruption. Doch nicht nur in seinen Büchern prangert der peruanische Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa (80) Missstände an. In den sozialen Netzwerken wurde viel über den Literaturnobelpreis für Bob Dylan diskutiert. Mario Vargas Llosa hat diese Entscheidung sehr überrascht: „Ich glaube, das ist Ausdruck der zunehmenden Frivolität der Kultur in unserer Zeit. Bob Dylan ist ein guter Sänger, aber er ist längst kein großer Schriftsteller.“ Für Mario Vargas Llosa gibt es viele Schriftsteller, die den Nobelpreis verdient hätten und beiseitegelassen worden sind. Aber dies ist seiner Meinung nach die Zivilisation des Spektakels, und sie reicht inzwischen bis zur Schwedischen Akademie.

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Menschliches Verhalten lässt sich nicht vorhersehen

Das Titelthema des neuen Philosophie Magazins 06/2016 beschäftigt sich mit der Frage, wie berechenbar der Mensch ist. Denn die großen Innovationssprünge unserer Zeit wie Gentechnologie, Neurowissenschaft oder Big Data versprechen eine immer präzisere Prognostizierbarkeit des menschlichen Verhaltens. Geht es nach dem Willen von Google und Co., wird der Alltag eines Menschen schon bald exakt voraussagbar sein. Es wäre ein Leben ohne böse Überraschungen, ohne Angst vor tiefen Enttäuschungen, ohne den Terror des Unverfügbaren. Hier stellt sich natürlich die Frage, wer denn ernsthaft in einer solchen Welt leben möchte. Wie, wenn überhaupt, könnte man frei in ihr existieren. Wie unvorhersehbar das Leben aber in Wirklichkeit ist und wie wenig sich menschliches Verhalten tatsächlich voraussagen lässt und wie wenig es in der Tat bedarf, von einem vollkommen berechenbar scheinenden Handlungsmuster in ein völlig irrationales auszurasten, haben gerade die letzten Monate wieder in aller Schmerzlichkeit vor Augen geführt.

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Die Wähler sind unberechenbar geworden

Ein Phänomen erobert gerade die westlichen Demokratien: die Wutwähler. Die Wut richtet sich gegen die Eliten in der Politik und der Wirtschaft, gegen die etablierten Parteien, die Mainstream-Medien, gegen Freihandel und natürlich gegen Einwanderung. Viele Brexiteers in Großbritannien, Anhänger von Donald Trump in den USA oder Wähler von Marie Le Pen in Frankreich. „Take back control“, die Kontrolle zurückgewinnen, war die Parole der Befürworter des Brexits. Es könnte der Hilferuf aller Wutwähler weltweit sein. In einer Zeit, in der zunehmend komplexe Freihandelsverträge oder unbekannte EU-Kommissare über die eigenen Lebensbedingungen bestimmen, sehnen sie sich wieder nach Grenzen, nach nationaler Gesetzgebung, einer abgeschotteten Wirtschaft. Es gibt dieses Phänomen nicht erst seit gestern. Aber die Wut hat in diesem Jahr einen Siedepunkt erreicht, befeuert von der Finanzkrise und der Eurokrise, von der Destabilisierung des Nahen Ostens und den daraus folgenden Flüchtlingsströmen, vom Aufstieg Chinas und der Deindustrialisierung der vergangenen Jahrzehnte.

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Populisten sind auf der ganzen Welt auf dem Vormarsch

In der Türkei ist mit Recep Tayyip Erdoğan ein Staatspräsident an die Macht gelangt, der zwar demokratisch gewählt wurde, aber die Demokratie mit Füßen tritt, um seinen Anspruch auf Alleinherrschaft zu zementieren. Auch in Deutschland sammelt die AfD alle jene ein, die sich maßlos ärgern, dass es zur „Alternativlosigkeit“ Angela Merkels keine Alternative geben soll. Dass diese Bewegung so eine Dynamik erlangt hat, ist nach Erkenntnissen von Experten auch auf den Einfluss der Massenmedien zurückzuführen, in deren Berichterstattung fast nur noch das Negative dominiert. Die Wirklichkeit werde als gigantisches Versagen dargestellt und die Strukturen dieser nach oben offenen Pleitenskala prägten schon seit langem den öffentlichen Diskurs. Wie die Populisten verfolgten auch die Massenmedien im Grunde nur ein Ziel: Aufmerksam um jeden Preis.

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