Im Spiegel vervielfältigt sich die eigene Gestalt

Das Reich der Bilder, die Sinnenwelt, ist ein an den Rändern einer spezifischen Kraft – des rezeptiven Vermögens – errichtetes Reich. Emanuele Coccia erläutert: „Indem das Medium die materielose Form in sich empfängt, trennt es sie von ihrem gewohnten Substrat und ihrer Natur.“ In den Begriffen der Scholastik ist das Medium der Ort der Abstraktion, also der Abtrennung. Das Sinnliche ist die von ihrer natürlichen Existenz abgetrennte, abstrahierte Form. So existiert das eigene Abbild im Spiegel oder einer Fotografie wie losgelöst von der eigenen Person, in einer anderen Materie, an einem anderen Ort. Die Trennung ist die wesentliche Funktion des Ortes. Einer Form einen Ort zuzuweisen, bedeutet, sie von den anderen zu trennen. Sie von der Kontinuität und der Vermischung mit dem übrigen Körper abzulenken. Emanuele Coccia ist Professor für Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.

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Die Moral wird zur Komplizin des Bösen

Die begründungsabstinente Unbekümmertheit der Moral in der Gegenwart manifestiert sich an der Identifizierung sexistischer oder rassistischer Signale. Über deren verwerflichen Charakter herrscht große Einmütigkeit. Bei der Einmütigkeit handelt es sich jedoch nicht um den zwanglosen Zwang des besseren Arguments. Alexander Somek fragt: „Ist eine Darstellung dann sexistisch, wenn sie Frauen als Sexualobjekte zeigt, obwohl doch das wechselseitige Sich-Zum-Objekt-Machen zur Sexualität gehört?“ Es wäre doch wohl verkehrt anzunehmen, dass durch die Affirmation des Umstands, dass heterosexuelle Männer auf Frauen stehen, die Unterordnung der Frau unter den Mann ratifiziert wird. Wäre die „Heteronormativität“ der Skandal, dann müsste auch gezeigt werden, in welchem Zusammenhang sie mit dem männlichen Sexismus steht. Alexander Somek ist seit 2015 Professor für Rechtsphilosophie und juristische Methodenlehre an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.

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Die Erfindung des Buchdrucks veränderte die Welt

Die Erfindung des Buchdrucks in den 1450er Jahren veränderte die Welt. Sie machte aus Büchern „fliegende Teppiche“ und verlieht Texten „buchstäblich Flügel“. Diese Revolution war weitreichend und unumkehrbar. Helmut Walser Smith erklärt: „Der Buchdruck verschaffte der Sprache eine neue Dauerhaftigkeit, weil er die Sprachdrift aufhielt und Zerfall sowie Zersplitterung neuer Erkenntnisse verlangsamte.“ Wörter wurden von ihrem Verfasser getrennt und gewannen ein Eigenleben. Auf einer Seite angeordnet, ließen sie sich leichter analysieren und sezieren, widerlegen und verbessern. Zudem verschaffte die Druckerpresse Ideen ein breiteres Publikum, nicht nur in den großen Städten, sondern auch in kleineren Orten und Dörfern. Dort trugen lesekundige Menschen die Bücher laut vor und ersetzten so den Geschichtenerzähler. Helmut Walser Smith lehrt Geschichte an der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee.

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Die Welt und ihre Dinge sind Erscheinungen

Die Welt ist nicht wesentlich phänomenologisch. Die Dinge sind nicht das Sinnliche. Sie müssen erst sichtbar, hörbar, tastbar werden, und das tun sie nur immer außerhalb von sich selbst. Die Welt und ihre Dinge entstehen und sind Erscheinungen. Dies geschieht immer nur anderswo als am Ort ihrer Existenz und in einer anderen Materie als jener, der sie ihre Existenz verdanken. Dieser Ort, an dem die Realität erkennbar und phänomenal wird, ist der nichtdingliche, aber auch nicht notwendige psychologische Raum. Emanuele Coccia erklärt: „Nur in den Medien und dank der Medien wird die Welt zum Phänomen. Wenn das wahr ist, sollte das Projekt der Phänomenologie, das die Philosophie so lange beschäftigt hat, sofort abgebrochen werden.“ Emanuele Coccia ist Professor für Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.

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Alle Lebewesen erzeugen unentwegt Sinnliches

Das Sinnenleben erlischt nicht in dem Augenblick, in dem der wahrnehmende Akt vollzogen worden ist. Emanuele Coccia erläutert: „Das Sinnliche hat schon vor uns gelebt. Und es lebt auch noch nach der Wahrnehmung in uns weiter.“ Es lebt, ähnlich wie das Grundraunen all der menschlichen Gedanken, wie der lebendige Fluss aller Erinnerungen. Es existiert wie der letzte Horizont. In diesem nehmen alle Vorhaben und Handlungen Gestalt an, werden realisierbar und, ja, Wirklichkeit. Übrigens bleibt es laut Emanuele Coccia nicht nur beim Empfangen von Sinnlichem: „Alle Lebewesen erzeugen unentwegt Sinnliches. Darin ist der Mensch allen anderen Tieren überlegen: Er spricht, parfümiert sich, zeichnet, schematisiert.“ Emanuele Coccia ist Professor für Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.

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Es gibt ein spezifisches Reich des Sinnlichen

Es gibt einen Ort, an dem Bilder entstehen, einen Ort, der weder mit Materie, in der die Dinge Gestalt annehmen, noch mit der Seele der Lebewesen und ihrem Seelenleben zu verwechseln ist. Das spezifische Reich der Bilder, der Ort des Sinnlichen, ist weder mit dem Raum der Gegenstände noch mit dem geistigen Paradies identisch, in dem sich alle erkennenden Subjekte versammeln. Dieser dritte Raum lässt sich weder aus dem Erkenntnisvermögen noch aus einer besonderen, spezifischen Natur heraus bestimmen. Ein Medium lässt sich weder durch seine Natur noch über seine Materie bestimmen. Sondern nur über ein spezifisches Vermögen, das weder auf das eine noch auf das andere reduziert werden kann. Emanuele Coccia ist Professor für Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.

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Das Sinnliche dominiert die Welt

Die Menschen leben unter dem ständigen Einfluss des Sinnlichen. Dazu zählt Emanuele Coccia Gerüche, Farben, den Geschmack der Speisen, Melodien und ganz banale Geräusche. Sie sind die allererste Ursache, der Zweck und die permanente Gelegenheit des menschlichen Handelns. Emanuel Coccia erklärt: „Unsere Existenz – im Schlaf und im Wachsein – ist ein endloses Bad im Sinnlichen.“ Es sind Bilder, welche die Menschen ständig ernähren und welche die Erfahrungen am Tag und im Traum unentwegt nähren. Sie bestimmen die Wirklichkeit und den Sinn jeder menschlichen Regungen und Bewegungen. Sie sind es, die den Gedanken eines Menschen Wirklichkeit und seinen Begierden Gestalt verleihen. Die Grenzen des kreatürlichen Lebens lassen sich unmöglich an den Grenzen des anatomischen Körpers messen. Emanuele Coccia ist Professor für Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.

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Bilder existieren auf nichträumliche Weise

Das Sinnliche ist das Sein der Formen, wenn sie außerhalb sind, wie im Exil, fern des eigenen Ortes. Wie soll man sich diesen zusätzlichen Raum vorstellen, der das absolute Außen ist? Wegen ihrer Außenkörperlichkeit existieren Bilder auf nichträumliche Weise. Wenn ein Spiegel unser Bild aufnimmt, schreibt Albertus Magnus, nimmt er weder an Gewicht noch an Volumen zu. Emanuele Coccia ergänzt: „Während ein Körper Tiefe besitzt, existiert das Bild im Spiegel, ohne sich von dessen Oberfläche abzuheben.“ Das Sein des Sinnlichen, das Bild-sein, determiniert also keinerlei räumliche Existenz. Emanuele Coccia hält fest: „Ein Bild ist das Entweichen einer Form aus dem Körper, dessen Gestalt es ist. Ohne dass diese äußerliche Existenz eines anderen Körpers oder eines anderen Gegenstands determinieren kann.“ Emanuele Coccia ist Professor für Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.

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Drei Segmente prägen die traditionelle Kultur

Es hat immer wieder Versuche gegeben, den Kern der traditionellen Kultursphäre in jeweils einen der drei Segmente der Kultur auszumachen. In der Religion etwa bei Max Weber, in der höfischen Gesellschaft bei Norbert Elias oder in der Volkskultur bei Michail Bachtin. Tatsächlich scheint aber gerade die Koexistenz aller drei Segmente für die traditionelle Kultursphäre charakteristisch zu sein. Andreas Reckwitz erläutert: „Sie ist durch eine Kombination aus Singularisierung und Wiederholung gekennzeichnet.“ In dieser Gesellschaftsform wird deutlich, dass Singularität und Innovation beziehungsweise Kreativität nicht zusammenfallen müssen. Die traditionelle Kultursphäre ist vielmehr an solchen kulturellen Elementen orientiert, die nicht einem Regime des Neuen unterworfen, sondern als wertvoll anerkannter Gegenstand der Wiederholung sind. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Der Kampf um die Wortmacht hat begonnen

Ohne dass viele Menschen es überhaupt bemerken, stecken sie mitten in einem großen Kampf. Dabei geht es um die Form, die Bedingungen und die Grenzen der globalen Redefreiheit. Sowohl in den Smartphones in ihren Taschen und vielleicht auch in ihren Köpfen. Timothy Garton Ash nennt dieses Ringen den Kampf um die Wortmacht. Wie das Wort „Rede“ in „Redefreiheit“ schließt der Begriff „Wort“ in „Wortmacht“ offensichtlich viel mehr mit ein als nur Worte. Timothy Garton Ash erklärt: „Er umfasst auch Bilder, Töne, Symbole, Informationen und Wissen sowie Kommunikationsstrukturen und Kommunikationsnetze.“ Der spanische Soziologe Manuel Castells spricht von der „Kommunikationsmacht“. Aber Timothy Garton Ash ist das kurze Wort lieber als das lange, besonders weil ohnehin jede Bezeichnung nur einen Teil des Ganzen erfasst. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

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Emanuele Coccia kennt den Ort der Bilder

Im Spiegel werden Menschen unvermittelt zum reinen Bild. Sie entdecken sich verwandelt in das reine, immaterielle, unausgeweitete Sein des Sinnlichen. Emanuele Coccia stellt fest: „Unsere Form existiert außerhalb von uns selbst, außerhalb unseres Körpers, außerhalb unseres Bewusstseins. Wir sind zum reinen Sein der Erscheinung geworden, aber nur uns selbst gegenüber.“ Diesseits, in der Welt, in der die Menschen Seele und Materie sind, bietet sich die Erscheinung wie mit etwas anderem vermengt dar. Das ist vielleicht das kleine, große Geheimnis, das Spiegel seit Jahrhunderten in sich tragen. Sie lehren, dass jedes Bild – das Sinnliche als solches – die Existenz einer Form jenseits ihres Ortes ist. Emanuele Coccia ist Professor für Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.

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Schon Einzeller haben ein Gedächtnis

Nahezu alles, was in Form neu erzeugter mentalen Bilder einem Menschen zur Verfügung steht, ist auch der inneren Aufzeichnung zugänglich. Ob es einem gefällt oder nicht. Antonio Damasio ergänzt: „Wir originalgetreu die Aufzeichnung ist, hängt zunächst einmal davon ab, wie viele Emotionen und Gefühle erzeugt wurden, während die Bilder durch den Strom unser Gedanken wanderten. Viele Bilder bleiben bestehen. Und beträchtliche Teile der Aufzeichnungen können wir später mehr oder weniger genau erneut abspielen, abrufen und rekonstruieren.“ Manchmal tritt die Erinnerung an solche alten Inhalte sogar in Konkurrenz zu neuen Informationen, die gerade erzeugt werden. Das Gedächtnis ist schon bei einzelligen Lebewesen vorhanden. Es erwächst dort aus chemischen Veränderungen. Antonio Damasio ist Professor für Neurowissenschaften, Neurologie und Psychologie an der University of Southern California und Direktor des dortigen Brain and Creative Institute.

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Das Computernetz wird singularisiert

Im digitalen Computernetz werden nicht nur Subjekte, sondern auch Objekte und Dinge singularisiert. Und zwar auf zwei Wegen. Entweder geschieht das maschinell-algorithmisch oder durch die Subjekte mit Hilfe der digitalen Instrumente. Andreas Reckwitz erläutert: „Das wichtigste Beispiel für den ersten Weg ist das, was häufig unter der Überschrift >Personalisierung des Internets< verhandelt wird. Der zweite Weg ergibt sich vor allem als ein Effekt der Handhabung der Software, der >Softwarisierung< der Objekte.“ Im ersten Fall handelt es sich bei den Objekten um das Insgesamt des Netzes, wie es sich dem Nutzer darbietet. Im letzteren Fall geht es um einzelne digitale Objekte – Texte, Bilder etc. – oder auch materielle Dinge. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Der Naturmensch war schon immer eine Fiktion

Konrad Paul Liessmann stimmt der Aussage zu: „Der Naturmensch war immer schon eine Fiktion. Für den Menschen war seine eigene Natur nur das Ausgangsmaterial, das es erst zu gestalten galt.“ Eine prekäre Radikalisierung erfuhr dieser Sachverhalt durch die Überlegung, dass es nicht darum gehen sollte, den Menschen nach ethischen und ästhetischen Überlegungen zu formen, sondern zu verbessern. Dieser Gedanke hat die Einsicht in das Ungenügen des Vorhandenen ebenso zur Voraussetzung wie die normative Vorstellung, an der sich die nun einsetzenden Programme der Optimierung orientieren können. Das Konzept des „neuen Menschen“, der einen alten hinter sich lassen sollte, ist christlichen Ursprungs. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.

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Viele Menschen geben mit Statussymbolen an

Viele Menschen besitzen einige Dinge allein deshalb, um andere Menschen damit zu beeindrucken. Denn natürlich macht sich fast jeder Gedanken darüber, wie die Umwelt ihn wahrnimmt. Fumio Sasaki nennt Beispiele: „Es macht Spaß, mit den schönen Dingen anzugeben, die man sich leisten kann: einer schicken Küche, hübschen Möbeln, einem coolen Auto und einer teuren Uhr.“ Oder man spielt den kreativen Ästheten und umgibt sich mit Kunst und Musikinstrumenten. Viele Menschen strengen sich unheimlich an, ihr Image zu pflegen. Was einem Menschen aber wirklich Freude bereitet, sind oft genutzte Dinge, die man nicht großartig pflegen muss. Auch wenn es verlockend ist, sich mit Statussymbolen zu schmücken, rät Fumio Sasaki, sich von allen Dingen zu trennen, mit denen man anderen Menschen lediglich imponieren möchte. Fumio Sasaki arbeitete als Cheflektor des japanischen Verlages Wani Books, bevor er freier Autor wurde.

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Antonio Damasio offenbart die Geselligkeit der Triebe

Der Apparat der Triebe, Motivationen und Emotionen beschäftigt sich mit dem Wohlergehen des menschlichen Organismus, in dem die Reaktionen ablaufen. Die meisten von ihnen sind von ihrem Wesen her in größerem oder kleinerem Maßstab sozial. Ihr Einflussbereich erstreckt sich weit über das Individuum hinaus. Antonio Damasio erklärt: „Begehren und Lust, Fürsorge und Ernährung, Zuneigung und Liebe wirken im sozialen Zusammenhang. Das gleiche gilt für die meisten Fälle von Freude und Traurigkeit, Furcht und Panik oder Wut. Aber auch für Mitgefühl, Bewunderung und Staunen, für Neid, Eifersucht und Verachtung.“ Die kraftvolle soziale Ausrichtung war für den Intellekt des Homo sapiens eine unentbehrliche Stütze. Antonio Damasio ist Professor für Neurowissenschaften, Neurologie und Psychologie an der University of Southern California und Direktor des dortigen Brain and Creative Institute.

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Emanuele Coccia erforscht das Sein des Sinnlichen

Spiegel erinnern daran, dass es Bilder, dass es Sinnliches im Universum gibt. Und sie erinnern auch daran, dass das Sinnliche, die Bilder, weder eine Eigenschaft der Dinge noch das Akzidenz des Bewusstseins von Mensch und Tier ist. Bilder haben vielmehr ein spezielles Sein, sind eine Sphäre des Realen. Sie sind aber getrennt von den anderen Sphären. Sie sind etwas, das in sich selbst existiert, mit einem besonderen Seinsmodus, dessen Formen beschrieben werden müssen. Deshalb ist die Wissenschaft vom Sinnlichen für Emanuele Coccia eine regionale Ontologie. Diese kann eine andere Seinsgattung jenseits vom Sein der Dinge und vom Sein des Geistes oder des Bewusstseins statuieren: das Sein des Sinnlichen. Emanuele Coccia ist Professor für Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.

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Es gibt eine Parallelwelt der Affekte

Der Bestandteil des menschlichen Geistes, der wie es scheint, das Dasein eines Menschen beherrscht, betrifft die tatsächliche oder aus dem Gedächtnis abgerufene Welt. Sie setzt sich zusammen aus ihren menschlichen oder nichtmenschlichen Gegenständen und Ereignissen. Diese sind in den unzähligen Bildern aller Sinneskanäle repräsentiert. Häufig übersetzt man sie in verbale Sprache und strukturiert sie in Narrativen. Antonio Damasio fügt hinzu: „Und doch gibt es bemerkenswerterweise auch eine mentale Parallelwelt, die alle diese Bilder begleitet und häufig so unterschwellig ist, dass sie für sich keinerlei Aufmerksamkeit fordert. Gelegentlich wird sie aber auch so bedeutsam, dass sie den Weg des hervorstechendsten Teils unseres Geistes verändert und manchmal fesselt. Dies ist die Parallelwelt der Affekte.“ Antonio Damasio ist Professor für Neurowissenschaften, Neurologie und Psychologie an der University of Southern California und Direktor des dortigen Brain and Creative Institute.

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Wissen war mit einem Erlebnis verbunden

Wissen ist eine Ressource der Klugheit. Das Wissen, das man sich angeeignet hat, dient dazu innere Bilder und äußere Eindrücke zu sichten und Schlussfolgerungen zu ziehen. Um kluge Schlüsse zu ziehen, muss der Mensch sein Wissen verinnerlichen. Die mündliche Überlieferung von Wissen war und ist hierbei wahrscheinlich von Vorteil. Allan Guggenbühl erklärt: „Das Wissen wurde memoriert und in eindrücklichen, wenn auch möglicherweise langweiligen Zeremonien weitergegeben. Folge war, dass sich die Menschen viel Wissen aneigneten. Sie kannten die Sprüche und Bilder auswendig, sodass sie beim Denken spontan auf sie zurückgreifen konnten.“ Ein weiterer Vorteil der mündlichen Vermittlung war, dass Wissen mit einem Erlebnis verbunden war. Allan Guggenbühl ist seit 2002 Professor an der Pädagogischen Hochschule Zürich tätig. Außerdem fungiert er als Direktor des Instituts für Konfliktmanagement in Zürich.

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Die Wahrheit befindet sich in einer tiefen Krise

Es ist schwer und oft prinzipiell unmöglich, unter der herrschenden Flut von Informationen zu entscheiden, was denn nun stimmt und was nicht. Bernhard Pörksen schreibt: „In der Situation einer allgemeinen Verunsicherung wuchert der Verdacht, regiert der Zweifel und dominiert das Geraune. Es suggeriert den Durchblick, aber offenbart eigentlich doch nur Verwirrung und Verstörung.“ Zudem kommuniziert der vernetzte Mensch unter den gegenwertigen Medienbedingungen konstant mit „Entitäten“. Deren Absichten und Interessen, deren Integrität oder Status – Mensch oder Maschine, neutraler Beobachter oder Propagandist – lassen sich nicht sicher einschätzen. Daher stellt sich die Frage, was überhaupt als echte, wahrheitsgetreue und authentische Kommunikation betrachtet werden kann – und was eben nicht. Die digitale Öffentlichkeit stellt den vernetzten Menschen also vor das Problem, die zahlreich verbreiteten Falsch- und Fehlinformationen überhaupt zu erkennen. Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen.

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Informationen haben den Status des Kognitiven

Andreas Reckwitz unterscheidet deutlich zwischen Daten, Informationen und Kulturformaten. Allen drei begegnet er in den digitalen Medien. Als Daten lassen sich Systeme von Unterscheidungen begreifen. Diese kommen innerhalb maschineller Prozesse – Binärcodes, Algorithmen – vor und wirken damit unabhängig vom Wissen der Menschen. Anders als die Daten bilden Informationen und Kulturformate Sinnzusammenhänge, mit denen menschliche Subjekte hantieren. Während die Information jedoch eine instrumentelle Funktion hat, haben die Kulturformate aus Sicht der Teilnehmer schon für sich genommen einen Wert. Informationen haben den Status des Kognitiven. Sie sind nützliches Wissen, um bestimmte Zwecke zu erreichen. Kulturformate sind stattdessen für die Teilnehmer intrinsisch motiviert, gerade indem sie sie beeinflussen beziehungsweise erregen. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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David Hockney zählt zu den einflussreichsten Künstlern des 20. Jahrhunderts

Obwohl David Hockney seit seiner Kindheit malt, was er bis heute nicht, was auf seinen Bildern in der nächsten Sekunde passieren wird. Wenn er sich einer gesellschaftlichen Gruppe zugehörig fühlt, dann der Boheme. Denn ohne Tabakrauch und Drogen gibt es sie nun einmal nicht. Als im November 2018 sein Bild „Portrait of an Artist“ in New York für rund 90 Millionen Dollar versteigert wurde, avancierte David Hockney zum teuersten lebenden Künstler. Das Gemälde ist die Darstellung einer traumatischen Trennung. Am Rand des Swimmingpools steht Peter Schlesinger, die erste große Liebe des Künstlers, der ihn kurz zuvor verlassen hatte. Unter Wasser schwimmt Schlesingers neuer Freund. Der britische Maler, Grafiker, Bühnenbildner und Fotograf David Hockney gilt als einer der einflussreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts.

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Die Kunst hat einen außerordentlichen Aufschwung erlebt

Kunst dient unter anderem dem Vergnügen und der Unterhaltung. Kunst kann aber auch Ängste hervorrufen oder steigern, ähnlich kann sie Gefühle von Mitleid erzeugen oder verstärken und beide, Ängste und Mitleid, in gewisse Bahnen lenken. Im Fall des Vergnügens und der Unterhaltung dient Kunst der Entlastung. Je nach Intension und Rang kann Kunst zum vergnüglichen Schmunzeln anregen, gelegentlich sogar zum befreienden Lachen, dabei von den Mühen und Plagen der Arbeitswelt und des Alltags, auch von Sorgen befreien, wenn auch in der Regel nur vorübergehend. Otfried Höffe ergänzt: „In glücklichen Fällen vermag Kunst neue Lebenskraft zu schenken oder den Blick für entsprechende Möglichkeiten zu öffnen.“ Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Der Fundamentalist erfährt sich als Mängelwesen

Jeder Fundamentalismus setzt die Regel gegen den Einzelnen, das für jeden Verbindliche gegen das Individuelle. Georg Milzner betont: „Der Fundamentalist ist damit der erklärte Feind jeder am Individuum orientierten Lebensform, jeder Selbstverwirklichung, jeglichen Strebens nach Selbst-Sein.“ Der Psychoanalytiker Martin Altmeyer spricht in seiner Analyse der Gemeinsamkeiten von Rechtsradikalismus, Linksradikalismus und politischem Islam von der „Obsession des Homogenen“, der alle diese drei Lager erliegen. Sie richtet sich, anders als etwa beim Schwarmverhalten, weniger auf die erlebte Verbundenheit in einer Masse als vielmehr auf Werte, Motive und moralische Richtlinien. Jene Bereiche also, an denen Konflikte entstehen, deren Lösung im Fundamentalismus an das feste Regelwerk delegiert wird. Hinzu kommt die Bedeutung von Vorbildern, an denen man sehen kann, wie gut gelebt wird. Georg Milzner ist Diplompsychologe und arbeitet in eigener Praxis als Psychotherapeut.

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Selbst vergessene Träume haben Einfluss auf das wache Leben

Wenn ein Mensch träumt, hat sein Gedächtnis das Sagen. Immer noch steht es in der Macht des bewussten Geistes, höchst beunruhigende Erinnerungen zurückzuweisen. Dennoch haben manchmal selbst vergessene Träume einen subtilen Einfluss auf das wache Leben. Während nahezu alle Träume vergessen werden, leuchten angenehme und insbesondere sexuelle Träume noch viele Stunden hell nach. David Gelernter ergänzt: „Erfreuliche Träume strahlen aus, ob wir uns an die Details erinnern oder nicht.“ Auch solche „entrückenden“ Träume tauchen nicht oft auf. Aber auch gewöhnliche Träume können das Alltagsleben selbst dann beeinflussen, wenn man sie nahezu vollständig vergessen hat. Zufällig tun oder sagen Menschen etwas, das mit einem fast vergessenen Traum zu tun hat – und dann spürt man eine schwache Reaktion unterhalb der Bewusstseinsebene des Gedächtnisses. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale University.

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