Danielle Allen fordert eine vernetzte Gesellschaft

Laut Danielle Allen benötigt man politische Rahmenbedingungen, die dazu beitragen, dass man eine „vernetzte Gesellschaft“ erreicht. Nur so kann das Ideal „sozialer Verbundenheit“ entstehen. In diesem Rahmen gibt es kulturelle Gewohnheiten, die zum individuellen Wohlergehen beitragen. Zudem bringen sie die soziale Verbundenheit aktiv zur Geltung. Sozialkapital-Forscher unterscheiden drei Arten von sozialen Beziehungen: Bonding, Bridging und Linking. Danielle Allen erklärt: „Bindungen sind jene engen Beziehungen, die Verwandt, Freunde und sozial ähnliche Personen zusammenhalten.“ Brücken werden in jenen loseren Beziehungen gebaut, die Menschen über demografische Spaltungen hinweg miteinander verbinden. Und Verbindungen sind schließlich die vertikalen Beziehungen zwischen Menschen auf unterschiedlichen Stufen einer Statushierarchie. Danielle Allen ist James Bryant Conant University Professor an der Harvard University. Zudem ist sie Direktorin des Edmond J. Safra Center for Ethics in Harvard.

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Liebe macht das Leben reizvoll und süß

In seinem neuen Buch „40 verrückte Wahrheiten über Frauen und Männer“ stellt Michael Lehofer die These auf, dass Liebesbeziehungen mit einer immensen Heilserwartung verbunden sind. Das macht sie so attraktiv. Dennoch scheitern Menschen in ihrem Leben in der Regel an nichts so sehr wie an nicht gelungenen Liebesbeziehungen. Im Groben kann man sagen: Die einen werden süchtig, die anderen resigniert. Mit beiden versuchen die Betroffenen zu kompensieren, was unersetzlich ist: die Liebe. Michael Lehofer schreibt: „In der Liebe flutscht das Leid des Lebens gleichsam durch uns durch. Resignation und Süchtigkeit hingegen bewirken, dass sich das Leid quasi in uns staut. Liebe mach das Leben auf angenehme Weise reizvoll und süß, Resignation und Süchtigkeit verbittern es.“ Univ.-Prof. Dr. med. Dr. phil. Michael Lehofer ist ärztlicher Direktor und Leiter der einer Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie am Landeskrankenhaus Graz II.

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Gewaltlosigkeit sollte überall herrschen

Steht derjenige, der Gewaltlosigkeit praktiziert, in Beziehung zu demjenigen, gegen den Gewaltanwendung erwogen wird, dann scheint zwischen beiden ein vorgängiger sozialer Bezug zu stehen. Sie sind Teil voneinander, das eine Selbst ist im anderen impliziert. Judith Butler erläutert: „Gewaltlosigkeit wäre dann eine Weise, diesen Bezug anzuerkennen, so belastet er auch sein mag. Und auch die normativen Zielsetzungen zu bejahen, die sich aus diesem schon bestehenden sozialen Bezug ergeben.“ Daher kann eine Ethik der Gewaltlosigkeit nicht in Individualismus gründen. Sondern sie muss eine führende Rolle in der Kritik des Individualismus als Basis sowohl der Ethik als auch der Politik spielen. Eine Ethik und Politik der Gewaltlosigkeit müssen der wechselseitigen Weise Rechnung tragen, die das Leben der Selbste miteinander verbindet. Judith Butler ist Maxine Elliot Professor für Komparatistik und kritische Theorie an der University of California, Berkeley.

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Die Frage nach dem Sinn eines Kindes wird lauter

In Zeiten der Unsicherheit, genauer der unsicheren Zukunft, wird die Frage nach dem Sinn eines Kindes lauter. Peter Trawny ergänzt: „Solche Zeiten können die eines drohendes Krieges oder einer schwierigen Wirtschaftslage sein. Heute behaupten die Kinder selbst, dass ihnen die prognostizierte ökonomische Katastrophe der Erderwärmung die Zukunft raubt.“ Der Sinn des Kindes scheint auf dem Spiel zu stehen. Steht er immer auf dem Spiel? Schon an der Formulierung wird deutlich, dass das Thema schwierig ist. Aber eine Philosophie der Liebe kommt an ihm nicht vorbei. Warum? Weil Liebe Fruchtbarkeit ist. Das ist eine Aussage, die man begründen muss. Sie wird – Peter Trawny wagt das zu behaupten –, was das Kind betrifft, reserviert betrachtet werden. Peter Trawny gründete 2012 das Martin-Heidegger-Institut an der Bergischen Universität in Wuppertal, das er seitdem leitet.

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Der Mensch versteht die Welt nur in ihrem Werden

Die Menschen können die Welt als ein Geflecht aus Ereignissen begreifen, aus einfacheren Geschehnissen und komplexeren. Letztere lassen sich auf einfachere zurückführen. Carlo Rovelli nennt Beispiele: „Ein Krieg ist kein Ding, sondern eine Menge aus Ereignissen. Ein Gewitter ist keine Sache, sondern eine Gesamtheit aus Abläufen.“ Und der Mensch? Er ist gewiss kein Ding, sondern ein komplexer Prozess, in den Luft ein- und ausströmt, aber auch Nahrung, Informationen, Licht, Sprache usw. Der Mensch ist ein Knoten unter Knoten in einem sozialen Beziehungsgeflecht. Dieses Netzwerk besteht aus chemischen Prozessen, aus Emotionen, die ein Mensch mit seinesgleichen austauscht. Lange Zeit haben die Menschen die Welt in Begriffen einer Ursubstanz zu begreifen versucht. Seit dem Jahr 2000 ist Carlo Rovelli Professor für Physik an der Universität Marseille.

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Macht verändert den Status anderer

Wenn die Sozialwissenschaften dazu tendieren, Macht über Geld, militärische Stärke und politische Teilhabe zu definieren, tun sie das aus gutem Grund. Denn Aktivitäten, die sich darauf stützen, können die Welt erheblich verändern. Dacher Keltner ergänzt: „Durchdringt aber Macht jegliche Art der sozialen Dynamik, müssen wir sie neu definieren. Um damit zu zeigen, wie Menschen die Welt verändern, ohne auf Geld, militärische Aktivitäten und die Politik zurückzugreifen.“ So definiert, ist Macht die Fähigkeit, den Status anderer zu verändern. Mit Status meint Dacher Keltner die Stellung einer Person oder einer Gruppe im weitersten Sinne. Der Status kann also viele Bereiche betreffen: den Stand des Bankkontos, den Glauben, die Emotionen, die Gesundheit und so weiter. Dacher Keltner ist Professor für Psychologie an der University of California in Berkeley und Fakultätsdirektor des UC Berkeley Greater Good Science Center.

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Weise Menschen achten nicht auf Äußerlichkeiten

Einen wichtigen Aspekt hat Michael R. Levenson in die Erforschung der Weisheit eingebracht. Er betrachtet die Selbsttranszendenz als das zentrale Charakteristikum von Weisheit. Judith Glück erklärt: „Weise Menschen haben sich intensiv und kritisch mit sich selbst auseinandergesetzt. Und sie sind in der Lage, sich selbst mit allen ihren Stärken und Schwächen so zu akzeptieren, wie sie sind.“ Sie sind so weit mit sich selbst im Reinen, dass sie es nicht mehr nötig haben, nach Selbstbestätigung zu suchen. Dadurch sind im Kern ihres Wesens unabhängig von äußeren Dingen, die den meisten anderen Menschen wichtig sind. Dazu zählen etwa Statussymbole oder die Bestätigung durch andere. Die meisten anderen Menschen sind noch nicht ganz so weit. Judith Glück ist seit 2007 Professorin für Entwicklungspsychologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

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Dacher Keltner definiert einen neuen Begriff der Macht

Seit Niccolò Machiavelli und der Renaissance hat sich die Gesellschaft dramatisch verändert, und zwar in einer Weise, die es erforderlich macht, die ausgediente Definition von Macht fallenzulassen. Dacher Keltner erklärt: „Es wird uns eher gelingen, das Macht-Paradox zu überlisten, wenn wir unser Denken erweitern und Macht als die Fähigkeit definieren, etwas in der Welt zu verändern, insbesondere, indem wir mit Hilfe der Macht andere in unseren sozialen Netzen aufrütteln.“ Nach dieser neuen Definition ist Macht nicht auf ganz besondere Menschen beschränkt, also weder auf grausame Diktatoren noch hochrangige Politiker oder die Reichen und Berühmten des Jet-Sets, die in der Öffentlichkeit stehen. Dacher Keltner ist Professor für Psychologie an der University of California in Berkeley und Fakultätsdirektor des UC Berkeley Greater Good Science Center.

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Lügen zerstören eine Beziehung

Martin Hartmann definiert Lüge als Behauptung, deren Inhalt der Sprecher für falsch hält. Er stellt sie aber mit der Absicht auf, andere mit Blick auf diesen Inhalt zu täuschen. Es ist relativ leicht zu erkennen, dass Lügen das Vertrauen in einer Beziehung empfindlich stören oder sogar zerstören. Deswegen sagt man oft, die Lüge, wenn sie denn bemerkt wird, markiere das eigentliche Ende des Vertrauens. In manchen Beziehungen kann es jedoch durchaus sinnvoll sein zu lügen oder unaufrichtig zu sein. Aber unter normalen Umständen gehen Menschen davon aus, dass andere die Wahrheit sagen. Martin Hartmann ergänzt: „Wenn jemand uns dauerhaft anlügt, brechen wir in der Regel das Verhältnis zu ihm ab.“ Martin Hartmann ist Professor für Praktische Philosophie an der Universität Luzern.

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Konsequent gedacht gibt es gar keine Pflicht

Leiden wird oft mit der „Pflicht“ erklärt. Wer seine Pflicht tut, scheint vor jedermann gerechtfertigt – vor anderen und sich selbst. Reinhard K. Sprenger erklärt: „Pflichtbewusst erfreut man sich allseitiger Wertschätzung: als Mutter, als Vater, als Briefträger, als Beamter, als Soldat. Wer seine Pflicht tut, tut das, was sich gehört.“ Die Pflicht kommt dabei meist im grauen Leinensack der Entbehrung daher und wird begleitet von einer Aura der Selbstaufopferung. Viele Menschen kennen das Gefühl der Pflichterfüllung, einige seufzen unter dieser Last. „Dazu fühle ich mich verpflichtet“ oder „Dafür habe ich mich in die Pflicht nehmen lassen“, sagen jene, die irrigerweise glauben, eigentlich etwas anderes zu wollen. Reinhard K. Sprenger ist promovierter Philosoph und gilt als einer der profiliertesten Managementberater und Führungsexperte Deutschlands.

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Das Soziale einer Gesellschaft ist relativ stabil

Wären alle Innovationen, von denen heute die Rede ist, wirklich innovativ, wäre das Leben grauenhaft. So viel Neues hielte niemand aus. Wenn alles so voll von Neuerungen wäre, wie es die Werbung und der Zeitgeist verheißen, müsste man sein Leben praktisch jeden Tag neu erfinden. Und dies schafft auch der größte Innovationsfreund nicht. Konrad Paul Liessmann erklärt: „Angesichts der Omnipräsenz der Rhetorik der Innovation drängt sich geradezu der Verdacht auf, dass so viel von Innovationen die Rede sein muss, weil uns nicht wirklich viel Neues mehr einfällt.“ Schon das Alte Testament ist von einer grundlegenden Skepsis gegenüber dem Neuen erfüllt. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.

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Glücklichsein setzt Disziplin und Konzentration voraus

Das Geheimnis des Glücks besteht weniger darin, jeden Augenblick so zu leben, als sei er der letzte; vielmehr, als sei er der erste. Glückliche Menschen sehen Glück nicht als einen Wunsch an, sondern als etwas, das jetzt machbar ist, wozu man etwas beitragen kann, zu dem man eine proaktive Haltung einnimmt. Aber es lässt sich nicht direkt ansteuern. Auch wenn es scheinbar widersinnig klingt: Man kann nicht glücklich sein wollen, mag man sich das auch gegenseitig immer wieder versichern. Glück ist nur indirekt erlebbar. Es ist gleichsam ein Abfallprodukt. Reinhard K. Sprenger erklärt: „Nach allem, was wir darüber wissen, ist das Glückserleben eine Begleiterscheinung aktiven Tuns, selbstverantwortlichen Lebens, klarer Entscheidung.“ Reinhard K. Sprenger ist promovierter Philosoph und gilt als einer der profiliertesten Managementberater und Führungsexperte Deutschlands.

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Die Freiheit kann für die Liebe zum Problem werden

„Freiheit“ ist spätestens seit den Zeiten der Aufklärung, seit Immanuel Kant also, eines der großen Worte der Gesellschaft, der Moral und der Politik. Peter Trawny nennt ein Beispiel: „Als erster Begriff der Triade „Liberté, Egalité, Fraternité“ hat sie die Französische Revolution angeführt.“ So ist es auch kein Wunder, dass das Wort ganz am Beginn der Präambel der Menschenrechtserklärung von 1948 auftaucht. Frei sein zu wollen ist heutzutage scheinbar ein derart banaler Wunsch, dass die meisten Menschen ihn für gewöhnlich gar nicht mehr thematisieren. Wenn die Freiheit bedroht zu sein scheint, ist die Empörung allerdings groß. Dabei ist der Begriff der Freiheit besonders in Form des feministischen Projekts immer noch höchst aktuell. Peter Trawny gründete 2012 das Martin-Heidegger-Institut an der Bergischen Universität in Wuppertal, das er seitdem leitet.

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Vorhersehbarkeit ist eine fundamentale Dimension sozialer Interaktionen

Für den Soziologen und Gesellschaftstheoretiker Niklas Luhmann ist die Reduktion von Komplexität und Ungewissheit ein grundlegender Bestandteil sozialer Prozesse. Eva Illouz erläutert: „Liebe ist – wie Wahrheit, Geld oder Macht – ein Kommunikationsmedium, das dabei hilft, Erwartungen zu erzeugen, eine Entscheidung unter vielen möglichen anderen auszuwählen, Motivationen mit Handlungen zu verbinden sowie Gleichheit und Vorhersehbarkeit in Beziehungen zu schaffen.“ Ein solches Medium der Kommunikation bringt Rollen hervor, die wiederum erwartete Ergebnisse produzieren. Vorhersehbarkeit ist eine fundamentale Dimension sozialer Interaktionen, die beispielsweise in Riten besonders deutlich zum Ausdruck kommt. Wenn Interaktionen ritualisiert werden, erzeugen sie Gewissheit über die Beziehungsdefinition der Akteure, über ihre Position in einer solchen Beziehung und über die dazugehörigen Verhaltensregeln. Eva Illouz ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität von Jerusalem sowie Studiendirektorin am Centre européen de sociologie et de science politique de la Sorbonne.

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Die romantische Liebe existiert jenseits der sozialen Bedinungen

Die romantische Liebe ist die Kitsch-Version einer Liebesform, die noch heute die Gemüter erregt. Peter Trawny erläutert: „Man fordert gleichsam von sich selbst, dass es keine anderen Motive in der Liebesbeziehung gibt als eben nur die Liebe. Weder wählt man das Geld noch das Ansehen, weder will man den guten Namen noch die Erbschaft – man will rücksichtslos diesen Einen, wie er ist. Wie romantisch …“ Als romantisch gilt demnach die Betonung der reinen Liebe jenseits der sozialen Bedingungen, in denen die Liebenden sich befinden. Allerdings gibt es ein engeres Verständnis dieser Liebe, wenn man an die Kunst und Dichtung in der Romantik denkt, die damals auch als mögliche Lebensform betrachtet wurde. Peter Trawny gründete 2012 das Martin-Heidegger-Institut an der Bergischen Universität in Wuppertal, das er seitdem leitet.

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Die Moderne scheint von negativen Beziehungen bestimmt zu sein

Für die Zeit vom 16. bis zum 20. Jahrhundert konstatieren die Soziologen der Moderne die Ausbreitung der Kultivierung neuer Beziehungsformen auf alle gesellschaftlichen Gruppen. Dazu zählen, Eva Illouz nennt nur einige, die Liebesheirat, die selbstlose oder uneigennützige Freundschaft, das mitfühlende Verhältnis zum Fremden und die nationale Solidarität. Alle diese Formen können ihrer Meinung nach gleichermaßen als neue soziale Verhältnisse, neue Institutionen und neue Gefühle bezeichnet werden. Gemeinsam ist ihnen, dass sie durchweg auf einer Wahl beruhen. In der frühen Neuzeit wurde somit die Freiheit zu wählen institutionalisiert, wobei die Individuen ihre Freiheit in der Verfeinerung der Praxis des Wählens erfuhren, die als eine emotionale erlebt wurde. Eva Illouz ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität von Jerusalem sowie Studiendirektorin am Centre européen de sociologie et de science politique de la Sorbonne.

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Soziale Kräfte untergraben die sexuelle Emanzipation

In der zeitgenössischen Sexualität kommt nicht etwa eine von der amoralischen Populärkultur freigesetzte rohe heidnische Energie zum Ausdruck. Sondern sie ist vielmehr der Träger einer Reihe von sozialen Kräften, die genau jene Werte untergraben, die den Kampf für die sexuelle Emanzipation einmal beflügelt haben. Eva Illouz erläutert: „Die Sexualität ist zu einem Feld für psychologische Humantechniken, Technologien und den Konsumentenmarkt geworden, die eines gemeinsam haben: Sie organisieren und übersetzen das Begehren und die zwischenmenschlichen Beziehungen in eine schiere Angelegenheit der individuellen Wahl.“ Die – sexuelle, konsumbezogene und emotionale – Wahl ist das Leitmotiv, an dem sich das Selbst und der Wille im liberalen Gemeinweisen orientieren. Eva Illouz ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität von Jerusalem sowie Studiendirektorin am Centre européen de sociologie et de science politique de la Sorbonne.

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Das Lernen aus dem Leben führt zur Weisheit

Weisheit ist eine seltene und außergewöhnliche Eigenschaft, und den meisten Menschen wird es nicht vergönnt sein, sie in hohem Maße zu erwerben. Deshalb müssen Weisheitsforscher immer wieder hinterfragen, inwieweit ihre Vorstellungen von Weisheit vielleicht nur ihren persönlichen Vorstellungen von optimaler Entwicklung wiedergeben. Judith Glück stellt fest: „Ab den 1980er-Jahren begann die Psychologie, sich für das Thema Weisheit zu interessieren. Ein wichtiger Grund dafür war zweifellos das zunehmende wissenschaftliche Interesse am Altern überhaupt.“ In Zukunft wird ein immer größerer Anteil der Bevölkerung über 60, 70, ja über 100 Jahre alt sein. Mit dieser Erkenntnis wuchs auch das wissenschaftliche Interesse daran, was das Altern eigentlich mit den Menschen macht, ob und wie es das Denken, das Gedächtnis und die Persönlichkeit verändert. Judith Glück ist seit 2007 Professorin für Entwicklungspsychologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

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Die Freundschaft ist das höchste Vergnügen des Lebens

Eine eindrucksvolle Reihe von Philosophen – von den Hedonisten bis zu den Transzendentalisten – hat die Freundschaft als höchstes Vergnügen des menschlichen Lebens bewertet. Daniel Klein fügt hinzu: „Nicht den Sex, nicht irgendwelche Extremsportarten, ja nicht einmal das Aufsteigen einer originellen philosophischen Erkenntnis: einfach nur, einen sehr guten Freund zu haben.“ Epikur und Aristoteles dachten so, aber auch Michel de Montaigne und Francis Bacon, George Santayana und William James. Wenn man bedenkt, dass Philosophieren eine der introvertiertesten Beschäftigungen ist, die man sich überhaupt vorstellen kann, ist es schon faszinierend, dass alle diese Leute es so sehr schätzen, einen Gefährten zu haben. Daniel Klein, Jahrgang 1939, studierte Philosophie in Harvard. Zusammen mit Thomas Cathcart schrieb er „Platon und Schnabeltier gehen in eine Bar“, das in 26 Sprachen übersetzt wurde.

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Gefühle können Unsicherheit und Chaos bewirken

Die Institutionalisierung der sexuellen Freiheit mittels Konsumkultur und Technologie hat folgenden Effekt gehabt. Eva Illouz kennt ihn: „Sie hat jegliche Gewissheit über die Substanz, den Rahmen und das Ziel sexueller und emotionaler Verträge grundlegend erschüttert.“ Was Eva Illouz die negative Struktur zeitgenössischer Beziehungen nennt, ist die Tatsache, dass die Akteurinnen nicht wissen, wie sie die Beziehung definieren, bewerten oder führen sollen, die sich nach vorhersehbaren und tragfähigen sozialen Drehbüchern beginnen. Die sexuelle und die emotionale Freiheit haben die bloße Möglichkeit, die Bedingungen eines Verhältnisses zu definieren, zu einer offenen Frage und zu einem Problem gemacht, das gleichermaßen psychologischer wie soziologischer Natur ist. Eva Illouz ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität von Jerusalem sowie Studiendirektorin am Centre européen de sociologie et de science politique de la Sorbonne.

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Carol Gilligan reklamiert eine eigene weibliche Auffassung der Moral

Carol Gilligan, die in Harvard als Psychologie-Professorin lehrte, erhebt gegen die ihrer Ansicht nach männlich geprägte individualistische und rationale Moral der Gerechtigkeit „Die andere Stimme“ eines solidarischen, gemeinschaftsorientierten Entwurf einer Moral, der aus Beziehungen und Kontexten erwachsende Pflichtgefühl in den Mittelpunkt stellt. Ludger Pfeil erklärt: „Gilligan fand in ihren Untersuchungen zur Moralpsychologie heraus, dass Frauen moralische Konflikte lösen, indem sie auf bestimmte Tugenden wie Rücksichtnahme und Hilfeleistung Bezug nehmen, während sich Männer eher an Gerechtigkeitsidealen orientieren und eine damit verbundene abstraktere Perspektive einnehmen.“ Rollen- und kontextbezogene Informationen wie persönliche Bindungen sind für Frauen wichtiger, um eine Entscheidung zu treffen. Der Philosoph Dr. Ludger Pfeil machte nach seinem Studium Karriere in der Wirtschaft als Projektleiter und Führungskraft und ist als Managementberater tätig.

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Aristoteles definierte den Menschen als soziales Wesen

Diese Erkenntnis ist nicht neu – ein Mensch, der in gute soziale Beziehungen eingebunden ist, der Freunde und Familie hat, lebt länger, glücklicher und gesünder. Ina Schmidt ergänzt: „Auch das wusste bereits Aristoteles, der den Menschen als geselliges beziehungsweise soziales Wesen definierte, und diese Erkenntnis gilt bis heute in noch jungen Forschungsdisziplinen wie der positiven Psychologie, die sich mit den Fragen der menschlichen Lebenszufriedenheit oder dem Glücksempfinden in der modernen Welt auseinandersetzt.“ Der 2012 verstorbene Psychologieprofessor Christopher Peterson, der an der Universität von Michigan forschte, war davon überzeugt, dass sich der Schlüssel zu einem guten Leben in drei Wörtern zusammenfassen lässt: „Andere Menschen zählen.“ Ina Schmidt gründete 2005 die „denkraeume“, eine Initiative, in der sie in Vorträgen, Workshops und Seminaren philosophische Themen und Begriffe für die heutige Lebenswelt verständlich macht.

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Das Wohlbefinden hängt stark von der sozialen Umgebung ab

Die Vorstellung, Glück ließe sich ganz individuell und unabhängig von allen anderen verwirklichen, ist reichlich weltfremd. Ulrich Schnabel ergänzt: „Ein falsch verstandenes, zwanghaft positives Denken, das alles Negative ausblendet und nur rosarote Brillen zulässt, bringt am Ende mehr Unglück als Glück hervor.“ Schließlich hängt das Wohlbefinden eines Menschen stark von der sozialen Umgebung ab, von Freunden, Partnern, Arbeitskollegen et cetera. Zufriedenheit, so zeigt auch eine Langzeitstudie der Harvard University, hat vor allem mit Beziehungen zu tun. Studienleiter George Vaillant erklärt: „Den größten Einfluss darauf, ob ein Leben gelingt, hat Bindung. Und dabei geht es nicht unbedingt um die Bindung zum Lebenspartner, sondern eher um die grundsätzliche Beziehung zu anderen Menschen, also im Sinne einer altruistischen und empathischen Verbindung.“ Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.

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Gute Erziehung ist weder streng noch liberal

Auch der Bereich der Erziehung – ob in der Familie, der Kita oder anderswo – ist bekanntlich keine konfliktfreie Zone. Nicht zuletzt ist gerade aggressives Verhalten von Kindern immer wieder ein Thema für pädagogische Diskussionen. Hans-Peter Nolting stellt fest: „Wenn Kinder sich rücksichtslos verhalten oder als kleine Tyrannen aufspielen, wird in breitem Konsens vor allem ein Erziehungsprinzip hervorgehoben: Man muss Kindern Grenzen setzten.“ Das stimmt sicherlich, dennoch ist mit dieser Einsicht nicht viel gewonnen. Zum einen kommt es sehr darauf an, auf welche Weise man Grenzen setzt, denn zuweilen geschieht das mit Methoden, die das Problem eher noch verschärfen. Dr. Hans-Peter Nolting beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Themenkreis Aggression und Gewalt, viele Jahre davon als Dozent für Psychologie an der Universität Göttingen.

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Die Menschen machen ihr eigenes und das Leben der anderen zur Hölle

Konrad Paul Liessmann, der wissenschaftliche Leiter des Philosophicum Lech hat für das 22. Symposium den provokanten Titel „Die Hölle. Kulturen des Unerträglichen“ gewählt. Die Hölle, das sind die anderen. Die hochkarätigen Teilnehmer beleuchteten die vielen Gesichter des Fegefeuers: von den Torturen der Sucht über das Leben mit Gewalt bis zu quälender Armut und von der Beziehungshölle über die Tücken der Blutsbande bis hin zur teuflischen Desinformation im digitalen Zeitalter. Seit Jean-Paul Sartres existentialistischer Deutung der Hölle ist klar: Es sind die Menschen selbst, die sich ihr eigenes und das Leben der anderen zur Hölle machen. Konrad Paul Liessmann zitiert in seinem Beitrag den deutschen Schriftsteller Botho Strauß, der in einem seiner Texte noch einmal die ursprünglichsten Funktionen der Hölle verweist: eine Imagination der Gerechtigkeit, gespeist aus dem Geist der Rache und Vergeltung bei gleichzeitigem Eingeständnis der eigenen Ohnmacht.

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