Die SPD stirbt

Die SPD hat laut Michael Wolffsohn ihre historische Mission erfüllt. Deshalb stirbt sie ab. Denn ein verwirklichter und sich ständig weiter entwickelnder Wohlfahrtsstaat in nämlich in Deutschland sowie im politisch westlichen Europa gelebter Alltag. Zudem gehört er zur unumstrittenen Basis fast aller Parteien. Sogar der sozialpolitische Anspruch der Anti-System-Partei AfD und vergleichbarer Rechtspopulisten Europas ist nicht wirklich bestreitbar. Auch das ist für Michael Wolffsohn ein Grund, weswegen den sozialdemokratischen Parteien ihre traditionellen Wähler in Scharen davonlaufen. Seit jeher konzentrierte sich die Sozialdemokratie aufs materielle Wohl der Menschen. Das war sozusagen ihre politische DNA. Ihr Ursprung, Seinsgrund, Werden und Wachsen sowie das der Arbeiterbewegung insgesamt war das Elend der Arbeiterschaft. Prof. Dr. Michael Wolffsohn war von 1981 bis 2012 Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München.

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Der Kapp-Putsch war ein Staatsstreich der alten Rechten

Am 1. Januar 1920 trat der Friedensvertrag von Versailles in Kraft – und mit ihm auch jene Bestimmungen, welche die Verurteilung der deutschen Kriegsverbrecher und die Reduzierung der deutschen Heeresstärke auf 100.000 Mann regelte. Vor allem die Verringerung der Truppen richtete sich direkt gegen die noch unter Waffen stehenden Freikorps, aber auch gegen Tausende von Offizieren der Reichswehr, die vergebens gehofft hatten, die Regierung werde diese Bestimmungen unterlaufen. Die dadurch entstandene Verbitterung gab den Anlass, den nun schon seit einiger Zeit verfolgten Gedanken in die Tat umzusetzen, nämlich die sogenannte November-Republik zu stürzen. Der seit Längerem vorbereitete Putsch wurde von einigen Politikern der Rechten, darunter Wolfgang Kapp, einem der Führer der Vaterlandspartei, und Oberst Bauer, dem engsten Mitarbeiter Erich Ludendorffs in der Obersten Heeresleitung, in Gang gesetzt.

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Yuval Noah Harari erklärt den Kult der freien Marktwirtschaft

Nicht allen Kapitalisten gefällt ein enges Bündnis von Kapital und Politik. Viele ärgern sich darüber, dass die wirtschaftlichen Positionen einer Regierung oft durch ihre politischen Interessen verzerrt werden. Dadurch tätigt sie schlechte Investitionen und behindert das Wachstum. So mancher Wirtschaftsführer klagt, dass manche Regierungen Unternehmen hart besteuert und mit den Einnahmen großzügige Arbeitslosengelder bezahlt, weil dies bei den Wähler gut ankommt. Ihrer Ansicht nach wäre es weit sinnvoller, wenn die Regierung das Geld bei den Firmen belassen hätte, damit diese für die Arbeitslosen neue Arbeitsplätze schaffen. Yuval Noah Harari fügt hinzu: „Nach Ansicht dieser Kritiker sollte sich die Politik aus der Wirtschaft heraushalten, Steuern und staatliche Kontrolle auf ein Minimum reduzieren und die Kräfte des Marktes agieren lassen.“ Yuval Noah Harari ist Professor für Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem.

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Erich Fromm beschreibt die Entwicklung Deutschlands nach 1871

Deutschland, der Nachzügler unter den großen westlichen Industrienationen, erlebte nach 1871 seinen aufsehenerregenden Aufstieg. Schon im Jahr 1895 hatte die deutsche Stahlproduktion diejenige Englands erreicht, und 1914 war Deutschland bei der Herstellung von Stahl England und Frankreich weit überlegen. Deutschland besaß laut Erich Fromm ein äußerst leistungsfähiges Industriesystem, wozu seine rational denkende, strebsame und gebildete Arbeiterschaft wesentlich beitrug. Allerdings besaß Deutschland nicht genügend Rohstoffe und hatte nur wenige Kolonien. Erich Fromm fügt hinzu: „Um sein wirtschaftliches Potential maximal zu realisieren, musste es sich ausdehnen, es musste Gebiete erobern, die in Europa und Afrika über Rohstoffe verfügten.“ Gleichzeitig besaß Deutschland ein Offizierkorps, das in der Tradition Preußens ausgebildet worden war und sich durch Disziplin, Loyalität und Hingabe an die Armee auszeichnete.

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Das 19. Jahrhundert bringt gesellschaftliche Änderungen hervor

Mit der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts war in Europa ein noch nie dagewesener Zuwachs der Bevölkerung verbunden, der die Einwohnerzahlen der Industrieländer auf das Zwei- bis Dreifache emporschnellen ließ. Ein Hauptgrund dafür war die Zuwanderung von Menschen aus dem Agrarsektor und aus dem Handwerk. Abhängige Arbeitskräfte, die bis dahin vielfach zur Ehelosigkeit verurteilt gewesen sind, gründeten zumindest in der ersten Generation äußerst kinderreiche Arbeiterfamilien. Dazu kamen die Fortschritte der Hygiene der ärztlichen Versorgung, die zur Senkung der Sterblichkeitsrate und zur Verlängerung der Lebensdauer maßgeblich beitrugen. Diese neue Schicht der Proletarier schien unaufhaltsam zu wachsen und damit den Klassenkampf marxistischer Vorstellung unausweichlich zu machen. Es ist ein Kuriosum der Geschichte, dass zur selben Zeit, als die russische Revolution den gewaltsamen Weg zur klassenlosen Gesellschaft einschlug, sich die Prognose vom ungehemmten Wachstum der Arbeiterschaft als falsch erwies.

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Otto von Bismarck und Bejamin Disraeli erneuern das Wahlrecht

Das gestörte Gleichgewicht der verschiedenen Komponenten des neuzeitlichen deutschen Regierungssystems geht laut Ernst Fraenkel auf die Frühzeit Otto von Bismarcks zurück. Damals wurde dem Parlament zwar ein sachlicher Einfluss auf die Gesetzgebung, aber kein personeller Einfluss auf die Regierung eingeräumt. Daher verkümmerte das Machtstreben der Parteien und gleichzeitig verdichtete sich ihre Tendenz zur Prinzipientreue. Ernst Fraenkel schreibt: „Ihrem weltanschaulichen Charakter entsprechend verlagerten die politischen Parteien ihr Schwergewicht vom Parlament in selbstständige Parteiorganisationen, die Instruktions- und Kontrollfunktionen über die Parlamentsfraktionen ausübten.“ Die Schwäche des Parlaments hatte demnach zwei Ursachen: erstens die zunehmende Macht der Staatsbürokratie und zweitens die sich anbahnende Stärke der Parteibürokratien. Schritt für Schritt mit der zweifach bedingten Entmachtung des Parlaments vollzog sich ein Prozess der Zersetzung der öffentlichen Meinung.

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Die geistesgeschichtlichen Quellen des Anarchismus

Für den Politologen Peter Lösche sind die Ursprünge und Vorläufer des Anarchismus ebenso zahlreich wie die sozialen, geistesgeschichtlichen und politischen Bedingungen, unter denen der Anarchismus entstanden ist. Geistesgeschichtlich wird der Anarchismus laut Peter Lösche aus zwei Quellen gespeist, die selbst miteinander verbunden sind. Er schreibt: „Zunächst ist er ein Produkt der Aufklärung: Unter Anlehnung an naturrechtliche Vorstellungen ermöglicht der Rationalismus überhaupt erst ein Gesellschaftskonzept, das die in der Gegenwart vorhandene menschliche Entfremdung für real aufhebbar hält.“ In der Abwendung vom Reich Gottes und des Feudalismus wird die Einzigartigkeit des Individuums entdeckt. Der Liberalismus und der Anarchismus haben an dieser Stelle die gleiche Wurzel. Der Anarchismus allerdings treibt den Individualismus bis zu seiner letzten Konsequenz. Die zweite geistesgeschichtlich Quelle des Anarchismus sieht Peter Lösche, ähnlich dem Marxismus in seinen Ursprüngen, in der Hegel-Kritik.

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