Das Böse ist das Fremde und radikal Andere

Das Böse. Dunkel, geheimnisvoll, furchteinflößend. Als das Unfassbare schlechthin, das menschliches Vertrauen in die Welt erschüttert, reizt es zu Dämonisierungen – und auch zu Projektionen. Das Böse ist das Fremde. Das radikal Andere. Ob Heimtücke, Falschheit oder Hinterlist, ob Missbrauch, Amoklauf oder Terrorismus: Den gesunden Menschenverstand übersteigend verursacht die böse Tat Abscheu, Angst und ein tiefes Schutzbedürfnis. Svenja Flaßpöhler fügt hinzu: „Das Böse muss bekämpft werden. Überwacht, weggesperrt, ausgeschlossen – gar ausgerottet.“ Aber könnte es nicht sein, dass das Böse gar nicht von außen kommt, verschlagen und verführerisch in Häuser und Herzen drängt – sondern vielmehr uranfänglich in uns selbst lebt? Tatsächlich zeigt sich ja gerade im Schlaf, wie ungeheuerlich die Phantasien eines Menschen sein können. Dr. Svenja Flaßpöhler ist Stellvertretende Chefredakteurin des Philosophie Magazins.

Die Grenze zwischen Phantasie und böser Tat ist porös

Svenja Flaßpöhler erklärt: „Unbewusst begeht noch der Tugendhafteste Verbrechen, wird geplagt von mörderischen Alpträumen, die, wie wir alle wissen, durchaus auch Tagträume sein können, böse Gedanken, die uns wie ein Blitz durchzucken.“ Die Verbindung des Menschen zum Bösen ist intim – und oft mehr als nur rein geistiger Art. Jugendliche, in virtuellen Welten lebend, laufen plötzlich Amok, treffen sich zum „Gang Bang“: Die Grenze zwischen Phantasie und Tat ist porös. Umso drängender stellt sich das Problem, wie sich das Undenkbare denken lässt.

Denker setzen sich seit jeher mit der beunruhigenden Frage auseinander: Gehört das Böse zum Wesen des Menschen? Und wenn ja: Inwiefern? Eine erste Antwort liefert die alltägliche Anschauung. Schließlich zeigt sich selbst in vergleichsweise harmlosen Situationen, wie leicht die zivilisatorische Schicht bröckelt. Für den englischen Philosophen und Staatstheoretiker Thomas Hobbes sind die wesentlichen Triebkräfte des Menschen die Selbsterhaltung und das Streben nach Lust.

Die Annahme eines animalischen Bösen hat eine zentrale Schwäche

Für Thomas Hobbes ist der Mensch im ungezügelten Zustand „ein Wolf für den Menschen“, das Leben dementsprechend „einsam, widerwärtig, vertiert und kurz“. Das Tier im Menschen zähmen, meint Thomas Hobbes, könne einzig ein Souverän, dem der Mensch die Macht überträgt, weil er sich vor einem verfrühten, gewaltsamen Tod fürchtet. Gemäß dieser Deutung ist das Böse nicht im eigentlichen Sinne pathologisch, sondern vielmehr Ausdruck eines wölfischen Wesens: Bestialische Gruppenvergewaltigungen, blutrünstige Massenmorde und spontane Gewaltausbrüche scheinen seien Existenz zu bestätigen.

Und doch, die Annahme eines animalischen Bösen hat für Svenja Flaßpöhler eine zentrale Schwäche: „Indem sie den Menschen auf seine Triebe reduziert, spricht sie ihm jede Handlungsmacht – und damit auch jede Verantwortung für sein eigenes Tun – ab. Wenn der Mensch tatsächlich ein Gefangener seiner Affekte wäre und es demgemäß eines Herrschers bedürfe, um das Zusammenleben zu ermöglichen, existierte weder äußere noch innere Freiheit.“ Gerade die Autonomie aber wird seit dem Ende des 18. Jahrhunderts als Kennzeichen des Menschen betrachtet. Quelle: „Verzeihen“ von Svenja Flaßpöhler

Von Hans Klumbies