Die Spinnenseide ist dünner als ein Haar und fester als Stahl

Fritz Vollrath von der britischen University of Oxford interessiert sich für das einzigartige Material, aus dem Spinnen ihre Netze bauen: „Spinnenseide ist ausgesprochen leicht, dünner als ein Haar, fester als Stahl und elastischer als Gummi. Außerdem ist sie biokompatibel und biologisch abbaubar.“ Die Proteinstränge haben sich in mehr als 350 Millionen Jahren entwickelt und zählen zu den wohl ausgereiftesten Zwirnen überhaupt. Das betrifft auch den Aufwand an Energie. Eine Spinne braucht nur ein Tausendstel der Energie, die für die Herstellung eines vergleichbaren Kunststofffadens benötigt wird. Seit vielen Jahren beschäftigen sich Forscher, Ingenieure und Unternehmen mit den außergewöhnlichen Eigenschaften der Spinnenseide. Wissenschaftler von der Medizinischen Hochschule Hannover erforschen gerade die Klebeeigenschaften der Wunderfäden. Sie erproben, wie man entlang der klebrigen Seide neue Nervenbahnen wachsen lassen könnte.

Spinnennetze schwingen in unterschiedlichen Frequenzen
Das Wissenschaftlerteam um Fritz Vollrath berichtete im Fachblatt Advanced Materials, Spinnenseide könnte auch helfen, neue Sensoren, beispielsweise für Hörhilfen, herzustellen. Die Forscher haben entdeckt, dass die Fäden eines Spinnennetzes in den unterschiedlichen Frequenzen schwingen. An den Schwingungen erkennt die Spinne, wo welche Beute sich in ihrem Netz verfangen hat. Dass bei der Nutzung der Wunderfäden bisher noch kein Durchbruch gelungen ist, hat vor allem einen Grund: Spinnenseide lässt sich nur schwer herstellen.

Die Spinnen selbst eignen sich nicht für die Herstellung, denn in Massen auf engem Raum gehalten, würden sie sich gegenseitig auffressen. Deshalb versuchen Wissenschaftler Mikroben, Raupen, Pflanzen und sogar Ziegen mit gentechnischen Methoden zur Produktion von Spinnenseide zu animieren. Kleine Unternehmen präsentieren inzwischen ihre ersten Produkte. Das Start-up-Unternehmen Amsilk der Universität München in Planegg verkauft seit Kurzem eine Hautcreme, die zwar keine Spinnenfäden enthält, aber doch Seidenproteine nach Spinnenart.

Schon Aristoteles kannte die wundheilende Wirkung von Spinnenseide
Firmengründer Thomas Scheibel klärt auf: „Die Proteine sind ein guter Wasserspeicher und ersetzen Fette, die normalerweise in Cremes enthalten sind.“ Außerdem bilden sie einen Film auf der Haut, auf dem sich keine Pilze oder Bakterien ansiedeln können. Das macht sie für Menschen interessant, die an Neurodermitis erkrankt sind. Die wundheilende Wirkung von Spinnenseide ist schon seit der Antike bekannt. So soll beispielsweise der griechische Philosoph Aristoteles Blutungen mit einer Mischung aus Spinnweben, Weihrauch, Aloe vera, Eiweiß sowie ein paar Hasenhaaren gestillt haben.

Der Biochemiker Thomas Scheibel erklärt: „Spinnen halten die Seidenproteine in ihrer Spinndrüse in einer wässrigen Lösung und wandeln sie dann in Sekundenbruchteilen in eine Faser um.“ Inzwischen beherrschen die bayerischen Jungunternehmer die Kunst aus Spinnenproteinen Fasern zu spinnen. Zehn Jahre Entwicklungszeit haben sie dafür benötigt und einiges vom biologischen Vorbild übernommen. Der Spinnentrick gelingt mit einer bestimmten Salzzugabe und bei einem leicht sauren pH-Wert. Auch die Mechanik beim Spinnen muss stimmen. Die Faser muss gezogen und darf nicht einfach herausgedrückt werden. Quelle: Süddeutsche Zeitung

Von Hans Klumbies