Eine Lüge kann durch viele Gefühle oder Intentionen motiviert sein

Eine Frage, die Shirley P. Glass oft in ihrer Praxis gestellt wird, ist die, ob Menschen, die Affären haben, Lügner sind. Ihre Antwort lautet: „Natürlich sind sie das.“ Denn per definitionem ist jeder, der sich auf eine heimliche, verbotene Beziehung eingelassen hat, auch in Lügen verstrickt, große und kleine. Wenn Menschen bezüglich ihrer Untreue die Wahrheit sagen würden, hätten sie entweder eine offene Beziehung oder es käme zur Scheidung. Lügen sind keine simple Angelegenheit. Eine Lüge kann durch viele Gefühle und Intentionen motiviert sein, von Böswilligkeit bis hin zur Güte. Es kommt immer auf den Zusammenhang an. Dr. phil. Shirley P. Glass war niedergelassene Psychologin und Familientherapeutin. Sie starb im Jahr 2003 im Alter von 67 Jahren an einer Krebserkrankung.

Intime Beziehungen sind abhängig von Ehrlichkeit und Offenheit

Eine böswillige Lüge kann das Leiden eines oder vieler Menschen bewirken. Eine Lüge aus Freundlichkeit und Güte kann das Fortbestehen sozialer Beziehungen zur Folge haben. Zwischenmenschliche Beziehungen vertragen nicht immer brutale Ehrlichkeit. Shirley P. Glass erklärt: „In jeder Situation die absolute Wahrheit zu sagen, könnte einen Mangel an Feingefühl und Güte andeuten und die zerbrechlichen Bande, die Menschen miteinander verbinden, untergraben. Auf der anderen Seite zerstören Lügen, die ungerechte und betrügerische Handlungen verdecken sollen, in zwischenmenschlichen Beziehungen das Vertrauen.“

Intime Beziehungen sind abhängig von Ehrlichkeit und Offenheit. Wie schmerzhaft es für einen Ehepartner auch ist, sexuelle Begegnungen oder emotionalen Bindungen auf die Spur zu kommen, die Lügen und der Betrug sind dabei die schrecklichsten Verletzungen. Auch gibt es einen Unterschied zwischen der Begehungs- und Unterlassungslüge. Eine Begehungslüge bedeutet, Informationen zu fabrizieren, sich Einzelheiten oder eine ganze Geschichte auszudenken. Einige untreue Partner scheuen keinerlei Mühe, um zu täuschen und spinnen aufwändige Geschichten mit komplizierten Details zusammen, um ihre Lügen mit einer Wirklichkeit zu umgeben, die nicht infrage gestellt werden kann.

Beim Lügen tritt ein Domino-Effekt ein

Andere Menschen handhaben die Wahrheit nur etwas flexibler, um ihre Spuren zu verwischen. Wieder andere sind nicht so geschickt im Erfinden von Lügenmärchen und fühlen sich auch nicht wohl damit. Sie greifen eher zur Unterlassungslüge. Eine Unterlassungslüge lässt etwas aus, verschweigt einen wesentlichen Teil der Wahrheit mit der Absicht, zu täuschen oder einen falschen Eindruck zu erwecken. Manchmal glauben Menschen, dass sie moralisch auf sicherem Boden stehen, wenn sie nur Unterlassungslügen zur Hilfe nehmen. Der oder die Betrogene weiß allerdings solche Feinheiten selten zu schätzen.

Nach der ersten Lüge wird es bei der nächsten und übernächsten immer einfacher. Lügen lässt einen Domino-Effekt entstehen, bis das Lügen schließlich zu einer Daseinsart wird. Während einer Affäre wird man unvermeidlich zum doppelten Lügner. Shirley P. Glass erläutert: „Um beide Partner zufriedenzustellen, muss man in beiden Partnerschaften lügen.“ Untreue Menschen behaupten oft, sie schützen ihren Partner vor Schmerz, aber in Wirklichkeit schützen sie sich selbst vor Entdeckung, damit sie ihr Doppelleben weiterführen können. Quelle: „Die Psychologie der Untreue“ von Shirley P. Glass

Von Hans Klumbies