Durch Weisheit entsteht gleichbleibende Freude

Der Weise ist laut Seneca voller Freude, heiter, zufrieden und lebt unerschütterlich mit den Göttern auf gleichem Fuß. Wer niemals niedergeschlagen ist, nie voll banger Hoffnung die Zukunft erwartet, sich zu jeder Tages- und Nachtzeit vollkommener Ausgeglichenheit erfreut, der hat seiner Meinung nach die höchste Stufe des menschlichen Glücks erreicht. Menschen, die dagegen überall Vergnügungen suchen und noch dazu keine davon auslassen können, sind gleichweit sowohl von der Freude als auch von der Weisheit entfernt. Die Quelle des Genusses und der guten Laune ist auch die des Kummers. Seneca schreibt: „Freude ist jedermanns Losungswort; soll sie jedoch unwandelbar und erhaben sein, findet keiner den Weg zu ihr.“

Im Geist des Weisen herrscht ständig helle Heiterkeit

Der eine sucht die Freude in Gasthäusern oder in verschwenderischen Aufwand, ein anderer ist immer auf der Jagd nach neuen Ämtern, der dritte sucht die Freude bei seiner Freundin wieder ein anderer durch eitle Angeberei und in der Beschäftigung mit völlig nutzloser Wissenschaft. Seneca erklärt: „Alle fallen sie verführerischen, aber kurzlebigen Verlockungen zum Opfer, zum Beispiel dem Rausch, der uns für die unbekümmerte Ausgelassenheit einer einzigen Stunde mit lang anhaltendem Überdruss heimzahlt oder der Gunst des Beifalls und der Zustimmung, für die wir viel Mühe aufwenden und später büßen müssen.“

Seneca ist fest davon überzeugt, dass die Weisheit eine Freude bewirkt, die sich stets gleich bleibt. Er schreibt: „Der Geist des Weisen gleicht den Welten jenseits des Mondes, wo ständig helle Heiterkeit herrscht.“ Die immerwährende Freude des Weisen rechtfertigt seiner Meinung nach die Anstrengung des Willens, selbst ein Weiser zu werden. Diese Freud kann nur aus dem Bewusstsein der sittlichen Kräfte entstehen. Nur der Unerschrockene, der Gerechte, der Maßvolle ist dieser Freude fähig.

Die wahre Freude hört niemals auf

Auch Toren und Bösewichte kennen die Freude. Aber sie gleicht für Seneca der Kenntnis eines Löwen, der gerade eine Beute erjagt hat. Sie sind erschöpft vom Alkohol und vom Liebesspiel, wenn sie wieder einmal eine Nacht durchgemacht haben. Wenn ihre Körper den Wolllüsten zu eng wurden, dass sich Eiterbeulen bildeten, dann zitieren diese Elenden einen Vers von Vergil: „Weißt du doch, wie wir die Nacht des Schicksals hingebracht in falschem Freudentaumel.“

Die wahre Freude, laut Seneca die Begleiterin der Götter und all derer, die ihnen ähnlich werden möchten, wird weder unterbrochen, noch hört sie jemals auf. Dies müsste allerdings geschehen, wenn sie den Menschen von außen zukäme. Seneca erklärt: „Weil sie nun aber kein Geschenk eines Außenstehenden ist, kann auch kein Außenstehender über sie verfügen. Was das Schicksal nicht gab, kann es nicht rauben.“

Von Hans Klumbies