Seneca gibt der Tugend den Vorzug vor der Lust

Seneca kritisiert die Menschen, die behaupten, Lust und Tugend seien gar nicht voneinander zu trennen. Sie sind der Meinung, dass niemand ein ehrbares Leben führen könne, ohne zugleich Vergnügen daran zu haben. Seneca kann dagegen nicht entdecken, wie zwei so verschiedene Dinge eine feste Verbindung miteinander eingehen können. Seneca erklärt: „Dazu kommt noch, dass es auch im erbärmlichsten Leben Lust gibt, Tugend eine schlechte Lebensweise gar nicht erst zulässt und dass es Unglückliche gibt, nicht an Mangel an Lust, sondern durch die Lust selbst, was unmöglich wäre, wenn Tugend und Lust so innig verbunden wären.“ Die Tugend muss oft ganz der Lust entbehren, ohne jedoch jemals aus sie angewiesen zu sein.

Seneca beschreibt den Unterschied zwischen der Tugend und der Lust

Die Tugend ist für Seneca etwas Hohes, Erhabenes und Königliches, etwas Unbesiegbares, das sich nicht überwinden lässt. Die Lust dagegen ist etwas Niedriges, Sklavisches, Schwächliches, Vergängliches, fest beheimatet in Bordellen und Gasthäusern. Die Tugend trifft man im Tempel auf dem Forum und in den Ratssälen, die Lust eher in Badehäusern und Saunen. Seneca schreibt: „Einer vernünftigen Sinnenart ist jeder Richtungswechsel, jeder Hass gegen sich selbst und jede Abänderung der besten Lebensform fremd, die Lust hingegen verlischt mitten auf ihrem Höhepunkt, ihr Spielraum ist äußerst begrenzt.“

Seneca vertraut auf die Weisung der Alten, die beste Lebensweise der angenehmsten vorzuziehen, damit auf diese Weise die Lust zum Begleiter, nicht zum Führer einer geradlinigen und guten Willenshaltung wird. Seneca fährt fort: „Die Natur sollen wir uns zur Führerin wählen, nach ihr richtet sich die Vernunft, ihre Ratschläge holt sie ein. Also ist ein wahrhaft glückliches und naturgemäßes Leben ein und dasselbe.

Die Lust ist eine Zugabe der Tugend

Laut Seneca müssen dort Tugenden sein, wo Übereinstimmung und Einigkeit herrscht, denn die Zwietracht ist die Sache des Lasters. Den Vorwurf, er ehre doch die Tugend nur, weil er sich von ihr irgendein Lustgefühl verspricht, kontert Seneca mit folgenden Worten: „Auch wenn die Tugend mit Lust verbunden sein sollte, erstrebt man sie doch keineswegs um dieser Lust willen. Es geht der Tugend nicht um Lust; die ist nur ein Begleitumstand. Ihr Bemühen gilt ja gar nicht der Lust, die sie freilich, trotz des anderen Zieles, mit erreichen wird.“

Die Lust ist für Seneca weder der Lohn, noch die Ursache der Tugend, sondern eine Art Zugabe. Billigung findet sie nicht, weil sie entzückt, sondern weil sie Billigung findet, entzückt sie auch. Noch über der Tugend siedelt Seneca das höchste Gut an: es liegt für ihn in der Urteilskraft des Menschen und in der bestmöglichen Verfassung seines Geistes. Seneca schreibt: „Bleibt der Geist in seiner Bahn und hält sich an die selbstgesetzten Grenzen, ist das höchste Gut vollendet, und weiteres Wünschen erübrigt sich.“

Von Hans Klumbies

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