Nur der weise Mensch kann wahre Freude empfinden

Die Philosophie ist für Seneca etwas so Heiliges und Ehrwürdiges, dass sogar trügerische Ähnlichkeit mit ihr Anklang findet. So hält die Masse jeden, der seiner Muße nach lebt, schon für einen Menschen, der zurückgezogen sein Leben in Geborgenheit, in Selbstgenügsamkeit und im Einklang mit sich selbst gestaltet. Dabei trifft dies nur auf einen Weisen zu. Denn nur dieser versteht es, mitten in aller Aufregung sich selbst zu leben, weil er allein überhaupt zu leben versteht. Seneca fährt fort: „Denn wer Welt und Menschen flieht, wer sich durch unglückliche Liebe in die Einsamkeit treiben lässt, wer es nicht ertragen kann, andere glücklich zu sehen, wer sich wie ein scheues und träges Tier verkriecht, der lebt nicht sich selbst, sondern – was das Allerschimpflichste ist – seinem Bauch, seinem Schlaf, seiner Lust.“

Für die Ausgeglichenheit ist die innere Einstellung verantwortlich

Laut Seneca lebt man noch lange nicht für sich selbst, nur weil man für keinen anderen mehr zu sprechen ist. Er ist allerdings beeindruckt von der hartnäckigen Ausdauer, seinen Vorsätzen treu zu bleiben, dass die Ausdauer selbst noch in der Trägheit eine gewisse Achtung verdient. Für die innere Ausgeglichenheit eines Menschen ist nicht der Ort verantwortlich, an dem er lebt, sondern die innere Einstellung muss allem die Form geben. Seneca schreibt: „Ich habe selbst beobachtet, wie man auf einem heiteren, anmutig gelegenen Landsitz todunglücklich, in tiefster Zurückgezogenheit hingegen völlig ausgelastet sein kann.“

Die meisten Menschen zählen die Lust zu den Lastern. Trotzdem benutzen sie gewöhnlich diesen Ausdruck, um eine heitere Seelenstimmung zu bezeichnen. Seneca schreibt: „Indessen weiß ich wohl, dass die Lust, wenn wir uns vorschriftsmäßig ausdrücken, etwas Verwerfliches ist und dass es Freude nur für den Weisen geben kann: sie ist der Aufschwung einer hochgemuten Seele, die fest auf ihre wahren Güter baut.“ Die wahre Freude duldet kein Nachlassen und keine Verkehrung in ihr Gegenteil.

Selbstzufriedenheit steht dem Glück im Wege

Für Narren gibt es laut Seneca keinen Frieden, da sie sowohl vor dem Oben wie auch vor dem Unten ängstlich zittern. Sie befürchten Gefahren von hinten wie von vorn. Seneca erklärt: „Vor allem schrecken sie zurück, auf nichts sind sie vorbereitet, selbst vor den eigenen Hilfstruppen haben sie Angst. Der Weise dagegen ist gegen jeden Überfall gewappnet und wachsam. Keinen Schritt weicht er zurück vor den Angriffen der Armut, der Trauer, der Schande und des Leides, unerschrocken wirft er sich gegen und zwischen sie alle.“

Die einfachen Menschen sind dagegen vielfach behindert und geschwächt, da sie die Laster zu lange gefangen hielten, denen sie deshalb kaum noch entrinnen können. Sie wollen den Sachen nicht auf den Grund gehen, bleiben an der Oberfläche, und das bisschen Zeit, dass sie für philosophische Studien opfern, scheint den Vielbeschäftigten genug zu sein. Das größte Hindernis zu ihrem Glück ist allerdings die voreilige Selbstzufriedenheit.

Von Hans Klumbies

1 Gedanke zu „Nur der weise Mensch kann wahre Freude empfinden“

  1. Hallo,
    ich bin Schülerin der 12. Klasse und muss gerade „Arbeitstexte für den Unterricht Glück und Moral“ : 4. Seneca: Die Tugend geht voran, das Glück ist ihr Begleiter lesen.
    Dazu habe ich Aufgaben bekommen, die ich sehr schwer lösen kann. Ich wäre sehr froh, wenn mir geholfen werden kann.

    Aufgabe:
    1. Wer sich nicht aus der Ruhe bringen lässt, kennt keine Traurigkeit, behauptet Seneca. Kennt ein solcher Mensch aber vielleicht auch keine Freud?
    2. Stellen Sie sich vor, alle Menschen in einer Gesellschaft würden den stoischen Idealen gemäß leben. Was wären die Konsequenzen?

    LG

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