Fast niemand mehr überblickt die Folgen seines Tuns

Im Zentrum des 18. Philosophicum Lech stand die Frage, wie es um die Verantwortung des Menschen für andere und seine Selbstverantwortung steht und was es bedeutet, angesichts einer zunehmenden Verantwortungslosigkeit, noch nach Schuld und Sühne zu fragen. Ein freier Mensch ist für seine Handlung verantwortlich und als mündige Person schuldfähig. Das heißt, er muss für das einstehen, was er getan oder unterlassen hat. Je mehr die moderne Wissenschaft den Menschen jedoch als ein durch Gene, Umwelt, das Unbewusste und Hirnfunktionen bestimmtes Wesen erkennt, desto fragwürdiger wird die These, dass der Mensch für sein Tun verantwortlich ist. Auch wenn jemand bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, stellt sich die Frage in einer Gesellschaft, in der fast niemand mehr die Folgen seines Tuns überblick, wer letztlich für eine Katastrophe verantwortlich ist. Gute Beispiele dafür sind Reaktorunglücke, Finanz- oder Wirtschaftskrisen bis hin zum Klimakollaps.

Die moralische Schuld ist von den Betroffenen unabhängig

Der Herausgeber des Bandes „Schuld und Sühne“ Konrad Paul Liessmann schreibt in seinem Beitrag: „Ist aber von Schuld und Sühne die Rede, geht es nicht nur um übertretene Gesetze und dafür vorgesehene Sanktionsmöglichkeiten. Bei Schuld geht es um mehr und anderes als um ein gesellschaftlich nicht akzeptiertes Verhalten.“ Schuld kann als das meinen, für das eine Person schuldig im Sinne der Urheberschaft ist. Schuld kann aber auch bedeuten, was man einem anderen schuldet, was man im übertragenen und wörtlichen Sinn, zurückzahlen muss.

Maria-Sibylla Lotter wählt als Überschrift für ihren Text „Schuld, Ausreden und moralische Haftung“. Sie stellt fest, dass die moralische Schuld als etwas verstanden wird, was von den konkreten Ansprüchen der betroffenen Personen, ihren möglicherweise irrigen Einschätzungen unabhängig ist. Und sie ist mit einem bestimmten Menschenbild verbunden, demzufolge der Mensch freier Urheber seiner Handlung ist. Seine moralische Verantwortlichkeit ergibt sich aus der Möglichkeit, sich zum Guten oder Schlechten zu entscheiden.

Katastrophen sind das Resultat von Entscheidungen

Barbara Bleisch weist darauf hin, dass die meisten Katastrophen dieser Welt nicht einfach passieren, sondern das Resultat von Entscheidungen sind, deren Folgen durchaus absehbar sind und die verhindert werden könnten – Katastrophen also, für die Menschen verantwortlich sind. Deshalb muss die Frage gestellt werden, wer retrospektiv den Schlamassel zu verantworten hat und wer deshalb auch dafür zuständig ist, Wiedergutmachung zu leisten. Außerdem stellt die Autorin eine alternative Option der Zuschreibung von Verantwortung vor, die sich aus dem Profitieren von Unrecht ergibt.

Gerhard Roth schreibt über Schuld und Verantwortung aus der Sicht der Hirnforschung: „Schließlich birgt der philosophische ebenso wie der strafrechtliche Begriff der Willensfreiheit einen fundamentalen Widerspruch in sich, indem er annimmt, man können sich willentlich über die personale Bedingtheit eigenen Handelns hinwegsetzen.“ Damit entsteht seiner Meinung nach aber das Dilemma, dass das daraus entstehende Handeln nicht mehr der eigenen Persönlichkeit zugeschrieben werden kann.

Neben den schon genannten, haben folgende Autoren Texte zum 18. Philosophicum Lech beigesteuert: Peter Bieri, Michael Hagner, Ludger Heidbrink, Reinhard Merkel, Ekaterina Poljakova, Henning Sass, Michael Schefczyk, Franz Schuh, Karlheinz Töchterle und Harald Welzer.

Schuld und Sühne
Nach dem Ende der Verantwortung
Konrad Paul Liessmann (Hg.)
Verlag: Zsolnay
Broschierte Ausgabe: 300 Seiten, Auflage: 2015
ISBN: 978-3-552-05719-7, 19,90 Euro

Von Hans Klumbies