Der Cyborg ist die Brücke zwischen Gegenwart und Zukunft

Die westlichen Gesellschaften der Moderne sind von Technik durchdrungen. Das prominenteste Beispiel dafür ist das Internet. Sascha Dickel stellt fest: „ES hat den Cyberspace verlassen und wuchert immer stärker in die materielle Welt hinein.“ Keiner weiß, wohin dieser Prozess der Technisierung führen wird. Jede Aussage über die Zukunft ist grundsätzlich mit dem Makel der Gegenwart behaftet, aus dem sich der Mensch nicht befreien kann. Daher braucht man Metaphern und Bilder, die als Wegweiser in das unbekannte Land des Übermorgen dienen. Ein solcher Wegweiser ist der Cyborg. Er ist der technisierte „Neue Mensch“ par excellence. Er ist eine Brücke zwischen Gegenwart und Zukunft. Er verbindet visionäre Spekulation und erfahrbare Wirklichkeit. Er verwischt die Grenzen zwischen Mensch und Technik. Dr. Sascha Dickel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Friedrich Schiedel-Stiftungslehrstuhl für Wissenschaftssoziologie an der Technischen Universität München.

Der Transhumanismus plädiert für „Human Enhancement“

Eine besonders prominente Zukunftsvision des Cyborg präsentiert der Transhumanismus. Beim Transhumanismus handelt es sich um eine aktuelle intellektuelle Bewegung, die für „Human Enhancement“ plädiert, also für die Erweiterung der menschlichen Fähigkeiten durch eine technische Modifikation des Körpers. Sascha Dickel erklärt: „In den Visionen der Transhumanisten setzt sich die gegenwärtige Technisierung der Lebenswelt bruchlos in die Zukunft fort – und geht letztlich unter die Haut.“

Brillen und Kontaktlinsen, die via Augmented Reality digitale und analoge Welt verschmelzen, Selbstvermessung durch smarte digitale Technik und Implantate, die die menschlichen Sinne erweitern: All diese gegenwärtig bereits verfügbaren Technologien sind im Transhumanismus nur die ersten, zaghaften Schritte einer Cyborgisierung, in der Maschine und Mensch, Künstliches und Natürliches, Virtuelles und Reales so weit verschmelzen, dass diese Unterscheidungen selbst obsolet werden.

Die gegenwärtige Menschheit muss nicht das Ende der Evolution darstellen

Am klarsten wird die Idee des posthumanen Cyborgs beim transhumanistischen Vordenker Nick Bostrom sichtbar, seines Zeichens Philosoph in Oxford und Direktor des dortigen „Future of Humanity Institute“. Nick Bostrom schreibt: „Transhumanisten betrachten die menschliche Natur als „work-in-progress“. Wir können lernen, die unausgegorene Anfangsphase der menschlichen Natur in erstrebenswerte Richtungen umzugestalten. Die gegenwärtige Menschheit muss nicht das Ende der Evolution darstellen.“

Nick Bostrom fährt fort: „Transhumanisten hoffen, dass es uns durch die verantwortungsvolle Anwendung von Wissenschaft, Technik und anderer rationaler Mittel gelingt, zu Posthumanen zu werden – Wesen mit weitaus größeren Fähigkeiten, als sie gegenwärtige menschliche Wesen besitzen.“ Am Anfang könnte eine Optimierung der Sinne stehen. Ein künstliches Auge zum Beispiel würde den Menschen etwa in die Lage versetzen, besser zu sehen und sogar Wellenbereiche wahrzunehmen, die ihm zuvor optisch unzugänglich waren. Zudem wäre es denkbar, die künstlichen Sinnesorgane verschiedener Personen miteinander zu vernetzen, sodass sie in der Lage wären, die sensorischen Informationen anderer Menschen zu verarbeiten. Quelle: „Neue Menschen“ von Konrad Paul Liessmann (Hrsg.)

Von Hans Klumbies