Freiheit und Liebe sind in der Kultur aufs Engste verwoben

„Romeo und Julia“ von William Shakespeare gilt als literarisches Fanal einer Liebe, die nichts zerbrechen kann: nicht der Straßenkrieg zweier Clans aus Verona, keine Verbannung, keine versuchte Zwangshochzeit und nicht einmal der Tod. Nach den Gesetzen der Literatur gibt der Tod ihrer Liebe nur etwas Endgültiges, er zerstört sie nicht. Romeo und Julia bleiben mit ihrer unsterblichen Liebe nicht allein, ihnen folgten Liebespaare im Theater, in Romanen und Filmen. Die Liebe der beiden setzt Maßstäbe dafür, was die meisten Menschen für eine gute Liebesgeschichte halten. Rupert M. Scheule erklärt: „Wir suchen die Liebe, die alle Ausdrucksweisen der Lebendigkeit noch einmal steigert, eine Liebe als Hingabe, die ohne Gegenrechnung erwidert wird; als Anziehung, die alles andere als zweitrangig erscheinen lässt.“ Rupert M. Scheule ist Professor für Moraltheologie und Christliche Sozialwissenschaft an der Theologischen Fakultät Fulda.

Die Liebe von Romeo und Julia ist ungestüm und kompromisslos

Das Ideal ist eine Liebe als Einklang zweier Seelen, die alle anderen ausschließt, als Verstehen und sich mitteilen, das keiner Worte bedarf. Diese Liebe setzt einen spontanen Anfang, der kein Ende kennt, ergreift die Liebenden schicksalshaft und will doch von ihnen aus freien Stücken ergriffen werden. Romeo und Julia künden von der Freiheit, die sich diese Liebe nimmt: Ungestüm und kompromisslos. Deshalb ist so eine Liebesgeschichte wie diejenige von Romeo und Julia immer auch eine Hymne auf die Freiheit.

Freiheit und Liebe sind in der Kultur aufs Engste verwoben. Der Soziologe Karl Otto Hondrich schreibt: „Liebe ist Teil einer großen historischen Bewegung zur Freiheit. Die auf Liebe gegründete Wahlfamilie befreit durch Fremdbestimmung durch Herkunftsfamilie und Herren. Liebe zieht auch eine Grenze gegenüber Politik, Wirtschaft, Religion, Wissenschaft und befreit, so gut es geht, von deren Zwängen.“ Heute sind wir in den westlichen Gesellschaften einer umfassend befreiten Liebe sehr nahe gekommen.

Die befreite Liebe ist nicht ohne Schmerz zu haben

Die dunkle Seite der befreiten Liebe ist allerdings ihre Möglichkeit zum freien Nein: eine Ablehnung, die man leider nur persönlich nehmen kann. Rupert M. Scheule erläutert: „Schon wieder zeigt sich also die Janusköpfigkeit der Freiheit: Niemand kann gegen die befreite Liebe sein und für die Zwangsehen, wie sie andere Kulturkreise noch heute kennen. Oder für eine Rückkehr zur ökonomischen Abhängigkeit der Ehepartner, welche den Bund fürs Leben hierzulande bis vor wenigen Jahrzehnten noch seine besondere Stabilität gab.“

Aber die befreite Liebe ist nicht ohne Schmerz zu haben und erst recht nicht ohne Leiden zu beenden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass viele Menschen das Risiko des Scheiterns scheuen und auf die Intimität der befreiten Liebe ganz verzichten. Rupert M. Scheule stellt fest: „Dass Sex etwas Unheimliches, unbedingt Kontrollbedürftiges sei, ist ein Verdacht von ehrwürdiger Tradition, den nicht zuletzt christliche Geistesgrößen auf wirkmächtige Weise hegten. Der heilige Augustinus (354 – 430) war nicht der Meinung, Sexualität als solche sei irgendwie schmutzig oder unanständig. Aber ihre Unkontrollierbarkeit irritierte ihn zutiefst.“ Quelle: „Wir Freiheitsmüden“ von Rupert M. Scheule

Von Hans Klumbies