Rudolf Eucken erklärt wie der Realismus den Idealismus ablöst

Das 19. Jahrhundert hat laut Rudolf Eucken eine durchgreifende Wendung von einer unsichtbaren zu einer sichtbaren Welt vollzogen, wie das bei den Überzeugungen die Verdrängung des Idealismus durch den Realismus bekundet. Mit der Freude und Frische der Jugend ergreift die Menschheit die Realität, je enger sie mit ihr verbunden ist, desto fester wird ihre Zuversicht, hier für die Gesamtheit des Lebens einen Sinn und einen Wert zu finden. Der Boden dieses sichtbaren Universums scheint auf einem unerschütterlichen Boden gegründet zu sein, der hier die Arbeit trägt, alle Schatten der Vorurteile, alle Nebel des Aberglaubens sind gewichen. Rudolf Eucken schreibt: „Helles Sonnenlicht umflutet die Dinge und zeigt ungetrübt ihre echte Natur, nach allen Seiten hin findet das Wirken freies und unbegrenztes Feld, das Leben scheint hier zuerst von Traum und Wahn zu voller Wachheit und Wirklichkeit zu gelangen.“

Die Arbeit bildet den Kern des neuen Lebens

Rudolf Eucken vertritt die These, dass in diesem neuen Leben die sichtbare Welt unvergleichlich mehr geworden ist, als sie früheren Zeiten war. Sie hat sich seiner Meinung nach nicht nur in der großen Natur wie in der eigenen Geschichte der Menschheit der Erkenntnis in ungeahnter Weise erschlossen, sie hat auch dem Wirken des Menschen immer mehr Angriffspunkte gezeigt. Den Befund der Dinge, der ihn früher wie ein unentrinnbares Schicksal umfing, kann er nun durch Aufbietung seiner Fähigkeiten wesentlich ändern und verbessern.

Der Mensch greift das Elend und die Not, Irrungen und den Wahn an, bringt das Leben überall in rascheren Fluss und in sicheren Aufstieg, hebt es zu mehr Fülle und Freude. Für Rudolf Eucken bildet die Arbeit aber den Kern dieses neuen Lebens, die Tätigkeit, die den Gegenstand ergreift und ihn für menschliche Zwecke gestaltet. In der Neuzeit hat sich die Arbeit weit mehr von den Kräften der Einzelnen abgelöst als dies früher der Fall war, ja durch Bildung eigener Zusammenhänge sogar eine Selbstständigkeit gegenüber dem Menschen erlangt.

Der Realismus kennt keine endgültigen Grenzen mehr

Nicht nur Wissenschaft und Technik, sondern auch das politische und soziale Wirken, zeigen den Menschen als Diener und Glied eines großen Arbeitsganzen, dessen Forderungen er unbedingt zu entsprechen hat. Rudolf Eucken schreibt: „Aber in solcher Unterordnung des Einzelnen gewinnt das Ganze eine gewaltige Macht, das Nacheinander der Zeiten und das Nebeneinander der Kräfte fasst sich jetzt zu gemeinsamem Wirken zusammen.“ Dieses Wirken dringt unablässig vor und erkennt keine Grenze als endgültig mehr an. Die Berührung der Kraft mit den Dingen erzeugt immer neue Möglichkeiten, immer neuere Aussichten tun sich auf.

Rudolf Eucken vertritt die Ansicht, dass so die Menschheit einen frohen Mut und ein stolzes Selbstvertrauen gewinnt. Es entsteht dabei ein klares, zielbewusstes Leben, das frei von allen Verwicklungen der Religion oder Metaphysik ist. Ein solches Leben schmückt Rudolf Eucken mit den Worten von Johann Wolfgang von Goethe: „Er stehe fest und sehe hier sich um, dem Tüchtigen ist die Welt nicht stumm.“ Der Mensch kann allerdings in einem solchen Leben keinen Abschluss finden, ohne sich einen beherrschenden Mittelpunkt zu geben, von dem aus er seinen ganzen Umkreis durchbildet.

Von Hans Klumbies