Rudolf Eucken stellt die Lebensordnung des Naturalismus vor

Eine Lebensordnung des Naturalismus konnte nach der Auffassung von Rudolf Eucken nicht eher entstehen und sich in voller Klarheit zeigen, bevor das Bild der Natur alle Zutat seelischen Lebens verbannte. Zum Hauptziel der Forschung wird, seit dem Beginn der Neuzeit, die Natur in ihrer reinen Tatsächlichkeit zu erfassen. Alle innere Eigenschaft und seelenartiges Streben wird als eine Verfälschung aus ihr entfernt. Die Natur wird in ein Reich unbesselter Massen und Bewegungen umgewandelt, worin alles in einfachen und durchgehenden Formen, nach unveränderlichen Gesetzen geschieht. Dies vollzieht sich aus eigener Notwendigkeit, wobei die Sorge um das Wohl des Menschen ausgeklammert bleibt. Rudolf Eucken schreibt: „Von Anfang an bestand viel Neigung, dies Reich der Natur für das Ganze der Wirklichkeit auszugeben und zugleich alle Wissenschaft nach Art der Naturwissenschaft zu gestalten.“

Die Wissenschaft möchte eine Einheit von Mensch und Natur herstellen

Rudolf Eucken zitiert Francis Bacon (1561-1626), der die Naturwissenschaft als die große Mutter und die Wurzel allen Erkennens bezeichnete. Diese Neigung hat sich immer mehr durchgesetzt und die Naturbegriffe sind immer stärker in alle Gebiete eingedrungen. Heute entwerfen laut Rudolf Eucken viele von der Natur aus das Bild des Universums und betrachten die naturwissenschaftliche Weltanschauung als die einzig gültige. Rudolf Eucken ergänzt: „So sich zum All erweitern konnte die Natur aber nicht, ohne auch den Menschen an sich zu ziehen und ihn ganz in sich aufzunehmen.“

Das war solange ein Ding der Unmöglichkeit, als eine unüberwindbare Kluft den Menschen von der Natur zu trennen schien. Die moderne Naturwissenschaft allerdings glaubt, mithilfe einer Entwicklungslehre eine völlige Einigung der beiden getrennten Sphären erreichen zu können. Gehört der Mensch aber ganz und gar zur Natur, so kann für Rudolf Eucken auch die Art seines Lebens nur dem der Natur entsprechen. Das heißt, er muss die Erhaltung und Steigerung dieses Lebens zur hauptsächlichsten Aufgabe machen.

In der Natur gibt es kein Gut und Böse

Was der Mensch mit der Natur gemeinsam hat, das wird jetzt zum Kern seines Wesens und bestimmt den Charakter seines Lebens. Die Natur aber erscheint hier laut Rudolf Eucken als ein Nebeneinander einzelner Elemente, die in tausendfachen Beziehungen zueinander stehen. Es gibt hier allerdings auch keine andere Art der Verbindung als die einer Anhäufung und Zusammensetzung und daher auch kein Wirken aus einem Ganzen. Rudolf Eucken schreibt: „Es gibt kein Selbstständigwerden und keine eigenen Zwecke des Seelenlebens, sondern alles Seelenleben steht im Dienst der natürlichen Selbsterhaltung.“

In der Natur verläuft das Geschehen in reiner Tatsächlichkeit. Es bedeutet nichts über sein Dasein hinaus. Es lehnt alle Beurteilung und Wertschätzung ab, es kennt kein Gut und Böse. Rudolf Eucken vertritt die These, dass in der Natur kein anderer Unterschied als ein Mehr oder Minder der Kraft gilt. In der Lebensordnung des Naturalismus kommt die Gebundenheit aller seelischen Betätigung an körperliche Bedingungen voll zur Geltung. Die elementare Macht der Naturtriebe und die der natürlichen Selbsterhaltung entfalten sich, das vorwärtstreibende Wirken des Kampfes ums Dasein übernimmt eine dominierende Rolle.

Von Hans Klumbies