Die Wendung des Menschen zu sich selbst verleiht ihm Sinn

Wenn der Mensch an der Existenz Gottes zu zweifeln beginnt, wenn die Weltvernunft ihm verblasst, ihm selbst die Natur bei aller äußeren Annäherung ihm innerlich fremd bleibt und in seinem Leben eine innere Leere zurücklässt, bleibt ihm laut Rudolf Eucken nur noch ein einziger Weg übrig, um seinem Dasein einen Sinn und Wert zu verleihen: die Wendung des Menschen zu sich selbst, die Durchbildung seines eigenen Kreises zur Betätigung aller Kraft und zu möglichst großem Glück. Das eröffnet dem Menschen eine neue Art von Leben und Sein. Denn von jetzt an wird er ganz und gar in das sichtbare Dasein gestellt, jetzt kann er unbeschränkt die hier vorhandenen Kräfte entfalten und ungehemmt alle Wege gehen. Der deutsche Philosoph Rudolf Eucken, der von 1846 bis 1926 lebte, wurde im Jahr 1908 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.

Der Einzelne ist zur vollen Entfaltung seiner Möglichkeiten gelangt

Rudolf Eucken schreibt: „Jetzt verbindet und verflicht ihn mit seinesgleichen nicht erst die Vermittlung einer unsichtbaren Welt, sondern zur vollen Genüge die Welt der Erfahrung selbst.“ In Wahrheit sind seiner Meinung nach hier Beziehungen in unermesslicher Fülle entstanden, haben die Kräfte der Menschen sich zu fruchtbarster Arbeit zusammengefunden. Auch die Individuen sind zur vollen Entfaltung ihrer Möglichkeiten gelangt. Was das Dasein an Not und Leid enthält, ist erfolgreich angegriffen und zurückgedrängt worden.

Das ganze Leben hat für Rudolf Eucken an Beweglichkeit und Fülle gewonnen, alles zusammen bildet einen gewaltigen Strom von Tatsächlichkeit, der den Menschen mit tausendfacher Wirkung umflutet. So lässt sich die Bedeutung dieser Wendung des Menschen zu sich selbst, in keinerlei Weise bestreiten. Auf der anderen Seite aber hängt der Einzelne bis in seine Wünsche und Träume hinein am Stande des Ganzen, er ist ein Erzeugnis seines „Milieus“.

Emanzipation und Organsisation bilden zwei völlig unterschiedliche Lebensentwürfe

Allerdings will das Individuum sich auch in seinem Fürsichsein stärken, sich von allen Bindungen befreien und es zur vollen Entfaltung seiner Eigentümlichkeit bringen. Rudolf Eucken schreibt: „Dieser Zug wird auf möglichste Beweglichkeit und Flüssigkeit des Lebens dringen, alles Festwerden als ein Erstarren, alles Gleichmachen als eine unerträgliche Schablonisierung verwerfen.“ Dass hier ein schroffer und bedeutender Gegensatz vorliegt, das bestätigt gemäß Rudolf Eucken die Erfahrung der Weltgeschichte.

Rudolf Eucken schreibt: „So wird der Mensch der Gegenwart nach entgegengesetzter Richtung gezogen und unter widerstreitende Schätzungen gestellt. Emanzipation von allem, was den Menschen bindet und einengt, das ist noch immer für viele das Losungswort.“ Verbindung zum Ganzen, Organisation der in ihrer Zerstörung machlosen Kräfte, das ist die Parole der anderen Seite, und Rudolf Eucken kennt die Kraft, mit der auch dieses den modernen Menschen packt. Emanzipation und Organisation entwickeln allerdings zwei völlig unterschiedliche Bilder des Lebens.

Von Hans Klumbies