Kunst und Wissenschaft eröffnen dem Menschen die Tiefe der Welt

Ein der Welt zugewandter Idealismus glaubt den Verwicklungen der Religion entrinnen zu können, ohne den Tiefengehalt des Lebens dabei einzuschränken. Es handelt sich dabei laut Rudolf Eucken um einen immanenten Idealismus, der mit seiner Entfaltung einer Geisteskultur seit Jahrtausenden die Religion begleitet, meist in wohlwollender Ergänzung, manchmal aber auch mit harten Angriffen. Auch dieser Idealismus verfrachtet das Leben in eine unsichtbare Welt, aber er versteht diese nicht als ein neben dem sinnlichen Dasein befindliches und von ihm abgelöstes Reich, sondern als seinen tragenden Grund, seine Tiefe und Seele. Dass das Universum eine solche, dem äußeren Auge verborgene Tiefe besitze, dass es in ihr ein Ganzes bilde und ein inneres Leben führe, mit der diese Ordnung des Lebens steht und fällt.

Das Innere ist der eigentliche Träger des Lebens

Den Menschen verbindet gemäß Rudolf Eucken die Idealkultur eng mit dem Weltall, aber zugleich gewährt sie ihm ein eigentümliches Werk und eine herausgehobene Stellung. Denn die Welt unter ihm scheint das Leben ohne Bewusstsein und gebunden zu führen. Zudem wird die das Ganze tragende Kraft hier nicht zum Erlebnis der einzelnen Stelle. Der Mensch dagegen denkt den Gedanken des Ganzen und macht ihn damit zu seinem Besitz. So erhebt sich bei ihm die Welt zur Klarheit und Freiheit.

Dieser Vorgang vollzieht sich aber nicht ohne sein eigenes Entscheiden und Eingreifen, sein eigenes Wirken und Schaffen. An dieser besonderen Stelle liegt der Fortschritt laut Rudolf Eucken beim Menschen, der durch sein Tun den Stand des Ganzen zu fördern hoffen darf. Rudolf Eucken schreibt: „Diese Lebensordnung bewegt sich vornehmlich um den Gegensatz von Innerem und Äußerem, von unsichtbarer und sichtbarer Welt. Das Innere, der eigentliche Träger des Lebens, hat das Äußere zu ergreifen und zu beseelen, zugleich aber selbst von mattem Umriss zu voller Durchbildung vorzudringen.“

Das Reich des Geistes lässt den Menschen die Herrlichkeit der Welt erleben

Rudolf Eucken vertritt die These, dass auf diese Art und Weise ein geistiges Schaffen entsteht, das, getragen von einer Weltvernunft, gegenüber der bewusstlosen Natur und dem sinnlosen Alltagsleben ein wesentlich neues Leben weckt, ein Reich des Geistes. Dieses geistige Universum mit seinem Wahren, Guten, Schönen lässt den Menschen eine innere Gemeinschaft mit der großen Welt gewinnen und ihre ganze Fülle und Herrlichkeit miterleben.

Ein solches Leben bedarf keines außer ihm liegenden Lohnes, es dient keinen anderen Zwecken, sondern es findet laut Rudolf Eucken seinen Sinn in der inneren Entfaltung und seine Freude im Anschauen seiner selbst. Das Wirken eines solchen Lebens kehrt zu sich selbst zurück und gewinnt dabei zugleich freudige Ruhe. Rudolf Eucken fügt hinzu: „Die Hauptträger dieses Lebens werden Kunst und Wissenschaft, beide in dem hohen Sinne verstanden, dass sie uns in das Reich der schaffenden Gründe versetzen und uns die Tiefe der Welt eröffnen.“

Von Hans Klumbies