Echte Liebe zeichnet vorbehaltlose Exklusivität aus

Die Liebe gibt der geliebten Person die Möglichkeit, Person zu sein, und zwar auf eine einmalige, unverwechselbare Art Person zu sein. Robert Spaemann fügt hinzu: „Und es sind die Augen des Liebenden, die diese Einzigartigkeit wahrnehmen, eine Einzigartigkeit, die mehr ist als die Kombination empirischer Qualitäten.“ Der kolumbianische Philosoph Nicolás Gómez Dávila schreibt: „Jemanden lieben heißt den Grund verstehen, den Gott hatte, diesen Menschen zu erschaffen.“ In diesem Sinn macht Liebe sehend: Sie lässt den Geliebten in einem Glanz erscheinen, den niemand sonst wahrnimmt. Und wenn der Glanz in der Alltäglichkeit zu verblassen beginnt, dann heißt das nicht, dass nun langsam die Wirklichkeit so erscheint, wie sie ist, sondern im Gegenteil. Der Liebende wird die Erinnerung an den gesehenen Glanz bewahren. Robert Spaemann lehrte bis zu seiner Emeritierung Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Die exklusive Liebe steht nicht in Konkurrenz zur Nächstenliebe

Wirklich werden als dieser unverwechselbare einzigartige Eine kann für einen Menschen jemand nur in einer exklusiven Form der Freundschaft und der Liebe. Niemand kann geben, ohne zu nehmen. Robert Spaemann erklärt: „Die Liebe, die der Einzigartigkeit der Person gerecht wird, kann nur verteidigt werden, wenn die Exklusivität verteidigt wird.“ Der russische Religionsphilosoph, Mathematiker und Theologe Pawel Florenskij hat in seinem Hauptwerk „Die Säulen und Grundfesten der Wahrheit“ den letzten seiner 22 Briefe der Verteidigung der Eifersucht gewidmet.

Seiner Meinung nach ist völliges Fehlen von Eifersucht bei gegebenen Anlass eine Beleidigung des geliebten Menschen, der dadurch zu einem unter anderen herabgesetzt wird. Die exklusive Liebe steht allerdings nicht in Konkurrenz zu dem Gebot der Nächstenliebe gegen jeden, der durch die Umstände ein persönlicher Nächster wird. Robert Spaemann erläutert: „Er gibt dieser Nächstenliebe vielmehr erst die Tiefe. Jeder nämlich hat den Anspruch darauf, als wirklich wahrgenommen zu werden. Und zwar wirklich als diese einmalige Person.“

Ohne einen guten Freund gibt es kein glückliches Leben

Was jeder Mensch ist, das wird für ein Individuum erfahrbar an einem Menschen in der exklusiven Beziehung der Freundschaft. Und es wird nur erfahrbar für den, der sich mit Bezug auf einen Menschen in diese Beziehung begibt und sein Geschick mit dem Anderen auf Gedeih und Verderb verbindet. Der wirklich Liebende lässt den Gegensatz von Begehren und Wohlwollen hinter sich. Wer einem Menschen wirklich aus vollem Herzen wohl will, der lässt ihn spüren, dass er, der Liebende, den Anderen braucht. Wer nur der Gebende sein will, der gibt nicht genug.

Wer einem Menschen zu verstehen gibt, dass er alles für ihn zu tun bereit ist, aber dass ihm selbst an Gegenliebe gar nicht gelegen ist, der demütigt den Anderen. Robert Spaemann weiß: „Wer wirklich den Anderen begehrt, kann nur bekommen, wonach ihn verlangt, wenn er zu geben bereit ist. Das gilt schon für das sexuelle Begehren, dass eine wirkliche Erfüllung nur findet, wenn der Andere sie auch findet.“ Aber es gilt auf jeder Ebene des Lebens. Epikur zeigt beispielsweise auf unvergleichliche Weise, dass ein glückliches Leben nur möglich ist für den, der einen guten Freund hat. Quelle: „Antinomien der Liebe“ von Robert Spaemann im Reclam-Heft „Was ist Liebe?“

Von Hans Klumbies