Die Kriterien der Zumutbarkeit von Nebenwirkungen

Für den Philosophen Robert Spaemann stellen moderne Technologien auf physikalischem und biologischem Gebiet, insbesondere die Atomspaltung und die genetische Manipulation, moralische Probleme dar. Deren Lösung mit traditionellen philosophischen und theologischen Argumenten kann seiner Meinung nach nur gelingen, wenn man sie in ihren abstraktesten und allgemeinsten Formen heranzieht. Robert Spaemann schreibt: „Das gilt insbesondere dort, wo die moralischen Probleme sich mit den politisch-rechtlichen überschneiden, das heißt mit der Frage nach der Verantwortlichkeit des Staates für die möglichen Folgen und Nebenfolgen der Anwendung dieser Technologien.“ Er liegt zufolge von Robert Spaemann im Wesen menschlicher Handlungen, dass sie Nebenwirkungen hervorbringen und Handeln auf Zwecke ausgerichtet ist.

Die Pflichten des Menschen gegen sich selbst

Dass der Handelnde in der Wahl seiner Mittel nicht frei ist, dass also nicht der Zweck jedes Mittel heiligt, ergibt sich für Robert Spaemann aus einer einfachen Überlegung. Er erklärt: „Die Zwecke der Menschen sind verschieden. Die Mittelwahl des einen kann für den anderen Vereitelung seines Zweckes sein.“ Das Recht eines jeden, einen anderen beliebig bei dessen Verfolgung seiner Ziele nach seinem eigenen Willen zu behindern, würde den Begriff des Rechts selbst aufheben. Eine solche Befugnis wäre gemäß Robert Spaemann gleichbedeutend mit dem Ende einer Rechtsordnung überhaupt.

Laut Robert Spaemann gibt es allerdings Pflichten des Menschen gegen sich selbst. Diese korrespondieren nicht mit einklagbaren Rechten. Robert Spaemann erklärt: „Das Verhältnis zu sich selbst ist kein durch Regeln der Gerechtigkeit normiertes Verhältnis.“ Denn dem, der bekommt, was er will, geschieht kein Unrecht. Wo es hingegen um das Verhältnis des Handelnden zu Betroffenen geht, entsteht gemäß Robert Spaemann das Problem der Gerechtigkeit, das heißt der Zumutbarkeit der Nebenfolgen des Handelns.

Die zwei Auffassungen der Zumutbarkeit

Hinsichtlich der Frage der Zumutbarkeit gibt es für Robert Spaemann zwei extreme Auffassungen. Die erste ist die anarchistische, die davon ausgeht, dass es kein anderes Kriterium für Zumutbarkeit gibt als die wirkliche Zustimmung der Betroffenen. Denn die Freiheit des Menschen besteht gerade darin, dass nicht andere über den Wert und Rang seiner Wünsche und Interessen zu entscheiden haben. Der Bereich, in dem die individuellen Präferenzen ohne Bevormundung den Ausschlag geben, ist laut Robert Spaemann der freie Markt.

Die zweite Lösung des Problems der Zumutbarkeit ist Robert Spaemann zufolge das konsensuelle Verfahren. Er erklärt: „Dabei ist die Frage auf eine abstrakte Ebene verlegt. Angesichts der Unmöglichkeit, in jedem Einzelfall die faktische Zustimmung der Betroffenen zu einer Handlung mitsamt ihren Folgen zu erreichen, werden Verfahren eingeführt, mittels deren die Frage nach der Zumutbarkeit im Einzelfall entschieden wird.“ In diesem Fall muss allerdings eine Zwangsgewalt installiert sein, die der auf legitime Weise zustande gekommenen Lösung zur Durchsetzung verhilft.

Von Hans Klumbies