Robert Pfaller klärt über die Kunst des klaren Wollens auf

Für viele Menschen ist es heutzutage sehr schwer, zu wissen, was sie eigentlich wollen. Das liegt unter anderem daran, dass die Individuen heute viel mehr Möglichkeiten haben als noch vor sehr kurzer Zeit, zumindest in den westlichen Gesellschaften. Es ist aber laut Robert Pfaller nicht die Zahl der Wahlmöglichkeiten, die eine Person überfordert, sondern es ist die Einbildung, es gäbe eine Wahl, die dem eigenen Ich genau entspricht – und das nur in der Personalisierung das Glück zu finden wäre. Robert Pfaller glaubt dass sich die Gesellschaften verändert haben, von denjenigen, in denen Leute etwas wollten, es aber von der Gesellschaft verboten bekamen und sich dafür schuldig fühlten, hin zu Gesellschaften, die stimulierend auf die Individuen einwirken im Sinne von: „Du sollst es ruhig wollen!“ Robert Pfaller ist Ordinarius für Philosophie an der Universität für angewandte Kunst in Wien.

Bei vielen Menschen fühlt sich das Ich vom Über-Ich entmachtet

In einer Gesellschaft, in der die Menschen nicht dürfen, was sie wollen, führt dies wie der Soziologe Alain Ehrenberg aufgezeigt hat, in die Depression und in die Neurose. Robert Pfaller ergänzt: „In einer Gesellschaft aber, die vorgibt: Leb dich aus, hab Sex, relax! – da wissen die Leute plötzlich nicht mehr, ob sie diesen Ermunterungen aus wollend entsprechen können. Ihrem Wollen geht sozusagen die Luft aus.“ In dem Moment, wo das Wollen zum expliziten Sollen wird, zeigt es sich gelähmt. Heute haben wir es laut Robert Pfaller mit Individuen zu tun, deren Ich von ihrem Über-Ich sozusagen umzingelt ist.

Immer wenn das Ich etwas will, sagt das Über-Ich: „Du sollst das auch wollen!“ Das Ich fühlt sich entmachtet und kann diesem Sog nicht entsprechen. Zum neuen Phänomen des Burnout äußerst sich Robert Pfaller wie folgt: „Früher haben die Leute Arbeit als etwas Fremdes empfunden und haben sich geweigert oder tachiniert (faulenzen). Heute empfinden sie die Arbeit als das Eigene und haben Depressionen, weil sie ihrem Eigentum nicht genügend folgen können. Das wollende Selbst geht heute sozusagen über die eigene Leiche.“

Das eigene Begehren ist immer auch das Begehren des anderen

Wahrscheinlich wollen viele Menschen in dem Moment, in dem sie der sind, der sie heute sein wollen, wieder jemand anderes sein. Diese Transzendenz des Wollens scheint für Robert Pfaller fast eine notwendige Bedingung der menschlichen Existenz zu sein. Darum sind es seiner Meinung auch nicht die unrealisierten Wahlmöglichkeiten, die einen Menschen im Leben glücklich oder unglücklich machen. Es ist sehr heilsam, nicht hinter irgendeiner Wahlmöglichkeit den großen Schatz zu vermuten und sich dadurch zu beunruhigen.

Laut Robert Pfaller beharren viele Menschen heute oft zu sehr auf der Eigenheit ihrer Wünsche. Sie lassen nur diejenigen an sich heran, von denen sie glauben, sie seien ganz und gar die eigenen. Robert Pfaller erläutert: „Hier ist es wichtig zu erkennen, dass wir gerade bei unseren Wünschen sehr soziale Wesen sind. Jacques Lacan hat das in der Psychoanalyse so formuliert: Das Begehren ist das Begehren des anderen. So verstanden eignet dem Wollen etwas, das zwischen Aktivität und Passivität steht.“ Quelle: Philosophie Magazin

Von Hans Klumbies