Robert Nozick kennt das Band der Liebe

Das allgemeine Phänomen der Liebe umfasst romantische Liebe, die Liebe einer Mutter oder eines Vaters zu einem Kind, die Liebe zum eigenen Land und vieles mehr. Robert Nozick ergänzt: „Was aller Liebe gemeinsam ist, ist dies: das eigene Wohlergehen ist mit dem eines anderen Menschen oder Dinges, den oder das man liebt, verbunden.“ Wenn einem Freund etwas Schlechtes passiert, dann geschieht auch einem selbst etwas Schlechtes. Wenn jemand, den man liebt, verletzt oder bloßgestellt wird, ist man verletzt; wenn ihm etwas Wunderbares geschieht, fühlt man sich in besserer Verfassung. Nicht jede Zufriedenstellung der Vorliebe eines Geliebten wird allerdings dazu führen, dass man sich besser fühlt; sein oder ihr Wohlergehen und nicht einfach nur eine Vorliebe muss auf dem Spiel stehen. Robert Nozick (1938 – 2002) war ein in Harvard lehrender amerikanischer Philosoph, der vor allem durch seine Schriften zur Moralphilosophie bekannt wurde.

Verliebtsein ist ein extrem intensiver Zustand

Wenn keine Liebe vorliegt, verwandeln Veränderungen im Wohlergehen anderer Menschen im Allgemeinen nicht das eigene Befinden. Die Ausdehnung des eigenen Wohlbefindens oder Unwohlbefindens kennzeichnet alle unterschiedlichen Arten von Liebe: die Liebe zu Kindern, die Liebe zu Eltern, die Liebe zum eigenen Volk, zum eigenen Land. Liebe bedeutet nicht notwendig, dass einem an einem anderen ebenso sehr oder noch mehr gelegen ist als einem selbst. Diese Arten der Liebe sind großherzig, aber ein gewisses Maß an Liebe ist gegenwärtig, wenn das eigene Wohlergehen in einem beliebigen Ausmaß durch das eines anderen beeinflusst wird.

Robert Nozick erläutert: „Wie es dem anderen geht, so geht es einem bis zu einem gewissen Grade selbst. Die Menschen, die man liebt, befinden sich innerhalb der eigenen Grenzen, ihr Wohlbefinden ist das eigene.“ Verliebtsein, Vernarrtheit, ist ein intensiver Zustand, der vertraute Züge aufweist: man denkt fast immer an den Menschen; man will ihn ständig berühren und mit ihm zusammensein; man ist durch die Gegenwart des anderen erregt; man wird schlaflos; man drückt seine Gefühle durch Gedichte, Geschenke und anderen Mitteln aus, die den Geliebten oder die Geliebte erfreuen sollen.

Eine Beziehung kann mythische Dimensionen annehmen

Verliebte schauen sich gegenseitig tief in die Augen; man isst zusammen bei Kerzenschein; man hat das Gefühl, dass kurze Trennungen lang sind; man lächelt albern, wenn man sich an Handlungen und Bemerkungen des anderen erinnert; man hat das Gefühl, dass die kleinen Schwächen des anderen reizvoll sind; man empfindet Freude darüber, dass man den anderen gefunden hat und von ihm gefunden worden ist; und man findet alle Menschen reizend und nett und meint, sie müssten merken, wie glücklich man ist.

Andere Interessen und Verpflichtungen werden zu untergeordneten Hintergrunddetails in der Romanze, die jetzt das beherrschende Ereignis im Vordergrund des Lebens darstellt. Die Lebhaftigkeit der Beziehung kann künstlerische oder mythische Dimensionen annehmen – beieinander liegen wie Gestalten auf einem Bild, gemeinsam eine neue Geschichte aus Ovid leben. Vertraut ist auch, was geschieht, wenn die Liebe nicht in gleicher Weise erwidert wird: Melancholie, zwanghaftes Nachgrübeln über das, was danebengegangen ist, gelegentlich Selbstmordgedanken. Quelle: „Vom richtigen, guten und glücklichen Leben“ von Robert Nozick in „Was ist Liebe?“

Von Hans Klumbies