Frank Schirrmacher bezeugt den Erfolg der Spieltheorie

Frank Schirrmacher vertritt in seinem Buch „Ego. Das Spiel des Lebens“ die These, dass die sogenannte Spieltheorie, mit der die Sozialwissenschaften das Aufeinandertreffen von Akteuren mit ihren jeweiligen Eigeninteressen beschreiben, im Kalten Krieg entwickelt worden sei. Mit dem Ziel, die Menschen nicht von den Routinen der Feindbeobachtung einzuschläfern, sondern ihnen hierbei eine gewisse aggressive Munterkeit zu bewahren. Man muss zu jedem Zeitpunkt damit rechnen, dass der andere die eigenen Schwächen zu seinem Vorteil nutzt, weil er ausschließlich seinen eigenen Interessen folgt, lautet die Devise der Spieltheorie. Frank Schirrmacher ergänzt: „Auf Moral, Anstand oder auch nur Abmachungen sollte man sich lieber nicht verlassen, sondern hinter allem das Schlimmste vermuten.“ Rupert M. Scheule ist Professor für Moraltheologie und Christliche Sozialwissenschaft an der Theologischen Fakultät Fulda.

Die Spieltheorie hat den homo oeconomicus hervorgebracht

Aber laut Frank Schirrmacher ist die Erfolgsgeschichte der Spieltheorie noch weitergegangen. Sie wurde zur Rational-Choice-Theorie ausgebaut und zielt jetzt nicht nur auf das Verhältnis zum Systemgegner, sondern auf das Verhältnis des Menschen zur gesamten Welt. Deshalb fand die Rational-Choice-Theorie nach dem Ende des Kalten Krieges auch außerhalb des Militärs vielfache Anwendung. Sie hat zum Beispiel Einzug gehalten auf den Finanzmärkten, sodass nunmehr ganze Abteilungen von Investmentbankern damit beschäftigt sind, die Absichten konkurrierender Händler aus einem riesigen Datenmaterial mithilfe von Computern und der Spieltheorie in atemberaubender Geschwindigkeit zu entschlüsseln und ihr eigenes Handeln danach auszurichten.

Im Grunde hat die Spieltheorie beziehungsweise Rational-Choice-Theorie die Alltagstheorie des Sozialen geprägt. Frank Schirrmacher schreibt: „Lerne vernünftig zu handeln hieß: Lerne so zu handeln und zu denken, dass du immer von dem Eigeninteresse aller ausgehst.“ Frank Schirrmacher glaubt, so sei der eigeninteressierte Modellakteur der Wirtschaftswissenschaften, der sogenannte homo oeconomicus, durch den Erfolg der Spieltheorie zum Leben erweckt worden. Dieser homo oeconomicus trat nie mit dem Anspruch auf, die ganze anthropologische Wahrheit über den Menschen zu enthalten.

Die Rational-Choice-Theorie schließt die Ethik nicht aus

Der homo oeconomicus fungierte eher als eine Art Dummy, mit dem Ökonomen die Verläufe von Situationen unter dem Gesichtspunkt eines strikten Eigeninteresses aller Beteiligten durchspielten. Die Menschen sind allerdings nicht von Natur aus rationale eigeninteressierte homines oeconomici, sondern sie würden dazu gemacht. Die Menschen stoßen auf eine soziale Realität, die nur mit dem homo oeconomicus rechnet und zurechtkommt. So werden die Menschen sukzessive neu erschaffen – in einer hässlich eigensüchtigen Variante eines Monsters.

Rupert M. Scheule, Professor für Moraltheologie und Christliche Sozialwissenschaft an der Theologischen Fakultät Fulda, kritisiert diesen Ansatz von Frank Schirrmacher: „Wie jeder halbwegs unterhaltsame Verschwörungstheoretiker vergröbert, verkürzt und vereinfacht auch Schirrmacher hemmungslos. Er macht keinen großen Unterschied zwischen der Spieltheorie und der Rational-Choice-Theorie. Dass letztere eigentlich eine sehr anpassungsfähige Handlungstheorie ist, die die Gesellschaft vom Einzelnen und seinem subjektiv sinnvollen Handeln her verstehen will, was sie nicht zuletzt anschlussfähig an die Ethik macht, interessiert ihn nicht.“ Quelle: „Wir Freiheitsmüden“ von Rupert M. Scheule

Von Hans Klumbies