Richter Jens Gnisa verzweifelt am deutschen Rechtssystem

In der Politik ist das Rufen nach neuen Gesetzen eine weitverbreitete, aber fragwürdige Gewohnheit, nur um zu zeigen, dass man handlungsfähig ist. Mehr Strafgesetze bedeuten allerdings auch mehr Arbeit für die Strafverfolger. Jens Gnisa klagt: „Doch mehr Ressourcen gibt es nicht: Der Bund macht die Strafgesetze, die Länder statten die Gerichte aus, sie wollen die Zechen nicht bezahlen, un die Justiz steht wieder mal allein da.“ In seinem neuen Buch proklamiert er schon im Titel das „Ende der Gerechtigkeit“. Seiner Meinung nach wäre die Gerechtigkeit wirklich am Ende, wenn so weitergewurstelt wird wie bisher, weil dann die Justiz und das Recht immer weniger überzeugen können. Es gibt bereits jetzt eine Vertrauenskrise. Jens Gnisa ist Direktor des Amtsgerichts Bielefeld und seit 2016 Vorsitzender des Deutschen Richterbundes.

Ein Jurist unterscheidet nicht zwischen guten und schlechten Straftätern

Jens Gnisa vertritt die These, dass der Abstand zwischen der juristischen Welt und der Gesellschaft größer geworden ist: „Als Juristen versuchen wir uns emotionsfrei zu halten, die Moral außen vor zu lassen. Doch die Gesellschaft emotionalisiert und moralisiert sich.“ Die Gesellschaft unterscheidet zwischen guten und schlechten Straftätern, der Jurist nicht. Böse sind demnach Steuerhinterzieher oder Umweltverschmutzer, gut sind Leute, die altruistisch sind, auch wenn sie dabei rechtswidrige Mittel anwenden.

Jens Gnisa nennt ein weiteres Beispiel: „Oder der Ankauf von Steuer-CDs: Ein Minister, der das tut, hat den Beifall der Öffentlichkeit auf seiner Seite, obwohl er dabei aus einer Straftat Nutzen zieht, was rechtlich nicht in Ordnung ist.“ Auf die Frage, ob er das Vertrauen in den Rechtsstaat verloren habe, antwortet Jens Gnisa: „Das stimmt. Manche politischen Entscheidungen kann ich nicht nachvollziehen.“ Dass derzeit 150.000 Haftbefehle gegen Menschen, die eigentlich ins Gefängnis müssten, nicht vollstreckt sind, darf sich ein Staat nicht erlauben.

Jens Gnisa bemängelt die Duldung der vielen Ausreisepflichtigen

Ähnliche Vollzugsdefizite gibt es laut Jens Gnisa im Ausländerrecht, da wird das Recht oft durch Moral überlagert. Für den einzelnen abgelehnten Asylbewerber, der abgeschoben werden soll, kann man ja Sympathien haben, aber das Recht muss das Gesamte sehen: Asyl ist Aufenthalt auf Zeit, für einen beschränkten Personenkreis. Und wer kein Asyl erhält, muss zurückkehren. Das hat die Politik über viele Jahre vernachlässigt, weil es ihr keinen Beifall einbrachte. Da verzweifelt Jens Gnisa am deutschen Rechtssystem, nicht an den Paragrafen, sondern an der fehlenden Umsetzung.

Vor allem aber bemängelt Jens Gnisa die vielen Duldungen für Leute, die eigentlich ausreisen müssten: „Wir haben über Jahrzehnte die Dinge schleifen lassen. Die Ausländer, die uns Probleme bereiten, etwa die Kurden in Duisburg-Marxloh oder die Araber-Clans in Berlin, das sind alles Geduldete.“ Eine Duldung ist für Jens Gnisa keine Lösung. Wenn man die Leute nicht mehr wegbekommt, muss man ihnen irgendwann einen richtigen Aufenthaltstitel geben. Damit sie Förderung bekommen, Hilfen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt, auch Sprachkurse. Quelle: Der Spiegel

Von Hans Klumbies