Richard David Precht: "Das Wichtigste ist die Liebe"

Romantik bedeutet für Richard David Precht die Gefühle von Leidenschaft und Geborgenheit zusammenzubringen und sie auf einen einzigen Partner zu projizieren. Nach Möglichkeit sollte dieser Zustand bis ans Ende des Lebens anhalten. Romantische Gefühle gab es schon bei Ovid. Allerdings ist Richard David Precht der Ansicht, dass die Vorstellungswelt, die der Mensch des 21. Jahrhunderts mit der Romantik verbindet, ihren Ursprung eher in den Herzschmerz-Romanen des 18. Jahrhunderts findet. Der Einfluss der deutschen Frühromantik wird seiner Meinung nach überschätzt. Der heutige Mensch liebt nicht nach dem Vorbild eines Novalis.

Die geschlechtliche Liebe ist eine Umleitung der Natur

Ob Philosophen mehr Glück bei Frauen als andere Männer haben, bezweifelt Richard David Precht. Wenn der Intelligenzabstand zwischen den Geschlechtern zu groß wird, kann Klugheit schaden. Es gibt viele Frauen und Männer, die den anderen nur nach materiellen Statusgesichtspunkten bewerten. Dagegen kann auch die Philosophie nichts ausrichten. In Köln gibt es Läden, aus denen Menschen mit zuviel Intelligenz rausgeschmissen werden. Dort tummeln sich nur „beautiful people“ bei denen ein schickes Auto mehr zählt als der Verstand.

Die geschlechtliche Liebe ist laut Richard David Precht eine Umleitung der Natur. Ihre biologische Funktion liegt eigentlich in einer Bindung von Eltern und Kindern. Erst in der Pubertät löst sich das intuitive Band der Kinder zu den Eltern, wodurch ein Defizit entsteht. Dieses Defizit kompensiert der Mensch dadurch, dass er seine beiden Hauptsehnsüchte, diejenige nach Aufregung und diejenige nach Geborgenheit, auf jemand anderen umleitet.

Die Liebe war für die Evolution nicht nötig

Auch wenn die Liebe biologisch nicht notwendig ist, ist Richard David Precht der Ansicht, dass die Liebe trotzdem irrsinnig wichtig ist. Das teilt sie mit der Kunst, der Philosophie und der Religion. In der Kunst und in der Literatur gibt es keinen wichtigeren Gegenstand als die Liebe. Je anspruchsvoller die Literatur ausfällt, desto wichtiger wird darin das Scheitern der Liebe. Auf der anderen Seite sorgen Filme und Liebesromane auch dafür, dass die meisten Menschen ähnliche Vorstellungen von der Liebe erwerben. Der amerikanische Psychologe Robert Sternberg glaubt sogar, dass der Mensch in seinem Liebesleben Drehbüchern folgt, die er sich aus bekannten Filmen ausgeliehen hat.

Richard David Precht ist davon überzeugt, dass die Liebe für die Evolution nicht nötig war, ihr aber auch nicht geschadet hat. Von Charles Darwin stammt die Beobachtung: „Wenn der Mensch seine Pferde, Rinder und Hunde zusammenstellt, achtet er immer darauf, dass die besten Paare zusammenkommen; bei der Auswahl des Partners unterzieht man sich dieser Mühe selten.“ Es sind nicht immer die schönsten und stärksten Menschen, die eine Beziehung eingehen. Aber das zeigt laut Richard David Precht nur, dass Kultur, Moralität und Liebe eigenständige Größen sind.

Der Bestsellerschriftsteller Richard David Precht

Der Schriftsteller und Publizist Richard David Precht (44) gilt seit seinem Bestseller „Wer bin ich – und wenn ja wie viele? als Spezialist für die philosophische Leichtigkeit des Alltags. Sein Werk wurde inzwischen in 18 Sprachen übersetzt. Der Autor lebt mit seiner Frau und vier Kindern in einer Patchwork-Familie in Köln.

In seinem neuen Buch „Liebe. Ein unordentliches Gefühl“ vertritt Richard David Precht die These, dass die Liebe entwicklungsgeschichtlich unnötig gewesen sei. Und dass die Menschheit nicht etwa dank, sondern trotz der Liebe das wurde, was sie heute ist.

Von Hans Klumbies