Das deutsche Drama stand ganz im Zeichen der Revolution

Den deutschen Dichtern gelang im Drama nicht, was den spanischen, englischen und französischen Schriftstellern beschieden war. Laut Reinhold Schneider war ihr Drama das späteste und problematischste. Er nennt einige Gründe dafür: den Humanismus und den Dreißigjährigen Krieg und das Abbrechen der Tradition volksgemäßer Dichtung. Die Deutschen haben allerdings in der Musik und in der lyrischen Dichtung einen ungleich reicheren und eigeneren Ausdruck als im Drama gefunden, das heißt in einer Kunst, die der eigentlich plastischen Gestaltung ferner ist und darum auch einen viel geringeren formgebenden Einfluss auf das Leben ausübt als das Drama. Für Reinhold Schneider liegt vieles vom Größten, was die Deutschen vollendet haben, verborgen oder verschüttet, beziehungsweise ist nur wenigen erreichbar. Der Schriftsteller Reinhold Schneider, geboren 1903 in Baden-Baden, gestorben 1958 in Freiburg/Breisgau, wurde 1956 mit dem Friedenspreis des Deutschen Bundhandels ausgezeichnet.

Die Stunde der Geburt ist für ein Kunstwerk so wichtig wie für den Menschen

Das deutsche Drama, bei all seiner dichterischen Größe und seinem edlen, verehrungswürdigen Gehalt, scheint laut Reinhold Schneider am Gesetz seiner Art gescheitert zu sein. Doch sein Werden und Wesen drückt doch nicht nur dieses Innere, sondern auch ein geschichtliches Schicksal aus. Reinhold Schneider erklärt: „Die Stunde der Geburt ist für das Kunstwerk so wichtig wie für den Menschen.“ Die Engländer, die Spanier und die Franzosen schrieben ihre Dramen zu einer Zeit, als die Form des Staates noch geschlossen war.

Als die Deutschen ihre Dramen schufen, schien sich diese Form verwandeln zu sollen. Das deutsche Drama stand im Zeichen der kommenden, sich vollziehenden Revolution. Reinhold Schneider erläutert: „Den deutschen Dichtern fehlte die Anschauung der Krone, des Königs. Der König war für sie nicht wie für die Engländer, Franzosen, Spanier die entscheidende Gestalt, die ihre Schatten selbst über die Volksstücke und Komödien warf.“ Die Krone war für die Deutschen nicht die entscheidende Macht.

An den Grundfesten des Staates wird im Drama nicht gerüttelt

Der König in einem Drama ist die natürliche Mitte einer geordneten oder sich wieder ordnenden Welt. Eine Tragödie kann sich laut Reinhold Schneider nur dann ereignen, wenn unverrückbare, eherne Gesetze gelten. Allerdings kann im Drama nur die Person des Königs selbst, ihr Wert und Verdienst, in Frage stehen, niemals dagegen das Königtum oder die Krone in ihrer Gesamtheit. Ganz allgemein könnte man sagen, dass an den Grundfesten des Staates im Drama nicht gerüttelt werden darf.

Reinhold Schneider weist darauf hin, dass vom tragischen Dichter das höchste an ordnender Kraft, an innerer Ordnung verlangt wird, und das heißt nichts anderes als: er kann kein Revolutionär sein. Reinhold Schneider erklärt: „Denn der revolutionäre Dichter führt weder in das Ungewisse oder doch zu einer Ordnung, die noch nicht ist und sich erst bewähren müsste. Am Ende revolutionärer Dramen erheben sich nicht die Mauern in wiedererrichteter Form.“ In der echten Tragödie dagegen ist die Welt aus den Fugen und es wird in ihr dargestellt, wie die Welt ihre alte Form zurückerhält.

Von Hans Klumbies