Die Verfassung der Weimarer Republik hatte große Schwächen

Der Jurist und Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel vertritt die These, dass die fundamental wichtigen Entscheidungen schon gefallen waren, als die Nationalversammlung im Januar 1919 in Weimar zusammentrat. Denn es stand fest, dass Deutschland in Zukunft weder eine Monarchie noch eine Rätediktatur, sondern eine rechtsstaatliche Republik sein werde. Ernst Fraenkel fügt hinzu: „Unentschieden war hingegen, ob in der künftigen Verfassung das Schwergewicht auf der repräsentativen oder der plebiszitären Komponente des Regierungssystems liegen werde.“ Die „Denkschrift zum Entwurf des Allgemeinen Teils der Reichsverfassung“ vom 3. Januar 1919, die der Jurist und Politiker Hugo Preuß verfasst hatte, enthielt eine klare Option für das parlamentarische und gegen das präsidentielle Regierungssystem. Die Ablehnung der amerikanischen Verfassung wurde unter anderem damit begründet, dass das in den USA herrschende dualistische System zu einer geistigen Verarmung und politischen Verödung des Kongresses geführt habe.

Der politische Einfluss des Parlaments ist nicht nur vom Misstrauensvotum abhängig

Laut Ernst Fraenkel blieb es jedoch Hugo Preuß verborgen, dass der politische Einfluss eines Parlaments keineswegs ausschließlich davon abhängig ist, dass die Regierung durch ein Misstrauensvotum gestürzt werden kann. Seine Bedeutung beruht zumindest ebenso sehr auf der Wirksamkeit der parlamentarischen Befugnis bei der Aufstellung des Staatsetats, der Kontrolle der Exekutive durch Untersuchungsausschüsse und insbesondere auf der Unabhängigkeit der Parlamentsfraktionen vom Chef der Exekutive.

Ernst Fraenkel schreibt: „Die Männer, die für das Verfassungswerk von Weimar verantwortlich waren, berücksichtigten ausschließlich die Verfassungsnormen und vernachlässigten völlig die Verfassungswirklichkeit der Länder, die ihnen für ihr Werk – sei es als abschreckendes, sei es als nachahmenswertes – Beispiel dienten.“ So wundert sich auch Ernst Fraenkel nicht darüber, dass Hugo Preuß die Großtat des Politikwissenschaftlers Woodrow Wilson unbekannt geblieben ist.

Das Parlament übt auch unter einem präsidentiellen Regierungssystem großen Einfluss aus

Woodrow Wilson hatte in seinem herausragenden Werk „Congressional Government“ den Nachweis erbracht, das gerade unter einem präsidentiellen Regierungssystem das Parlament einen überragend großen Einfluss auszuüben vermag. Ernst Fraenkel fügt hinzu: „Die Weimarer Verfassung hat die Institution des plebiszitär gewählten Präsidenten aus USA übernommen in Unkenntnis der Tatsache, dass das Fehlen des parlamentarischen Regierungssystems und die damit verbundenen Besonderheiten des amerikanischen Parteiwesens maßgeblich dazu beigetragen haben, den Kongress stark zu machen und ein Gleichgewicht zwischen den plebiszitären und repräsentativen Komponenten des amerikanischen Regierungssystem herzustellen.“   

Die Kombination der Institution eines plebiszitär gewählten Präsidenten und eines mit dem Recht des Misstrauensvotums betrauten Parlament war eine unheilvolle Mischung. Sie musste dazu führen, dass der Präsident von Volkes Gnaden im Fall des Nichtfunktionierens des parlamentarischen Regierungssystems das Parlament mittels des Ausnahmezustandes ausschalten und im Fall seines Funktionierens mittels der Fraktionsdisziplin beherrschen konnte. Um der Gefahr des Parlaments-Absolutismus zu begegnen, haben sich die Väter der Weimarer Verfassung zur Volkswahl des Präsidenten, zur Gewährung eines fast uneingeschränkten präsidialen Parlamentsauflösungsrecht, zu Volksentscheid und Volksbegehren und zu den Befugnissen des Präsidenten entschlossen, den Kanzler nach freiem Ermessen zu ernennen und zu entlassen.

Kurzbiographie: Ernst Fraenkel

Ernst Fraenkel, geboren 1898, studierte Rechtswissenschaften in Frankfurt am Main. Er promovierte bei Hugo Sinzheimer. Gemeinsam mit Franz Neumann war er von 1927 bis 1933 Rechtsanwalt in Berlin. Seine Anwaltstätigkeit setzte er nach 1933 unter eingeschränkten Bedingungen in Berlin bis 1938 fort, als er in die USA fliehen musste. Seit 1951 war Ernst Fraenkel Dozent, von 1953 bis 1967 Professor an der Deutschen Hochschule für Politik, dem späteren Otto-Suhr Institut der Freien Universität Berlin. Er ist einer der Mitbegründer der politischen Wissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Ernst Fraenkel starb 1975 in Berlin.

Von Hans Klumbies