Die meisten Menschen setzen Schönheit mit Weiblichkeit gleich

Viele Frauen sind heute fast vollständig emanzipiert. Egal, welchen Weg sie einschlagen, sie müssen sich nichts mehr gefallen lassen – fast nichts und niemand kann ihnen etwas anhaben. Diese Frauen sind sich ihrer Qualitäten voll bewusst. Doch ein Problem ist auch an ihnen haften geblieben. Rebekka Reinhard kennt es: „Nur wenn es um ihren Körper geht, versiegen die Quellen ihres Selbstwertgefühls schlagartig. Die natürlichen Feinde moderner Frauen sind der Badezimmerspiegel und die Waage.“ Frauen, die ihren Proportionen eine beneidenswerte Gleichgültigkeit entgegenbringen, stellen in jedem Fall eine unerhebliche Randgruppe dar. Dr. Rebekka Reinhard studierte Philosophie, Amerikanistik und Italianistik und promovierte über amerikanische und französische Gegenwartsphilosophie. Zu ihren erfolgreichen Büchern zählen „Die Sinn-Diät“, „Odysseus oder Die Kunst des Irrens“ und „Würde Platon Prada tragen?“

Viele Frauen sind unzufrieden mit ihrem Aussehen

Fast alle Frauen stehen unter dem ständigen Druck, schön aussehen zu müssen. Selbst Vorstandsvorsitzende, Friedensnobelpreisträgerinnen und erfolgreiche Politikerinnen können nicht auf einen selbstkritischen Blick in den Spiegel verzichten. Denn sie leben in einer Welt, in der Bilder mehr zählen als Worte. Aus rätselhaften evolutionären Gründen setzen die Menschen Schönheit mit Weiblichkeit gleich. Der Mann dagegen kann sich aussuchen, ob er einen Waschbrettbauch oder ein kleines Fässchen vor sich herumträgt. Der Mann kann wählen, die Frau hat schön zu sein.

Rebekka Reinhard behauptet, dass Frauen, auch wenn sie eine Diät nach der anderen machen oder über eine Lidstraffung nachdenken, noch lange nicht wissen, was überhaupt schön ist. Rebekka Reinhard erklärt: „Sie wissen nur, dass sie unzufrieden sind. Ihre Unzufriedenheit hängt nicht unwesentlich mit der Inflation computerbearbeiteter Bilder zusammen.“ Ständig werden sie beispielsweise mit retouchierten Augenpartien in hoher digitaler Auflösung konfrontiert. Kaum schlagen sie eine Zeitschrift auf, sehen sie ein virtuelles Wesen mit überlangen Beinen, das sich in ihrem Unterbewusstsein festsetzt.

Das Wesen des Schönen ist niemals gleichbedeutend mit Moden oder Konventionen

Trotz gegenteiligen Behauptungen der Trendforschung haben laut Rebekka Reinhard Jugendlichkeit und Langbeinigkeit als Fundamente des aktuellen Schönheitsideals noch lange nicht ausgedient. Und dadurch bekommen die meisten Frauen ein Problem. Denn die Chance eines jungen Mädchens, so auszusehen wie ein mit einem Bildbearbeitungsprogramm idealisiertes Topmodel, liegt bei etwa 0,1 Prozent. Die Medienkultur stuft inzwischen das Äußere einer normalen Frau als hässlich ein. Dadurch fällt es ihr so schwer, ihren Körper so zu akzeptieren, wie er ist.

Platon, der von 428 bis 348 vor Christus lebte, hat mit seinem Dialog „Hippias Major“ den ersten systematischen Versuch unternommen, herauszufinden, worin Schönheit eigentlich besteht. Darin geht es einem der Protagonisten, nämlich Sokrates, darum, das allgemeine Wesen oder die Idee der Schönheit zu bestimmen. Laut Sokrates ist die Idee des Schönen unabhängig von dem, was die meisten Menschen für schön halten. Etwas, das objektiv betrachtet gar nicht schön ist, kann seiner Meinung nach sehr wohl subjektiv schön scheinen. Laut Sokrates kann das Wesen des Schönen niemals gleichbedeutend mit Moden, Bräuchen oder Konventionen sein.

Von Hans Klumbies