Rebekka Reinhard lehrt die Kunst des Irrens

Rebekka Reinhard untersucht die Gründe und Auswirkungen des übersteigerten Sicherheitsdenkens der meisten Menschen mit der Sicht einer Philosophin und skizziert als Alternative die Irrfahrten des Odysseus. Die Autorin setzt an die Stelle von Sicherheit den Mut und die Neugierde. Die Menschen sollten sich wieder auf das Ungewöhnliche einlassen, Fremdes als Bereicherung anerkennen und die eigenen Mängel ohne Klagen annehmen. Rebekka Reinhard ruft ihre Leser dazu auf, sich der philosophischen Kunst des Irrens hinzugeben. Der Sinn des Lebens besteht für sie darin, zu staunen und diese Welt weiser zu verlassen, als man sie betreten hat.

Die vier Hindernisse des Irrens

Dr. Rebekka Reinhard studierte Philosophie, Amerikanistik und Italianistik und promovierte über amerikanische und französische Gegenwartsphilosophie. Sie arbeitet als philosophische Beraterin in ihrer eigenen Praxis. Im ersten Teil ihres Buches „Odysseus oder die Kunst des Irrens“ zählt die Autorin vier Hindernisse auf, die den Menschen am Irren hindern. Das erste Hindernis ist die Vorsicht, das Zweite die Selbstverliebtheit, das Dritte der moralische Relativismus und das Vierte die Phantasielosigkeit.

Im zweiten Teil stiftet Rebekka Ludwig ihre Leser zum Irren an, indem sie ihnen philosophische Gedankenexperimente vorstellt. Im siebten Kapitel geht es beispielsweise um die Verwirrung der Geschlechter und über die Schwierigkeit, ein echter Mann oder eine echte Frau zu sein. Der Graben zwischen männlich und weiblich ist für die Autorin gar nicht so tief, wie die meisten Menschen denken. Denn die Weiblichkeit oder die Männlichkeit, die man nach außen repräsentiert, ist nie ganz deckungsgleich mit dem, wie es im Inneren eines Menschen aussieht.

In jedem Menschen ist ein Philosoph verborgen

Im elften Kapitel beschreibt die Autorin das philosophische Irren und plädiert für eine Neuorientierung in der Ethik. Manchmal macht das Leben selbst die Menschen zu Philosophen. Das geschieht immer dann, wenn sie verwirrt sind, sich in einer aussichtslosen Lage befinden oder mit komplizierten und unübersichtlichen Problemen konfrontiert werden. Zu den Größten in der Philosophiegeschichte zählt Rebekka Ludwig die Philosophen Platon, Immanuel Kant und Ludwig Wittgenstein.

Sie stellten die Fragen: „Was ist?“, „Was kann ich erkennen?“ und „Was kann ich verstehen?“ Für Ludwig Wittgenstein zum Beispiel führt nicht das Wissen zur Wahrheit, sondern vor allem die Art und Weise, wie die Menschen mit dieser Erkenntnis umgehen. Denken, Sprechen und Schreiben sind für ihn untrennbar mit dem Leben verbunden. Er schreibt: „Erst muss man leben – dann kann man auch philosophieren.“

In ihrem Epilog, Ende der Irrfahrt – und Neubeginn stellt Rebekka Reinhard klar, dass es überhaupt kein Grund zum Verzweifeln ist, wenn uns heute niemand mehr sagt, für welche Werte und Sehnsüchte der Mensch leben soll, weil er oft nicht mehr weiß, wo seine Heimat ist, in die er zurückkehren könnte, wie Odysseus nach Ithaka. Man muss auch nicht in Panik ausbrechen, wenn man sich schwer tut, zu erkennen, wer man ist und was einem wirklich wichtig ist. Der Mensch ist schließlich ein ganz und gar unvollkommenes Wesen.

Odysseus
oder die Kunst des Irrens
Rebekka Reinhard
Verlag: Ludwig
Gebundene Ausgabe: 239 Seiten, Auflage: 2010
ISBN: 978-3-453-28017-5, 18,99 Euro

Von Hans Klumbies