Amartya Sen erklärt die Bedeutung der Pressefreiheit

Wenn der öffentliche Vernunftgebrauch in der Welt gestärkt werden soll, muss man laut Amartya Sen vor allem darüber nachdenken, wie die Arbeit einer freien, unabhängigen Presse unterstützt werden kann. Denn die Pressefreiheit ist in vielen Ländern der Welt eingeschränkt oder fehlt völlig. Das ist allerdings eine Situation, die man nicht ändern könnte. Die Traditionen der Pressefreiheit, die seit rund dreihundert Jahren in Europa und Amerika bestehen, haben gegenüber anderen Ländern einen gewaltigen Unterschied bewirkt. Amartya Sen schreibt: „Die Lehren aus diesen Traditionen haben die Welt im ganzen verwandelt, von Indien bis Brasilien und von Japan bis Südafrika, und das Wissen, dass freie tatkräftige Medien gebraucht werden, breitet sich mit rasantem Tempo aus.“

Die Freiheit der Medien wirkt sich entscheidend auf die Lebensqualität aus

Unzensierte, robuste Medien sind für Amartya Sen aus verschiedenen Gründen wichtig. Erstens tragen die Redefreiheit im Allgemeinen und die Pressefreiheit im Besonderen unmittelbar zur Lebensqualität der Menschen bei. Die Menschen haben vielfältige Gründe, sich miteinander zu verständigen und ihre Lebenswelt besser zu verstehen. Nur die Freiheit der Medien garantiert diese Chance. Fehlende Medienfreiheit und die Unterdrückung der Möglichkeit zur Kommunikation wirken sich unmittelbar auf die Verringerung der Lebensqualität aus. Das gilt auch, wenn ein autoritäres Land, das diese Zensur ausübt, über ein hohes Bruttonationaleinkommen verfügt.

Zweitens spielt die Presse eine entscheidende Rolle als Informationsquelle, da sie nicht nur Wissen verbreitet, sondern auch deren kritische Überprüfung ermöglicht. Ihre Informationsrolle beschränkt sich dabei nicht nur auf fachliche Berichterstattung über Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur, sondern sie hat auch die Aufgabe, ihre Leser ganz generell mit Neuigkeiten zu versorgen, damit sie wissen, wo was gerade geschieht. Darüber hinaus kann der investigative Journalismus an Informationen herankommen, die sonst nicht bemerkt oder sogar nie das Licht der Öffentlichkeit erblickt hätten.

Die freie Presse trägt entscheidend zur Wertebildung bei

Drittens hat die Freiheit der Medien laut Amartya Sen eine wichtige Schutzfunktion, da sie die Benachteiligten und Vergessenen ins Blickfeld der Öffentlichkeit rückt, was erheblich zur menschlichen Sicherheit beitragen kann. Die Regierenden eines Landes führen manchmal ein so abgehobenes Leben, dass sie vom Elend breiter Bevölkerungsschichten, sei es Hunger oder ein anderes Unglück, gar nichts mehr mit bekommen. Wenn den Machthabern jedoch öffentliche Kritik aus den Medien entgegenschallt, vor allem vor Wahlen, kann das für sie ein starker Anreiz sein, so zu handeln, dass solche Krisen nicht mehr vorkommen.

Viertens fordert die auf Information aufbauende, unreglementierte Wertebildung einen offenen Disput und eine freie Kommunikation. Für diesen Prozess ist die Pressefreiheit ein ganz entscheidender Faktor. Amartya Sen schreibt: „Durchdachte Wertebildung ist ein interaktiver Prozess, und die Presse kann erheblich dazu beitragen, dass solche Interaktionen möglich werden. Neue Standards und Prioritäten entstehen durch öffentlichen Diskurs, und wieder ist öffentliche Diskussion das Medium, das die neuen Normen gebietsübergreifend bekannt macht.“

Amartya Sen kommt zu dem Schluss, dass gut funktionierende Medien dazu beitragen können, den öffentlichen Vernunftgebrauch generell zu erleichtern. Dies ist wiederum eine Grundvoraussetzung für eine Demokratie im Allgemeinen und dem Streben nach Gerechtigkeit im Besonderen. Gerechtigkeit ohne Diskussion wäre für Amartya Sen eine sehr beklemmende Vorstellung.

Von Hans Klumbies