Die Frage nach dem Bösen und dem Unrecht ist elementar

Einst sang die österreichische Kultband „Erste Allgemeine Verunsicherung“ das Lied „Das Böse ist immer und überall“. Ob das zutrifft, untersucht die neue Sonderausgabe des Philosophie Magazins „Das Böse“. Das Böse muss nicht immer das Resultat diabolischer Absichten sein, aber durchzieht den Alltag vieler Menschen auf vielfältige, kaum erkennbare Weise. Es kann aus schierer Gedankenlosigkeit entstehen und mithilfe politischer Ideologien ganze Gruppen, ja Gesellschaften erfassen. Catherine Newmark, Chefredakteurin der Sonderausgabe, schreibt im Editorial: „Das Böse fordert uns zum Nachdenken über uns selbst heraus, es irritiert nachhaltig, weil wir es oft kaum fassen, geschweige denn verstehen können.“ Die Welt ist voller Unrecht, Leid und Schrecken, der Mensch hat in sich nicht nur Güte und die Fähigkeit zur Erkenntnis, sondern auch Aggression und Zerstörungswut – das sind Tatsachen, die man anerkennen muss und doch kaum akzeptieren kann.

Die Möglichkeit zum Bösen ist tief in der menschlichen Natur verwurzelt

Die amerikanische Moralphilosophin Susan Neiman vertritt die Meinung, dass das Problem des Bösen historisch gesehen im Zentrum der Philosophie steht. Dabei geht es darum, ob Menschen Sinn finden können in einer Welt, die voller böser Tatsachen ist. Das ist wirklich eine Anfangsfrage der Philosophie – eine grundlegende Triebkraft philosophischen Fragens. Die Frage nach dem Bösen und dem Unrecht ist elementar. Auf die Frage, ob es böse Menschen gibt, antwortet Susan Neiman: „Ich bin so weit Aufklärerin, dass ich glauben möchte, dass kein Mensch an sich und für immer böse ist.“

In Platons Dialog „Menon“ erklärt Sokrates seinem Gesprächspartner, das man das Böse nicht wirklich wollen kann, weil es demjenigen schadet, der es begehrt. Das Böse entsteht durch Unwissenheit und falsche Vorstellungen darüber, was man wirklich will. Die Tugend besteht im wahren Wissen, das sich ausschließlich am Guten orientiert. Immanuel Kant dagegen nennt den Menschen von Natur oder „radikal“ böse. Damit meint der große Spätaufklärer freilich keine grundlegende Verderbtheit des Menschengeschlechts, sondern schlicht die Tatsache, dass tief in der menschlichen Natur die Möglichkeit zum Bösen verwurzelt ist.

Die Untätigkeit des Guten ermöglicht den Triumph des Bösen

Der britische Philosoph Julian Baggini entwickelt zehn Figuren des Bösen, vom natürlichen bis zum perversen Bösen. Dabei vertritt er unter anderem die These, dass man gut daran tut, den seltensten Fall, den Sadismus, nicht zum Inbegriff des Bösen zu machen. Außer beim sadistischen Bösen und dem Bösen der Mittäterschaft liegt in allen anderen Formen des Bösen keine böse Absicht vor. Mehrheitlich ist die Intention sogar, Gutes zu tun. Von Edmund Burke stammt der berühmte Satz: „Das Einzige, das für den Triumph des Bösen erforderlich ist, ist die Untätigkeit des Guten.“

Warum das Böse unhintergehbar zur menschlichen Freiheit gehört, aber dem Guten trotzdem immer nachgeordnet bleibt, erklärt der Philosoph Jörg Noller im Gespräch mit Catherin Newmark. Dabei weist er auch auf die mangelnde Selbstgenügsamkeit des Bösen hin, was man auch bei vielen Bösewichten in der Literatur sieht: „Dass sie getrieben sind von einer inneren Leere, die immer wieder gefüllt werden muss. Selbstgenügsamkeit, dieses in sich Ruhende, finden wir nur im Guten.“ Das Böse dagegen erzeugt Schein – es täuscht. Dieser Scheincharakter des Bösen besteht nicht nur darin, dass man andere Menschen täuscht, sondern beginnt damit, dass man sich selbst täuscht.

Von Hans Klumbies