Identitätsfragen rücken ins Zentrum des politischen Diskurses

Das neue Philosophie Magazin 02/2017 beschäftigt sich im Titelthema mit der „Identität“. Denn in der gesamten westlichen Welt kehren Identitätsfragen ins Zentrum des politischen Diskurses. Der Kulturwissenschaftler Philipp Felsch sieht in vielen Ländern Europas, den USA und der Türkei den Rechtspopulismus auf dem Vormarsch. Diesen Entwicklungen und ihren Hauptakteuren ist eines gemeinsam: „Sie werfen der politischen Klasse ihrer jeweiligen Länder Versagen vor. Sie alle stehen für die Rückkehr eines aggressiven Nationalismus. Vor allem aber haben sie unsere kulturelle Zugehörigkeit, also unsere Identität zum Politikum gemacht. Die Frage „Wer sind wir? Ist in den Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung gerückt.“ Vielen Politikern und Anhängern fällt es bei der Debatte um eine Leitkultur schwer, die alte Erkenntnis der Kulturphilosophie zu beherzigen, nach der Kulturen keine statischen Substanzen, sondern in ständiger Veränderung befindliche Prozesse sind.

Die Frage „Was ist deutsch?“ ist berechtigt und sinnvoll

Der Soziologe und Sozialpsychologe Harald Welzer vertritt die These, dass eine Identitätspolitik, die ihrerseits zu Ausgrenzung führt, nicht weiter hilft. Er ist davon überzeugt, dass man rechte Demokratiefeinde nicht mit Verständnis und Dialog bekämpfen kann, sondern nur durch Haltung, Konfliktbereitschaft und das Eintreten für die Demokratie. Harald Welzer kritisiert eine Identitätspolitik, die am übergeordneten Ziel einer gerechten und offenen Gestaltung der Gesellschaft nicht oder allenfalls symbolisch interessiert ist.

Bei der Frage nach der Identität führen der Philosoph Peter Trawny und die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff ein Gespräch über die Frage „Was ist deutsch?“ Für Peter Trawny handelt es sich dabei nicht um eine Scheinfrage. Zwar lässt sie sich seiner Meinung nach nicht absolut und letztgültig beantworten, das heißt aber nicht, dass sie nicht berechtigt und sinnvoll wäre. Sibylle Lewitscharoff stellt folgendes fest: „Wenn ein Mensch sich streng auf Identität zurückrufen muss, hat er Angst und kann sich dann nicht mehr frei tummeln.“

Pierre Vesperini hält Epikur für den Guru einer religiösen Sekte

In der Rubrik „Das Gespräch“ kommt diesmal Hermann Schmitz zu Wort, einer der großen Solitäre unter Deutschlands Philosophen. Er gründete eine eigene Denkschule, seine „Neue Phänomenologie“ inspiriert heute immer mehr Forscher, gerade auch aus der Medizin und Psychologie. Der Leib ist der Ausgangs- und Bezugspunkt der gesamten menschlichen Wahrnehmung, des Erlebens und Fühlens. Deshalb ist er für Hermann Schmitz der Schlüssel für die Neue Phänomenologie. Wenn er vom Leib spricht, dann meint er nicht den menschlichen Körper, den man betasten und über seien fünf Sinne wahrnehmen kann, sondern all die Regungen, die man in dessen Gegend spürt. Beispielsweise Hunger, Lust, Angst oder Frische.

Als Klassiker der Philosophiegeschichte stellt diesmal der Philologe Pierre Vesperini den antiken Denker Epikur vor. Er stellt dabei die überraschende These auf, dass Epikur auch der Guru einer religiösen Sekte war. In der durch Kulte und Opferriten geprägten Gesellschaft des alten Griechenlands wäre Epikurs philosophische Schule, der „Garten“, demnach nichts anderes gewesen als ein religiöser Verein. Und seine Mitglieder Verehrer eines Meisters, der danach strebte, gottgleich zu werden.

Von Hans Klumbies