Die Unausdrückbarkeit des Individuellen könnte ein Denkfehler sein

Wer überhaupt nie etwas gefühlt hat, dem kann man keine Gefühle erklären – so wie man einem Blinden nicht erklären kann, was Farben sind. Aber was ist hier mit „erklären“ gemeint. Philipp Hübl beantwortet die Frage wie folgt: „Erst einmal bloß so viel wie: Man sagt etwas, damit der andere sich einen Begriff davon machen kann.“ Und dazu braucht man Vorwissen. Doch bei Gefühlen wie Verliebtheit erwarten manche noch mehr. Sie behaupten nämlich, diese phänomenalen Erlebnisse sind prinzipiell unausdrückbar. Der Mensch kann zwar viele umschreibende Worte finden, aber er kommt niemals nah genug an die Erlebnisse heran, denn seine Worte bleiben Schall und Rauch. Von dieser Unausdrückbarkeit des Individuellen waren neben Johann Wolfgang von Goethe vor allem die Romantiker fasziniert. Philipp Hübl ist Juniorprofessor für Theoretische Philosophie an der Universität Stuttgart.

Worte sind nur Stellvertreter für Dinge

Der Denkfehler besteht für Philipp Hübl darin, den Worten zu viel abzuverlangen. Mit Worten redet man über die Dinge, aber man erschafft sie dadurch nicht. Mit der Sprache kommt man deshalb nicht an die Welt heran, weil Worte nur Stellvertreter für Dinge sind. Manche begründen die Idee der Unausdrückbarkeit eher damit, dass man Dinge niemals abschließend beschreiben kann, ja, viele fordern obendrein, dass man es gar nicht versuchen sollte. Für den deutschen Philosophen Geert Keil ist die Welt dagegen trivialerweise unerschöpflich, weil der Mensch über alles immer noch mehr sagen kann.

Edmund Husserl nennt das die „Fülle“ der Dinge. Das gleiche gilt auch für das Innenleben der Menschen. Der amerikanische Philosoph Daniel Dennett argumentiert dagegen, dass überhaupt kein phänomenales Bewusstsein existiert, genauer: keine kleinsten, unteilbaren Einheiten des Erlebens. Oft bleibt unklar, was das phänomenale Vokabular genau bezeichnet. Dies ist besonders im Kunstdiskurs augenscheinlich. Das Bewusstsein ist meistens transparent, einzelne Erlebnisse sind schwer zu isolieren, überlagert von anderen, verzerrt durch das Vorwissen, verändert durch die Aufmerksamkeit, teilweise eingebildet und dazu noch ungenau beschrieben.

Eine Theorie des Unbewussten hängt von einer Theorie des Bewusstseins ab

Die Selbstbeobachtung bringt eine mentale Unschärferelation mit sich. Das ist ein wesentlicher Grund, warum die introspektive Psychologie, bei der die Innenschau die primäre Quelle der Erkenntnis ist, nie zu einer eigenständigen Wissenschaft aufgestiegen ist. Wer jedoch wissen will, wie Körper und Geist zusammenhängen, muss alle menschlichen Eindrücke im Bewusstsein auf die Hirnvorgänge abbilden, und seien sie noch so flüchtig. Dem menschlichen Langzeitgedächtnis liegen festverdrahtete Verschaltungen von Nerven zugrunde.

Dagegen sind der Strom des Bewusstseins und das Rinnsal des Unbewussten in jenen elektrischen Ladungen codiert, die unaufhörlich durch das Gehirn des Menschen strömen. Die unbewussten Informationen fließen zwar in denselben Bahnen wie anfangs auch die bewussten, versickern aber, bevor sie das Bewusstsein erreichen. Das beste Kriterium für das Wirken des Unbewussten ist für Philipp Hübl natürlich ein sichtbarer Effekt im Bewusstsein. Eine Theorie des Unbewussten hängt also unmittelbar von einer Theorie des Bewusstseins ab. Quelle: „Der Untergrund des Denkens“ von Philipp Hübl

Von Hans Klumbies