Die Sieger werden unermesslich reich und unantastbar

Die Zukunft spaltete sich vor einem Jahrzehnt, plötzlich und ohne Vorwarnung. Menschen auf der ganzen Welt wurde im Jahr 2008 mitgeteilt, dass die großen Banken, denen alle etwas schulden und denen gegenüber alle Zahlungsverpflichtungen haben, sich verzockt haben – hoffnungslos, verantwortungslos, amoralisch und dumm. Philipp Blom fügt hinzu: „Und dann wurde ihnen mitgeteilt, man müsse ihnen gemeinsam erwirtschaftetes Geld geben, um ihnen über ihre Schwierigkeiten hinwegzuhelfen und so das ganze System vor dem Kollaps zu retten.“ Millionen von Menschen verloren ihr Haus, ihren Job, ihre Zukunft. Kaum ein Banker ging ins Gefängnis, und innerhalb weniger Jahre waren die Profite und Boni höher als je zuvor. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

Das Wirtschaftswachstum kam nur der Finanzwelt zugute

Viele Menschen kennen diese Geschichte, aber sie unterschätzen ihre emotionale und moralische Wucht, ihren donnernden Nachhall. Der alte Gesellschaftsvertrage, der für alle Menschen galt – wenn du hart arbeitest und dein Bestes gibst, dann kannst du dir etwas erwirtschaften, war umgeschrieben worden. Er hieß jetzt: Egal, wie sehr du dich bemühst, wie viel du studierst, wie lange du schuftest, wie hoch du dich verschuldest – das System arbeitet nicht für dich, du bist ihm gleichgültig, es macht nur die Sieger unermesslich reich und unantastbar, eine Spezies, die nach ihren eigenen Gesetzen lebt.

Philipp Blom stellt fest: „Die anderen, durch Schulden versklavt, von den Medien abgelenkt, von Drogen betäubt oder von einer hartnäckigen Hoffnung benebelt, werden zusehends ärmer, abhängiger, ängstlicher.“ Dabei gibt es scheinbar kein Entkommen. So begannen Millionen von Menschen zu denken, und sie hatten Recht. Für sie war die Finanzkrise 2008 die letzte Bestätigung, dass es egal war, wie sehr man versuchte voranzukommen, dass die da oben es sich immer richten würden, auf Kosten von denen da unten, dass die Profite des immer noch robusten Wirtschaftswachstum nur der Finanzwelt zugutekamen, die Verluste aber sozialisiert, von allen getragen wurden.

Francis Fukuyama schrieb ein Buch vom Ende der Geschichte

Dieser Zusammenbruch kam nicht einmal 20 Jahre, nachdem dem Kapitalismus und den liberalen Demokratien, in denen er gedieh, Glück und Unsterblichkeit vorausgesagt wurde. Mit dem Mauerfall des Jahres 1989 waren sich viele westliche Beobachter sicher, dass nicht nur der Kommunismus, sondern jede Alternative zur Marktwirtschaft gestorben war. Francis Fukuyama schrieb damals ein Buch mit dem Titel „The End of History and the Last Man“, in dem er behauptete, von nun an sei die Geschichte als politische, hegelianische Geschichte vorbei, es gebe nur noch Ereignisse und Transaktionen zwischen Märkten.

Francis Fukuyama zeichnete in seinem Buch das Bild einer von Technokraten und Zahlen regierten Welt, in der Ideen und Kultur nichts mehr gelten. Georg Wilhelm Friedrich Hegel dagegen schrieb: „Der Weltgeist treibt die Geschichte voran, indem die Geister der einzelnen Kulturen miteinander kämpfen und in diesem Kampf einander nicht nur bereichern, sondern auch verändern und schließlich aufheben.“ Am Ende dieses langen, dialektischen Prozesses steht die Selbstverwirklichung des Weltgeistes in einer Apotheose der Geschichte, die für den Philosophen wie durch Zufall fast deckungsgleich war mit den Idealen des norddeutschen Protestantismus. Quelle: „Was auf dem Spiel steht“ von Phillip Blom

Von Hans Klumbies