In den reichen Gesellschaften wird die Arbeit knapper

Wirtschaftswachstum, das auf Ausbeutung beruht – dieses Geschäftsmodell ist längst an seine Grenzen gelangt. Der Planet Erde, auf dessen äußerster Kruste die Menschheit ihre Existenz beschreitet, scheint nicht mehr willens zu sein, die Kapriolen der Menschen zu ertragen. Phillip Blom schreibt: „Smartphones und Internet haben Informationen, Gerüchte und Propaganda globalisiert, riesige Menschenströme sind auf der Flucht vor dem Tod und auf der Suche nach einem Leben.“ In den reichen Gesellschaften selbst wird die Arbeit knapper. Das wird nur deswegen noch nicht deutlicher sichtbar, weil noch genug Geld da ist, es zu verbergen. Arbeitslose werden umdeklariert oder nicht gezählt, aber ihre Zahl wächst stetig, und wer einen neuen Job findet, das der Arbeitsplatz morgen schon wieder verschwunden sein kann. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

Fast jeder muss um seinen Job fürchten

Aber auch unter denen, die einen festen Job haben, macht sich Desillusionierung breit. Der Anthropologe David Graeber zitiert eine Studie, wonach etwa ein Drittel der Angestellten in den USA und Großbritannien selbst meinen, dass ihr Job unnötig ist und nichts Konstruktives zur Gesellschaft beiträgt. Für die meisten Menschen in den reichen Gesellschaften wird es enger. Wer nichts hat, muss nicht verhungern, kommt aber nie wieder auf die Füße. Wer einen Job hat, muss um ihn fürchten.

Phillip Blom erläutert: „Wir leben in einer Marktwirtschaft. Wir stehen im Wettbewerb miteinander. So wird alles effizienter, billiger. Die Konkurrenz schläft nicht, jeder ist ersetzbar und muss deswegen verfügbar sein, immer erreichbar, flexibel, auf Abruf.“ Die Menschen in den reichen Staaten des Westens leben in einem noch nie dagewesenen Luxus, und doch arbeiten viele länger und härter denn je, denn allen sitzt die Angst im Nacken. Nicht nur all die schönen Spielzeuge, auch das eigene Haus und die Ausbildung der Kinder können morgen weg sein.

Das gegenwärtige Geschäftsmodell des Westens hat katastrophale Konsequenzen

Die wenigsten Menschen sehen heutzutage ihre Zukunft als gesichert an oder glauben auch nur, dass sie ihnen Gutes bringen wird. Deswegen verweigern sich diese Gesellschaften dem Gedanken an die Zukunft: weil er Verschlechterung bedeutet. Die Hoffnung ist aus der Gesellschaft verschwunden, und gleichzeitig hat auch der Konsum seinen transformativen Zauber weitgehend verloren. Einer kleinen, aber einflussreichen Schicht der konsumgestressten Brand-Shopper, Theaterbesucher und Stadtbewohner steht eine wachsende Masse von Arbeitern und Jobbern gegenüber, die zwar Zugang zu billigen Konsumgütern haben, die aber längst begriffen haben, dass sie vom Tellerwäscher-Traum vom Millionärsdasein ausgeschlossen sind.

Auch für die Cleveren, die hart arbeiten und niemals aufgeben, gibt es kaum noch Jobs. Die Welt ist nicht fair, das System wird von den anderen gesteuert und jeder ist auf sich gestellt, da niemand von außen Hilfe erwarten kann. Phillip Blom weiß: „Wir leben in reaktionären Zeiten, weil viele begriffen haben, dass das gegenwärtige Geschäftsmodell des Westens über kurz oder lang katastrophale Konsequenzen haben wird und bereits hat, weil aber der Gedanke an eine fundamentale Alternative jeder Intuition widerspricht, weil er Verluste androht, Privilegien in Frage stellt.“ Quelle: „Was auf dem Spiel steht“ von Philipp Blom

Von Hans Klumbies