Peter Suhrkamp stellt Betrachtungen über das Lesen an

Peter Suhrkamp unterscheidet viele Arten des Lesens: Lesen, um zu lernen, Lesen, um in etwas einzudringen, Lesen, um den Geist in Bewegung zu bringen, Lesen als Gespräch, Lesen als Kunst. Zusammengefasst gibt es also das Lesen als Orientierung, das Lesen als Übung und ein schöpferisches Lesen. In der neueren Zeit ist noch eine inzwischen sehr verbreitete Art hinzugekommen: das Lesen aus Gewohnheit. Diese Gewohnheit kann zur Sucht werden, da der Betroffene in jedem unbeschäftigten Augenblick, wo er auch immer sich gerade befinden mag, lesen muss. Eines steht für Peter Suhrkamp aber fest: „Lesen können: das gilt allgemein als Maßstab für die Kultur eines Volkes.“

Der Leser dringt in andere Welten und Wirklichkeiten ein

Lesen lernen bedeutet für Peter Suhrkamp die Entdeckung einer neuen Welt. Dem Geist öffnet sich ein Fenster auf eine andere Wirklichkeit. Er schreibt: „Diese andere Wirklichkeit eröffnet den Kräften des Geistes eine Freiheit, die vorher nicht da war, und sie enthüllt eine Ordnung, die unter den Kräften des Geistes gültig ist sie offenbart Gesetze, durch die Phantasie, Gedanke, Gefühl und inneres Gesicht zu einer eigenen Welt geordnet werden.“ Die Novizen unter den Lesern entdecken so, dass es verschiedene Welten gibt.

Wenn Peter Suhrkamp nicht aus beruflichen Gründen, sondern nur für sich allein las, griff er immer wieder gern auf wenige Bücher zurück. Er begründete dies wie folgt: „Wenn man dasselbe wieder und immer wieder liest – nur klassische Werke vertragen das –, tritt einem mit der Zeit aus dem Gelesenen ein Gesicht entgegen: der Mensch, der das schrieb.“ So kann sich das Lesen zu einem Zwiegespräch mit dem Autor entwickeln, obwohl dieser schon 200 Jahre und mehr tot sein kann.

Der Umgang mit dem Schwierigen und Fremden

Lesen in einer solchen Art und Weise ist für Peter Suhrkamp lebendige Existenz. Beim Lesen muss man seiner Meinung nach immer seine gesamte Bildung und Erinnerungen gegenwärtig halten. Viele Menschen lesen gerne das, was sie im ersten Moment anspricht, was ihrer Stimmung entgegenkommt, worin sie sich wieder finden oder zumindest spiegeln können. Das Andere, das Fremde, das Schwierige wird abgelehnt und beiseite geschoben. Peter Suhrkamp kritisiert: „Diesem Verhalten liegt ein falsches Verhältnis zur Welt zugrunde, ich möchte sagen: Mangel an Welt. Es ist ein sich Sträuben gegen die Welt und zutiefst Lebensschwäche.“

Jeder Lesende ist laut Peter Suhrkamp ein Lernender, ein Lehrling. Manchmal erspäht der Leser das in der Welt eines Buches Wirkende. Es kommt vor, dass er es plötzlich lebendig in sich spürt. Er beginnt sein Leben anders zu fühlen und entdeckt dabei in sich Fähigkeiten, die er nicht ahnte. Peter Suhrkamp schreibt: „Dem Blick tut sich eine Tiefe und Weite auf, wo Augen niemals hinreichten. Die Welt öffnet sich einem Wissen, das über Beobachtung und Erfahrung hinausreicht, das richtiger ist als die Ergebnisse der Logik und die Ergebnisse des Gefühls.“

Von Hans Klumbies