Die Zinsen der Europäischen Zentralbank sind nicht zu niedrig

 

Eine Welle der Empörung ist in Deutschland durch eine winzige Zinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZB) ausgelöst worden. Der allgemeine Vorwurf lautet, dass die EZB damit den Marktzins außer Kraft gesetzt hat. Gleichzeitig wird dadurch eine gefährliche Immobilienblase entfacht, und das alles nur, um den Südländern, die sich um Reformen drücken, das Schuldenmachen zu erleichtern. Dieser Ablehnung kann Peter Bofinger nicht zustimmen: „Die Kritik an der EZB krankt schon daran, dass der deutsche Sparer auch zu Zeiten der D-Mark über Jahre hinweg für das Geld auf dem Sparbuch Zinsen bekommen hat, die unter der Inflationsrate lagen.“ Der Volkswirt Peter Bofinger ist seit 2004 Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – den sogenannten „Wirtschaftsweisen“. Er lehrt als Professor an der Universität Würzburg.

Die Arbeitnehmer müssen privat für ihr Alter vorsorgen

Wer heute zinslos sein Geld auf dem Girokonto parkt, steht sogar ungewöhnlich gut da. Bei der niedrigen Inflationsrate ist der Verlust an Wert dieser nicht verzinsten Anlagen, die immerhin rund 23 Prozent des privaten Geldvermögens ausmachen, deutlich geringer als unter der Herrschaft der Bundesbank. Peter Bofinger fügt hinzu: „Das Problem sin die Zinsen für längerfristige Anlagen. Hier gibt es seit mehr als zwei Jahren die historisch einmalige Konstellation, dass die Anleiherenditen kaum höher als die Inflationsrate sind.“

Da die gesetzliche Rentenversicherung immer wieder gekürzt worden ist, sind viele Arbeitnehmer darauf angewiesen, privat für ihr Alter vorzusorgen. Die meisten tun das in Form einer Versicherung. Da ist es für Peter Bofinger verständlich, dass diese Entwicklung zu einer großen Verunsicherung innerhalb der Bevölkerung besorgt hat. Peter Bofinger hält die Zinsen der EZB nicht für zu niedrig. Denn wäre dies der Fall, müsste die Nachfrage nach privaten Krediten und Investitionen im Euro-Raum deutlich steigen. Doch noch nie war im Euro-Raum die private Geldersparnis so hoch und die Neigung zu Investitionen so schwach wie im Augenblick.

 Der Staat wird in größerem Stil als Investor aktiv werden

Die Ursache für die ungewöhnlich niedrigen langfristen Zinsen besteht laut Peter Bofinger darin, dass seit der Pleite des Bankhauses Lehman Brothers eine riesige private Geldersparnis auf eine sehr schwache Investitionsnachfrage stößt. Beter Bofinger erklärt: „Die Zinsen werden erst wieder auf ein für die Anleger erträgliches Niveau steigen, wenn man ausreichend Kreditnehmer findet, die bereit und in der Lage sind, diese zu zahlen. Dass die Kreditnachfrage trotz der Unterstützung durch die sehr niedrigen EZB-Zinsen nicht anspringt, zeigt, wie groß die Verunsicherung der Investoren im Euro-Raum, aber auch in Deutschland ist.“

Bei der schwachen Verfassung vieler Banken, insbesondere in den Peripherieländern, rechnet Peter Bofinger bis auf weiteres nicht damit, dass die Kreditvergabe an den Privatsektor in näherer Zukunft steigen wird. Es liegt für ihn deshalb nahe, dass zumindest temporär der Staat in größerem Stil als Investor aktiv wird. Denn: „In der Ökonomie besteht dabei ein weitgehender Konsens, dass der Staat sich am Kapitalmarkt finanzieren darf, wenn der die Mittel investiv einsetzt. Leider ist die goldene Regel der Finanzwirtschaft, für die auch der Sachverständigenrat ausdrücklich geworben hat, weder bei der Schuldenbremse noch beim europäischen Fiskalpaket berücksichtigt worden.“ Quelle: Süddeutsche Zeitung

Von Hans Klumbies