Unterschiedliche Lohnniveaus stabilisieren die Währungsunion

In den Jahren nach der Einführung des Euro bestand das Geschäftsmodell Deutschland laut Peter Bofinger in einer ausgeprägten Orientierung auf den Export. Dazu wurde eine ausgeprägt Zurückhaltung bei der Erhöhung von Löhnen praktiziert. Peter Bofinger liest das daran ab, dass die deutschen Lohnstückkosten im Durchschnitt der Jahre 2001 bis 2010 nur um nominal 1,1 Prozent gestiegen und damit deutlich hinter der Preisentwicklung zurückgeblieben sind. Peter Bofinger erklärt: „Da die Lohnstückkosten die Inflationsentwicklung maßgeblich bestimmen, wurde so ein deflationärer Druck auf den Euro-Raum ausgeübt, der nicht unwesentlich zur Niedrigzinspolitik der EZB in den Jahren 2004 und 2005 beigetragen hat.“ Peter Bofinger ist seit 1992 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg. Seit März 2004 ist der Ökonom als sogenannter „Wirtschaftsweiser“ Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Deutschland hat in 13 Jahren ein Netto-Geldvermögen von 1,2 Billionen Euro angehäuft

Die merkantilistische Strategie der Wirtschaftspolitik in Deutschland war aus rein nationaler Sicht deshalb erfolgreich, weil es dadurch zu immer höheren Überschüssen in der Leistungsbilanz kam. Peter Bofinger belegt dies mit folgenden Zahlen: „Im gesamten Zeitraum von 1999 bis zum zweiten Quartal 2012 wurde so ein kumuliertes Netto-Geldvermögen in Höhe von 1,2 Billionen Euro angehäuft.“ Dies zeigt seiner Meinung nach ganz nebenbei, wie unsinnig es ist, wenn Politiker immer wieder darüber klagen, dass die Deutschen über ihre Verhältnisse gelebt hätten oder leben.

Wenn man die Gesamtheit von privaten Haushalten, Unternehmen und Staat in Deutschland betrachtet, gibt es laut Peter Bofinger in den letzten 13 Jahren kaum eine Volkswirtschaft, die so unter ihren Verhältnissen gelebt hat. Sie hat genau 1,2 Billionen Euro weniger ausgegeben als eingenommen. Wenn man sich allerdings lediglich den Staatsektor anschaut, ist die Feststellung berechtigt, dass dieser Bereich tatsächlich über seine Verhältnisse gelebt hat. Peter Bofinger erläutert: „Mit Ausnahme des Jahres 2007 war in dieser Phase für Deutschland ein ständiges Staatsdefizit zu verzeichnen.“

Unterschiede in den Produktionsniveaus sind kein Argument gegen die Währungsunion

Weil nicht alle Länder einen Überschuss in der Leistungsbilanz erzielen können, eignet sich für Peter Bofinger die deutsche Maxime „Erziele einen Überschuss in der Leistungsbilanz“ nicht als allgemeine Regel für eine Währungsunion. Der Wirtschaftsweise kritisiert, dass trotz der hohen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft über Jahre hinweg eine extreme Lohnzurückhaltung praktiziert worden ist. Besonders ausgeprägt war dies in den Jahren 1999 bis 2007. Die Lohnstückkosten gingen in diesem Zeitraum um 1,7 Prozent zurück.

Das Problem der Leistungsüberschüsse sieht Peter Bofinger nicht in der hohen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie. Ebensowenig sind seiner Meinung nach die Unterschiede in den Produktionsniveaus ein generelles Argument gegen die Währungsunion. Peter Bofinger erklärt: „Divergenzen in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sind überhaupt kein Hindernisgrund für die Stabilität einer Währungsunion, solange das Lohnniveau in den produktivitätsschwächeren Volkswirtschaften entsprechend geringer ausfällt.“

Von Hans Klumbies