Peter Bieri stellt Formen der fürsorglichen Bevormundung vor

Menschen können von anderen Menschen bevormundet werden. Ob daraus eine Gefahr für die Würde hervorgeht, hängt laut Peter Bieri davon ab, welche Absicht dahintersteckt und ob der Eingriff in den Freiheit des anderen verständlich und gerechtfertigt erscheint. Es hängt auch davon ab, wie es um den Willen desjenigen steht, über dessen Kopf hinweg Entscheidungen getroffen werden. Es kann auch sein, dass es in der Sache, über die entschieden werden muss, noch gar keinen Willen gibt. Peter Bieri nennt als Beispiel Kinder, die in einer folgenreichen Angelegenheit noch keinen ausgeprägten, gefestigten Willen und keine Autorität haben. Peter Bieri, geboren 1944 in Bern, studierte Philosophie und Klassische Philologie und lehrte als Professor für Philosophie in Bielefeld, Marburg und an der Freien Universität Berlin.

Der Mensch kann nicht jeden Willen kennen und auch nicht erfragen

Auch senile und demente Menschen haben manchmal keinen Willen und keine Autorität mehr. Dann müssen andere ihre Entscheidungen treffen. Wenn Kinder noch keine Autorität haben, schafft dass für Peter Bieri kein Problem der Würde, denn sie sind ja auf dem Weg. Wenn die Autorität im Alter schwindet, tut es allerdings weh, sowohl den Betroffenen selbst als auch den Angehörigen. Man versucht die Demenzkranken behutsam zu behandeln und ihnen ihre Würde zu lassen. Aber sie unterscheidet sich von der früheren Würde, die in der Selbstständigkeit bestanden hat.

Manchmal existiert ein Wille, die der Mensch nicht kennt und den er auch nicht erfragen kann. Auch dann wird über den Kopf von jemand hinweg entschieden und derjenige bevormundet. Peter Bieri nennt Beispiele: „So ist es bei einem Unfall, einem Schlaganfall, bei einer unerwarteten Wendung in einer Operation, oder wenn jemand ins Koma fällt. In einem solchen Fall entscheidet der Arzt stellvertretend für den Patienten. Wenn er es richtig macht, gefährdet er dessen Würde damit nicht. Entscheidend ist, dass er sich in seine Lage versetzt und sich fragt, was der Wille des Patienten wäre.“

Der Gegensatz zwischen Freiheit und Leid ist nur schwer aufzulösen

Am schwierigsten ist es laut Peter Bieri, wenn man glaubt, jemanden gegen seinen bekennenden Willen bevormunden zu können, ohne seine Würde zu verletzen. Wenn ein Mensch dies manchmal glaubt, dann deshalb, weil er Übel vermeiden und Leid abwenden will. Peter Bieri kennt für einen solchen Fall eine Formel: „Freiheit nehmen, um Leid zu verhindern.“ Menschen, die dieses Ziel lenkt, denken, dass sie auf diese Weise verhindern, dass sie die Betroffenen durch die Bevormundung demütigen.

Noch einmal anders und noch komplizierter liegen die Dinge, wenn die fürsorgliche Bevormundung weltanschauliche Hindernisse überwinden muss. Peter Bieri nennt ein Beispiel: „Es gibt religiöse Gemeinschaften, für die eine Bluttransfusion eine Verfehlung darstellt, die zu Ächtung und Ausschluss führen würde.“ Blut auszutauschen bedeutet für diese Gläubigen, Gott ins Handwerk zu pfuschen und ewige Verdammnis. Lieber nehmen sie den eigenen Tod oder den Tod ihres Kindes in Kauf.

Von Hans Klumbies