Die Religion ist nichts weiter als eine Illusion

Sigmund Freud leitete die Religion aus der kulturellen Entwicklung ab, als deren Bestandteil sie die Zumutungen der Natur und der Gesellschaft gleichermaßen zu bewältigen gestattet. Gegen die Zufälle und Gefahren der Natur erzeugt sie die Illusion, dass alles nach Plan erbaut und durch den Willen des Schöpfers kontrolliert wird. Peter-André Alt ergänzt: „Gegen die sozialen Zwänge setzt sie den Gedanken der Belohnung für entgangene Befriedigung in der Idee der Erlösung nach dem Tod.“ Betrachtet man den Kern religiöser Aussagen über Jenseits und ewiges Leben, Gottes Schöpfungsidee und die Segnungen des Paradieses genauer, dann kommt man allerdings schnell zur Einsicht in ihren irrationalen Charakter. Die religionsimmanenten Argumente, die ihrer Absicherung dienen, lassen sich, so Sigmund Freud, durchgehend als bedenklich bezeichnen. Peter-André Alt ist Professor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte an der Freien Universität Berlin.

Die von der Religion ausgehende Hoffnung ist leer

Die Religion verliert in der modernen westlichen Gesellschaft an Wirkung, weil sie nicht mehr glaubwürdig, ihre Fiktion durchsichtig, die von ihr ausgehende Hoffnung leer ist. Allein von der Wissenschaft dürfe man, so erklärte Sigmund Freud, die Entschleierung der Welträtsel erwarten: „Es ist wiederum nur Illusion, wenn man von der Intuition und der Selbstversenkung etwas erwartet; sie kann uns nichts geben als – schwer deutbare – Aufschlüsse über unser eigenes Seelenleben, niemals Auskunft über die Fragen, deren Beantwortung der religiösen Lehre so leicht wird.“

Übrig blieb die tröstende Funktion des Glaubens, jenseits ihres metaphysischen Anspruchs. Für die Psychologie wäre hier ein Anknüpfungspunkt, der es erlaubte, religiöses Denken aus seinen seelischen Wirkungen zu rechtfertigen. Peter-André Alt fügt hinzu: „Aber auch als reines Beruhigungsmittel mochte Freud die Religion nicht gelten lassen, denn die Geschichte zeigt, dass die Menschen zu Zeiten der uneingeschränkten Herrschaft des Glaubens weder glücklicher noch sittlicher waren.“

Die Erziehung zur Realität soll die Religion überflüssig machen

on der Religion blieb bestenfalls die subjektive Tröstung im Sinne eines persönlichen Glücks. Friedrich Schiller formuliert dies wie folgt: „Der Mensch, der im Zeichen seines Glaubens auf ein Jenseits hofft, findet am Ende, nach dem Tod, keinen Einlass ins Paradies, weil seine Hoffnung schon Gegenleistung für alle Entbehrungen war.“ Trotz aller Schwächen eines nur illusionären Trostes blieb es für Sigmund Freud unklar, ob die Religion in Zukunft verschwinden und aufgeklärter Vernunft Platz machen werde.

Sigmund Freud schreibt: „Der Gläubige lässt sich seinen Glauben nicht entreißen, nicht durch Argumente und nicht durch Verbote. Gelänge es aber bei einigen, so wäre es eine Grausamkeit. Wer durch Dezennien Schlafmittel genommen hat, kann natürlich nicht schlafen, wenn man ihm das Mittel entzieht.“ Das war eine ebenso einfache wie klare Diagnose, die keine Alternativen eröffnete. Dennoch hielt Sigmund Freud an seinem Projekt fest, das „bittersüße“ Gift der Religion überflüssig zu machen durch „Erziehung zur Realität“. Quelle: „Sigmund Freud“ von Peter-André Alt

Von Hans Klumbies