Der Kapitalismus durchdringt alle Gesellschaftsbereiche

Innerhalb der Wirtschaft spielt die Finanzwirtschaft eine sehr bedeutende Rolle. Stürzt sie in Krisen, etwa in die gravierenden Finanzkrisen der letzten Jahre, so sind viele betroffen: von privaten Anlegern über institutionelle Anleger wie Staatsfonds und Pensionskassen bis zu ganzen Volkswirtschaften. Otfried Höffe definiert den Finanzkapitalismus wie folgt: „Eine erste Gestalt, der (Finanz-) Kapitalismus, ist eine Wirtschaftsform, in der es auf Geld im Großmaßstab, das Kapital, ankommt und dieses Geld nicht länger lediglich ein Tauschmittel, sondern vor allem eine Handelsware ist.“ In der zweiten Gestalt, beim Kapitalismus als allgemeiner Wirtschafsform, lässt man gegenwärtiges Geld in Investitionen arbeiten, um zukünftig einen höheren Ertrag zu erhalten. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

Der Finanzkapitalismus erwartet von seinen Investitionen einen möglichst großen Gewinn

Und im weitesten Verständnis, der dritten Gestalt, ist der Kapitalismus eine Gesellschaftsform, in der die profitsuchende Wirtschaft so erfolgreich mehr und mehr alle Gesellschaftsbereiche durchdringt, dass sie schließlich, zum dominanten Lebensfaktor geworden, mit Jürgen Habermas gesprochen in einer Art von Kolonisierung die gesamte Lebenswelt beherrscht. Zum Finanzkapitalismus gehört, dass man mit Ersparnissen und Erträgen oder auf Kredit, sprich mit Schulden, in der Gegenwart investiert und von seinen Investitionen für die Zukunft einen möglichst großen Gewinn erwartet.

Insofern gibt es in der Finanzwirtschaft einen neuartigen Tausch. Die Finanzwirtschaft hebt den Tauschwert des Kapitalismus nicht etwa auf. Zum Prozess von Gabe und Gegengabe gesellt sich ein zweiter, jetzt intrapersonaler und zugleich phasenverschobener, in sich noch zweigeteilter Tausch statt. Ein und dieselbe natürliche oder juristische Person tauscht gegenwärtiges Geld gegen den in der Zukunft erwarteten, allerdings nur unter Risiko oder Unsicherheiten eintretenden Gewinn beziehungsweise Profit; diese besteht bei Längerfristigkeit in Rentabilität.

Der Sozialstaat erhöht seiner Idee nach die Freiheitschancen

Der Wirtschaftszweig der Finanzwirtschaft schafft durchaus Vorteile, ausschließlich Vorteile bringt er jedoch nicht. In der kapitalistischen Finanzwirtschaft finden Besitz- und Machtgier, ein neues hochverführerisches Betätigungsfeld, verführerisch sowohl für Hochstapler als auch für skrupellose Investmentbanker. Der nüchterne Blick von Otfried Höffe sieht die Verführbarkeit freilich unparteiisch, also nicht bloß auf Seiten der Banker. Auch private Anleger haben sich bei ihren Finanzgeschäften von der Habgier nicht ferngehalten.

Nicht zuletzt weckt ein Reichtum in der Gesellschaft öffentliche Begehrlichkeiten, die wiederum schneller als ihre Erfüllbarkeit zu wachsen pflegen. Otfried Höffe nennt den Preis dafür: „Während der finanziell anspruchsvollste Anteil der Staatsausgaben, der Sozialstaat, seiner Idee nach Freiheitschancen erhöht, schränkt er sie dank der vor allem seinetwegen immens gewachsenen Staatsverschuldung wieder empfindlich ein.“ Der öffentliche Spielraum für Investitionen wird nämlich spürbar begrenzt. Quelle: „Kritik der Freiheit“ von Otfried Höffe

Von Hans Klumbies