Der Liberalismus sollte vom Geist der Aufklärung inspiriert sein

Als Neoliberalismus etikettiert und in Verruf geraten, hat das Denken, dass das Prinzip Freiheit an vorderster Stelle vertritt, der Liberalismus, vielerorts keinen guten Klang. Ein Liberalismus, der Wertschätzung verdient, unterzieht sich laut Otfried Höffe einer Regeneration, für die er Elemente der Aufklärung übernimmt. Dazu gehört eine Erweiterung des Themenspektrums. Die Worterklärung ist für Otfriede Höffe einfach. „Liberalismus“ heißt ein Denken, das die Freiheit als Mittel- und Angelpunkt versteht. Keineswegs auf die Wirtschaft beschränkt, versteht sich der Liberalismus als eine soziale und politische Theorie und Bewegung, die man in erster Annäherung als thematisch dreidimensional charakterisieren kann: Es ist eine Wirtschafts-, eine Gesellschafts- und eine Politiktheorie. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

In einer Demokratie sind die Freiheitsrechte unverzichtbar

Otfried Höffe erläutert: „In all diesen Bereichen vertraut der Liberalismus auf die möglichst zwangfreie Entfaltung der Anlagen und Kräfte der einzelnen.“ Denn davon erwartet er einen Fortschritt, bescheidener gesagt, eine Verbesserung in diesen drei Bereichen, in der Wirtschaft, der Gesellschaft samt Wissenschaft und Kultur und im Politischen, einschließlich Recht und Staat. Ein aus dem Geist der Aufklärung inspirierter Liberalismus heißt, den Mut aufzubringen, sich seines Verstandes zu bedienen und das Recht einzufordern, sein Leben nach den eigenen Überzeugungen zu führen.

Ein solcher Liberalismus rechnet mit einem Pluralismus von Lebensformen und einem dem zugrundeliegenden Pluralismus von Werten. Gegen endgültige Wahrheiten skeptisch, nimmt er selbst für Werte eine legitime Konkurrenz an, die man auch austragen soll, damit die „besseren“, aber stets vorläufig besseren Werte sich durchsetzen. Lediglich eine Einschränkung nehmen die meisten liberalen Denker vor: Die Rechtsmoral von Demokratie und unantastbaren Freiheitsrechten halten sie für unverhandelbar, für unverzichtbar.

Ein aufgeklärter Liberalismus vertraut auf die Erfahrung

Als aufgeklärten Liberalismus bezeichnet Otfried Höffe eine Großfamilie von Theorien und Programmen, die sich durch drei Gesichtspunkte auszeichnen: Alle drei entsprechen Kernelementen der Aufklärung: eine empirische, sogar anthropologische Herausforderung, eine normative, sogar moralische Einstellung und eine moralisch-politische Antwort. Mit diesen Aspekten hängen zwei weitere Gesichtspunkte zusammen: eine soziale Verantwortung, die das Extrem „Nachtwächterstaat“ (Ruhe, Ordnung und Sicherheit), das Beispiel eines nichtaufgeklärten Liberalismus überwindet.

Dank Selbstkritik entfaltet sich eine Regenerationsfähigkeit, ohne die kein Liberalismus als aufgeklärt gelten kann. Die Neigung einiger Aufklärer zu einem maßlosen Optimismus, die schon bei Francis Bacon und René Descartes anzutreffende Überschätzung der Wissenschaft und der Glaube, der Mensch sei nicht bloß erziehbar, sondern perfektibel, teilt der von Otfried Höffe vertretene Gedanke des aufgeklärten Liberalismus aber nicht. Ein aufgeklärter Liberalismus ist gegen jede ideologische und autoritäre, dabei wirklichkeitsresistente Politik allergisch; stattdessen vertraut er lieber auf die Erfahrung. Quelle: „Kritik der Freiheit“ von Otfried Höffe

Von Hans Klumbies