Die Freiheit von Naturzwängen ist heute weniger denn je gegeben

Zwei Dinge erwartete einer der Pioniere der neuzeitlichen Philosophie, René Descartes, von der von ihm mitbegründeten Naturforschung, und beide Dinge sind für die Freiheit relevant: ein müheloses Genießen der Früchte der Erde und eine Befreiung von unendlich vielen Krankheiten, sowohl des Körpers als auch der Seele. Otfried Höffe ergänzt: „Auch heute, bald 400 Jahre später, zeichnet sich selbst im wohlhabenden Westen weder ein müheloses Genießen noch eine Befreiung von unendliche vielen Krankheiten ab.“ Trotzdem kann man die glänzenden Erfolge einer noch immer wachsenden Naturforschung schwerlich bestreiten, weder für den Bereich der Arbeitserleichterung durch die Kunst der Ingenieure samt den neuen Informationstechniken noch für den Bereich von Gesundheit und verlängerter Lebenserwartung mit Hilfe von Medizin, Medizintechnik und Pharmazie. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

Der Begriff der Kultur ist mehrdeutig

Hinzu kommt ein dritter Bereich, der sich bei René Descartes in seiner späten Anerkennung einer stoischen Lebensmaxime andeutet. Der Grundsatz, „den Tod nicht zu fürchten“, weist auf den Bereich von Erziehung und Selbsterziehung hin. Alle drei Bereiche sind für den Menschen, für das Prinzip Freiheit und das Projekt der Moderne konstitutiv. Trotzdem werden sie häufig übergangen. In der Auseinandersetzung mit der Natur zeigt die moderne Freiheit ihr Doppelwesen. Als Befreiung von Naturzwängen, als Emanzipation, bietet sie der widerspenstigen äußeren und inneren Natur die Stirn.

Otfried Höffe erklärt: „Insofern dient sie der negativen Freiheit, die freilich in die positive Freiheit, die Kultur, übergeht.“ Auch der Begriff der Kultur ist wegen ihrer vielen unterschiedlichen Facetten mehrdeutig. Schon im lateinischen „cultura“ hat der Ausdruck drei Grundbedeutungen. Kultur heißt erstens die Bearbeitung, die Pflege und das Anbauen. Zweiens der Ackerbau und das Landwesen. Endlich drittens das Bilden und Ausbilden. Später bezeichnet das Wort zusätzlich, was aus diesen und anderen Tätigkeitsweisen hervorgeht.

Die Naturforschung dringt immer tiefer in die Geheimnisse der Natur ein

Kultur nennt sich dann sowohl die Gesamtheit der Lebensäußerungen eines Kollektivs einer Gruppe, eines Volkes oder einer Gesellschaft, als auch das durch diese Lebensäußerungen bestimmte Kollektiv selbst. Bevor man sich das Freiheitspotential der Technik gegenüber der äußeren Natur überlegt, muss man, um Missverständnisse zu vermeiden, die zunächst mit Technik und Natur gemeinten Phänomene erläutern. Der Ausdruck „techné“ beziehungsweise Technik bezeichnet ursprünglich ein intelligentes Können, eine Kunst im Sinne von Kunstfertigkeit.

Nach der maßgeblichen Bestimmung des Aristoteles geht es um die Fähigkeit, nach lehr- und lernbaren Regeln etwas, beispielsweise Geräte und Gebrauchsgüter, anzufertigen, auch Kunstwerke zu erschaffen oder als Arzt die Gesundheit eines Kranken wiederherzustellen. Die zugehörige Tätigkeit heißt „poiesis“, Herstellen oder Machen, im Unterschied zur „praxis“, dem Handeln im engeren Sinn. In der Antike ein Handwerk, wird die neuzeitliche, moderne Technik auf der Grundlage einer immer tiefer in die Geheimnisse der Natur eindringenden Naturforschung betrieben. Quelle: „Kritik der Freiheit“ von Otfried Höffe

Von Hans Klumbies