Ohne Schönheit wäre die Welt viel ärmer

Was ist eigentlich Schönheit? Warum finden Menschen das Schöne schön? Wieso existiert trotz aller Beteuerungen innerer Werte das ewige Diktat äußerlicher Attraktivität? Matthias Horx weiß, dass die Evolutionsbiologen eine Antwort auf solche Fragen haben: „Was wir „schön“ finden, ist in Wirklichkeit eine Chiffre für evolutionäre Fitness und damit für die Zukunftschancen unserer Gene. Wir fühlen uns deshalb zur Schönheit hingezogen, weil uns die Evolution dazu treibt.“ Schöne Gesichter sind zunächst einmal ebenmäßig, symmetrisch, und das bedeutet, dass sich die steuernden Gene ohne schwere Beeinträchtigungen entfalten konnten. Die Natur bringt unter optimalen Wachstumsbedingungen Symmetrie hervor, die als reproduktives Gütesiegel fungiert. Schöne Körper sind nicht nur synonym mit Gebärfähigkeit, in ihnen drückt sich der Zustand des Immunsystems aus sowie die Fähigkeit, zu kämpfen und zu verteidigen. Matthias Horx ist der profilierteste Zukunftsdenker im deutschsprachigen Raum.

Schönheit regt zur Nachahmung an

Die Literaturwissenschaftlerin und Professorin für Ästhetik Elaine Scarry hat in ihrem Buch „On Beauty and Being Just“ das Wesen der Schönheit untersucht. Schönheit ist das, was die Welt zur Nachahmung (reproduction) anregt – weil sie Vitalität symbolisiert. „Schönheit scheint den Akt der Reproduktion anzuregen, ja sogar neu zu verdrahten … Schönheit bringt ständig Kopien ihrer selbst in Umlauf. Sie verführt uns, sie zu zeichnen, Fotografien von ihr zu machen, sie anderen Menschen zu beschreiben, sie wiederherzustellen.“

Wenn es das Schöne nicht gäbe, so Elaine Scarry, wäre die Welt nicht nur ärmer, sie wäre auch sinn- und perspektivlos; Schönheit belebt, sie erst macht das Leben lebendig, lebenswert. Matthias Horx fügt hinzu: „Wenn Schönheit ein unabweisbares Element der Evolution ist, dann „müssen“ wir schöne Kinder züchten. Wir tun es längst – mit „konventionellen“ Mitteln. Jedes Mal, wenn wir unseren Reproduktionspartner suchen. Jedes Mal, wenn wir uns im Spiegel betrachten, das heißt unser Verführungskapital messen.“

Der wahre Feind der Schönheit ist die Perfektion

Alle Menschen vollziehen also die ständige Selektion in Richtung „gesünder und schöner“. Gleichzeitig setzt sich Schönheit selbst Grenzen. Wenn sie sich von der Vitalität trennt, stirbt sie. Schönheit braucht immer auch Abweichungen, Fehler. Früher setzte man den sogenannten „Schönheitsfleck“ ein – eine bewusste Störung der Harmonie. Kontrapunkt gegen das, was der wahre Feind der Schönheit ist: Perfektion. Perfektion ist ein „ausevolutionierter“ Zustand, in dem die Vitalität verschwindet, und entspricht damit nicht dem „Ziel“ der Evolution, so der Philosoph und Mathematiker Christopher Potter.

Christopher Potter schreibt: „Für Aristoteles beschreiben die Naturgesetze ein Universum, das nach Perfektion strebt. Evolutionswissenschaftler neigen eher zur Idee der Perfektibilität anstatt des Ziels der absoluten Perfektion. Die Evolution bewegt sich ständig vorwärts, und auf diesem Weg tendiert sie dazu, die Dinge besser zu machen, aber nicht optimal.“ Perfektibilität bedeutet nichts anderes als die Fähigkeit, sich weiterzuentwickeln. Lernfähigkeit, Adaptivität, Offenheit, die Möglichkeit zum Wandel: Christopher Potter bezieht sich hier auf das „evolutionäre Optimal-Paradox“. Das absolut Perfekte gerät automatisch unter einen extremen Selektionsdruck – weil es seine Variabilität verliert. Quelle: „Future Love“ von Matthias Horx

Von Hans Klumbies