Der Verstand filtert die Wahrnehmung der Welt

Der deutsche Philosoph Immanuel Kant, der von 1724 – 1804 lebte, vertrat die Auffassung, dass alle Menschen die Welt durch einen Filter wahrnehmen. Dieser Filter ist der menschliche Verstand. Er bestimmt, wie Menschen die Dinge wahrnehmen, und verleiht dieser Wahrnehmung ihre Form. Nigel Warburton erklärt: „Alles, was wir wahrnehmen, findet in Zeit und Raum statt, und jede Veränderung hat eine Ursache. Aber laut Kant liegt dies nicht an der Wirklichkeit, wie sie an sich ist, sondern ist eine Leistung unseres Verstands.“ Menschen haben keinen direkten Zugang zur Beschaffenheit der Welt. Sie können den Verstand ja nicht abschalten und die Dinge so sehen, wie sie wirklich sind. Der Philosoph Nigel Warburton ist Dozent an der Open University. Er gibt außerdem Kurse über Kunst und Philosophie am Tate Modern Museum.

Immanuel Kant ist einer der größten Metaphysiker aller Zeiten

ihren Verstand wären Menschen völlig unfähig, überhaupt etwas wahrzunehmen. Wie die meisten Philosophen, interessierte Immanuel Kant die Frage nach der Wirklichkeit und die Beziehung der Menschen zu ihr. Nigel Warburton erläutert: „Dieses Gebiet der Philosophie nennt man Metaphysik, und Kant war einer der größten Metaphysiker aller Zeiten. Allem voran interessiert ihn das Problem der Grenzen unseres Denkens. Kant versuchte also zunächst einmal zu klären, was wir überhaupt wissen und verstehen können und was nicht.“

In seinem berühmtesten Buch, „Kritik der reinen Vernunft“ (1781), drang er bis an diese Grenze vor. Immanuel Kant sagt darin über die Wirklichkeit, dass sich Menschen nie ein Gesamtbild darüber machen können, wie die Dinge wirklich sind. Sie können nie etwas direkt über die Realität erfahren, die Welt, die hinter den äußeren Erscheinungen liegt, die Welt, wie sie womöglich wirklich ist. Diese gedachte, aber nicht direkt erkennbare Welt nennt Immanuel Kant auch „Noumenon“ (gr.: das Gedachte). Strenggenommen können Menschen also nichts über diese gedachte Welt wissen.

Wissen kann unabhängig von der Erfahrung erworben werden

Worüber Menschen jedoch etwas erfahren können, ist die Welt der Erscheinungen, der „Phänomene“, die Welt, die man durch seine Sinne wahrnimmt. Wer einen Blick aus dem Fenster wirft, sieht diese „phänomenale Welt“ – Wiesen, Autos, den Himmel, Gebäude und so weiter. Nigel Warburton fügt hinzu: „Die noumenale Welt können wir nicht sehen, sondern nur die phänomenale Welt, doch die noumenale steckt hinter all unseren Wahrnehmungen. Sie existiert auf einer tieferen Ebene.“

Für Immanuel Kant ist ein Wissen möglich, das Wahrheiten über die Welt offenlegt, aber unabhängig von der Erfahrung erworben wurde. Für diese Art von Wissen erfand Immanuel Kant die Ausdrucksweise „synthetisches Urteil a priori“. „Zeit“ und „Raum“ sind laut Immanuel Kant keine „Dinge“, sondern sie sind unsere „a priorischen Anschauungsformen“. Immanuel Kants große Erkenntnis war, dass Menschen dank ihrer Vernunft begreifen können, wie ihr Denken, ihr Erkennen funktioniert – wie der Verstand a priori Urteile fällt und Menschen mit Wissen versieht, die sie nicht erst durch ihre Erfahrung machen müssen. Quelle: „Die kürzeste Geschichte der Philosophie“ von Nigel Warburton

Von Hans Klumbies